"Ein Gefühl, als ob das anrüchig wäre“

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Christian Füller hat etwas gegen Klischees. Der Bildungsredakteur der linken Berliner taz und engagierte Blogger (pisaversteher.de) hat sich deshalb in seinem Buch "Ausweg Privatschulen?“ (2010) intensiv mit nicht-staatlichen Bildungseinrichtungen befasst - und ist zum wortmächtigen Verteidiger des Privatschulwesens geworden. Im FURCHE-Gespräch erklärt der Vater zweier Söhne im Alter von zwölf und zehn Jahren, warum.

Die Furche: Herr Füller, Sie bezeichnen das herrschende Gefühl gegenüber Privatschulen als "Hassliebe“. Woran zeigt sich das?

Christian Füller: Das zeigt sich etwa daran, dass bei Leuten, mit denen man hier bei uns in Prenzlauer Berg über Privatschulen redet, die Augen zu glänzen beginnen, weil sie ihre eigenen Kinder am liebsten sofort dorthin bringen möchten. Doch wenn man beim Abendessen über die Gesellschaft diskutiert, würden sich viele das niemals zu sagen wagen - geschweige denn, dass ihr Kind in eine solche Schule geht. Man hat das Gefühl, als ob das anrüchig wäre und man sich dafür fast entschuldigen müsste.

Die Furche: Die deutsche Konrad-Adenauer-Stiftung hat diese Zerrissenheit in ihrer Studie "Eltern unter Druck“ so formuliert: "Spätestens beim Nachwuchs hört die Toleranz auf, und man zieht aus, Problemvierteln‘ weg in Wohngebiete mit Gleichgesinnten.‘ Auch Sie leben im Bobo-Viertel Prenzlauer Berg - und Ihr älterer Sohn geht in eine evangelische Privatschule…

Füller: Ja, das ist eine sehr experimentelle Schule, die zum Berliner Gemeinschaftsschulprogramm gehört - und ich erkläre auch immer sofort, dass sie total billig ist: Wir zahlen 160 Euro im Monat für Ganztagsbetreuung. Dass ich als Redakteur einer linken Zeitung dazu stehe, empfinden aber viele trotzdem als Provokation. Ich finde das lächerlich. Es ist ja keine Profitmacherschule wie die sogenannten "Phorms-“Schulen in Deutschland, die ein monatliches Schulgeld zwischen 800 und 1100 Euro einheben und von denen es gerade einmal fünf gibt, oder wie die International Schools, wo durchreisende Expatriots ihre Kinder abgeben. Überhaupt ist es falsch, von einem Boom zu reden: Gerade einmal acht Prozent aller allgemeinbildenden Schulen sind in Deutschland Privatschulen. Und in Österreich ist es ganz ähnlich. Wo es aber tatsächlich in den letzten Jahren eine starke Zunahme auf niedrigem Niveau gegeben hat, war an den Grundschulen.

Die Furche: Warum gerade hier?

Füller: Ein Auslöser war natürlich der PISA-Schock, der in Deutschland und Österreich so groß war wie nirgendwo sonst auf der Welt: Klar, wir haben ja immer gesagt, unsere Vorbilder sind Goethe, Schiller, Mann und Bernhard - und plötzlich kommt die OECD und findet funktionale Analphabeten und Risikoschüler. Zwischen einem Viertel und einem Fünftel der 15-Jährigen können nicht sinnerfassend lesen: Daran hat sich seit 2001 zu wenig verbessert. Je mehr aber die Geduld mit dem staatlichen Schulsystem sinkt, desto mehr steigt die Akzeptanz von Privatschulen. Und nach den "Etablierten“, die das schon immer gemacht haben, wählen nun eben auch immer mehr Mittelstands-Familien diesen Schritt. Aber noch einmal: Von einem Boom kann keine Rede sein. Nicht die Privatschulen sorgen meiner Ansicht nach für Ungerechtigkeit, sondern das seit Jahrhunderten bestehende staatliche Schulsystem.

Die Furche: Sie plädieren dafür, die Privatschulen als Reformwerkstätte für schulisches Lernen zu begreifen. Was können private Schulen besser als staatliche?

Füller: Sie können viel schneller sein: konzeptionell, weil sie rasch auf neue Lernformen wie etwa große, schulübergreifende Projekte umstellen können und entsprechenden Zulauf motivierter Lehrer erhalten; personell, weil sie sich ihr Lehrpersonal aussuchen und sich nötigenfalls von Einzelnen trennen können; und finanziell, weil sie wie ein Unternehmen im Bedarfsfall Geld flüssig machen können und nicht diese Bürokratie im Nacken haben. Ich habe etwa einmal zwei Schulen angeboten, gemeinsam mit den Schülern ein elektronisches Schulbuch mithilfe von I-Pads herzustellen. Der Direktor der staatlichen Schule hat nicht einmal darüber nachgedacht und gemeint, auch das Ausleihen von 30 I-Pads koste zu viel. Die Direktorin der Schule meines Sohnes aber war so begeistert, dass sie sogar 30 I-Pads kaufen wollte! Man müsste einfach den staatlichen Schulen mehr Freiheit und den privaten mehr Geld geben - freilich mit der Auflage, nur ein gedeckeltes Schulgeld von 200 Euro monatlich einzuheben und eine 20-prozentige Quote von Sozialhilfeempfängern einzuhalten. Dann käme endlich wieder mehr Bewegung ins System.

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