Heilsamer Schock für die Auto-Rowdies

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Menschen, die schwerste Verkehrsunfälle verursachen, sollten mehr als bisher mit den Folgen ihres Tuns konfrontiert werden, fordert der Autor dieses Beitrages. Als Patient lag er lange Zeit neben Opfern von Verkehrsunfällen in einem Rehabilitationszentrum.

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Menschen, die schwerste Verkehrsunfälle verursachen, sollten mehr als bisher mit den Folgen ihres Tuns konfrontiert werden, fordert der Autor dieses Beitrages. Als Patient lag er lange Zeit neben Opfern von Verkehrsunfällen in einem Rehabilitationszentrum.

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Es war Mitte September 1996. Ich stand nach dem Schlaganfall - den ich im Mai dieses Jahres erlitten hatte -, nach mehrmonatigem Spitals- und Rehabilitationsaufenthalt, vor meiner Entlassung zurück ins "normale" Leben. Sofern und soweit es für mich so etwas wieder geben würde. Denn noch immer war ich zum Teil auf den Rollstuhl angewiesen, waren linker Arm und linke Hand nur sehr begrenzt einsetzbar. Gleichwohl war ich bester Dinge. Ich wußte mich auf dem Weg gesundheitlicher Besserung, wußte auch, daß ich auf dem Weg schon sehr schöne Erfolge erzielt hatte, für die ich dankbar war - Gott und auch unserem System der sozialen Sicherheit, das in meinem Fall seine Leistungsfähigkeit voll bewiesen hatte. Denn ich war - anders als in den ersten Wochen nach der Katastrophe, als mir die Ärzte nur sehr unverbindlich Fragen beantworten konnten, wann und wieviel ich an verlorener Motorik zurückgewinnen könnte - kein nahezu totaler Pflegefall mehr, war in der Ausübung der Grundfunktionen wieder selbständig, konnte ohne fremde Hilfe Bett und Rollstuhl verlassen, baden, die Toilette aufsuchen, mich ohne fremde Hilfe aus-, an- und umziehen, längere Zeit wieder aufrecht stehen, sitzen, ja sogar wieder kurze Strecken ohne fremde Hilfe gehen.

Dem Herrgott war ich dankbar, daß ich so "billig" davongekommen war, daß ich so viel Glück im Unglück gehabt hatte. Der Schlaganfall hatte mich - einen ausgeprägten Rechtshänder - nur linksseitig gelähmt, hatte Sprachgefühl und die Fähigkeit zu sprechen nicht beeinträchtigt. Ebenso wenig wie Gedächtnis und Gehör, Augenlicht und Tastsinn. Ich konnte selbst als Pflegefall im Rollstuhl reden, hören, spüren wie zuvor. Ich wußte, daß der liebe Gott mich zwar nicht - frei nach Friedrich Torbergs "Tante Jolesch" - vor dem geschützt hatte, was noch ein Glück war, daß es aber viel, viel schlimmer hätte kommen können. Das hatte mir die Beobachtung anderer Patienten im Spital und in der Rehabilitation zur Genüge klar gemacht. Ich wußte und weiß, was Schlaganfall alles bedeuten kann.

Nur dieses Wissen gab und gibt mir die Kraft, alles in meiner Macht Stehende zu tun, um einen zweiten Schlaganfall zu vermeiden. Nur dieses Wissen ermöglichte es mir im März 1997 ohne Verbitterung dem Drängen der Geschäftsführung der Austria Presse Agentur (APA) nachzugeben, die mich - unter Berufung auf einen amtlichen Bescheid, der mir auf Grund des Schlaganfalles einen Grad der Behinderung von achtzig Prozent bescheinigte - als Chefredakteur der APA loswerden wollte. Ich sah und sehe heute noch in diesem durchaus nicht freiwilligen Abschied - der allerdings auch den Intentionen meiner Ärzte entsprach - das Wirken jener Kraft, von der in Goethes "Faust" gesagt wird, daß sie "stets das Böse will und stets das Gute schafft".

Spätestens seit damals steht das Menetekel: "Kein zweiter Schlaganfall!" über meinem Leben, als ernster Warnruf vor drohendem Unheil, der es mir nicht nur ermöglichte, mein Leben zu ändern, sondern auch ermöglicht, an dieser Änderung heute noch festzuhalten. Obwohl es mir wesentlich besser geht und die Gefahr nicht gering ist, wieder leichtsinnig zu werden.

Der Sinneswandel Nach dem Abschluß der ersten Rehabilitationsphase hoffte ich, von den Ärzten wenigstens eine, wenn auch stark eingeschränkte Erlaubnis zu erhalten, gelegentlich wieder rauchen zu dürfen. Ich erhielt sie nicht, aber ich erhielt auch kein Verbot. Was mir gesagt wurde, war ein simpler Hinweis, den ich seither nicht vergessen habe: nach dem ersten Schlaganfall wäre man dem zweiten näher, als man dem ersten gewesen sei; und Rauchen stelle ohne Zweifel einen zusätzlichen Risikofaktor dar. Dieser Hinweis genügte vollauf. Ein Verbot des Rauchens war nicht mehr notwendig. Ich wußte und weiß, daß ich seit Mitte 96 in der Schlaganfall-Oberliga spiele; und ich will nicht - um keinen Preis! - in der Schlaganfall-Ober-Oberliga spielen. So rauche ich nicht mehr (abgesehen von insgesamt vier oder fünf Zigaretten, die ich seit Mai 96 an sehr langen Abenden konsumiert habe), auch wenn die tägliche Sehnsucht nach dem Glimmstengel immer noch sehr groß ist.

Nach dem September 1996 habe ich die Therapie in Wien ambulant fortgesetzt; im "Zentrum für Neurorehabilitation", in dem nicht nur Patienten nach einem Schlaganfall behandelt werden, sondern auch zu einem wesentlichen Teil Patienten, die bei Verkehrsunfällen Schädel- und/oder Hirnverletzungen erlitten haben.

Die praktischen Auswirkungen, die schrecklichen Bilder gleichen einander aufs Haar: Störungen der Motorik - der willkürlichen, aktiven Muskelbewegungen - aller Art, Sprach- und Sprechstörungen, Gedächtnisverlust und so weiter und so fort. Ich habe in dieser Zeit erfahren, daß die Zahl der Behinderten nach Verkehrsunfällen in den letzten Jahren dank der Fortschritte der Medizin stark zunimmt, weil heute Leben gerettet werden kann und wird, das früher zum Tod verurteilt war.

Das ist erfreulich. Gleichzeitig ist es aber nötig, die "Waffe Auto" zu entschärfen, soll heißen: die Unfallzahlen zu reduzieren.

Aus diesem Grund melde ich mich in der Diskussion zu Wort, die dankenswerterweise die Furche eröffnet hat (Furche Nr. 37/1998, Seite 1). Ich stimme mit der Autorin überein, wenn sie schreibt: "Es kann nicht sein, daß jemand, der rücksichtslos über Österreichs Straßen jagt, Menschen tötet oder zu Krüppeln fährt, deutlich weniger riskiert als einer, der beim Einbruch ein Fenster knackt." Eine Neubewertung der Delikte im österreichischen Strafkatalog ist längst fällig, überfällig. Die Furche hat recht: die Frage nach Schuld und Sühne, nach Tätern und Opfern und auch nach neuen Formen der Wiedergutmachung muß diskutiert werden.

Ich denke, als "neue Form" sollte versucht werden, stärker und intensiver als bisher - und zusätzlich zu allen anderen Sanktionen - Auto-Rowdies, grob fahrlässige und extrem leichtsinnige Verkehrsteilnehmer mit den nur allzu leicht möglichen Auswirkungen ihres Fahrverhaltens zu konfrontieren. Betrunken Auto fahren, bei Rot - hoppla, jetzt komm' ich - über die Kreuzung rasen, Sperrlinien nicht beachten, Einbahnen - der Umweg wär' doch wirklich zu blöd - nicht respektieren, sich den Vorrang nehmen (der andere wird schon stehenbleiben), Geschwindigkeitsgrenzen überschreiten, weil doch ohnehin nicht kontrolliert wird und eigentlich alles erlaubt ist: das alles und vieles andere mehr sind keine Kavaliersdelikte von Tüchtigen, denen angeblich die Welt gehört, -sondern ist Ausfluß asozialen Verhaltens, das Menschenleben schwerstens gefährdet.

Was wissen Richter?

Die Konfrontation mit den Konsequenzen solchen Verhaltens könnte, sollte durch verpflichtenden Einsatz - und sei es als Raumpfleger(in) - in den neurochirurgischen Abteilungen unserer Spitäler erfolgen, in die Tag für Tag schwerstverletzte Unfallopfer zur Aufnahme kommen. Oder in Rehabilitationszentren, in der Betreuung und Bedienung von Menschen, die nach schrecklichen Verkehrsunfällen monate-, jahre-, lebenslang auf Hilfe von anderen angewiesen sind.

Es geht nicht um einen kurzfristigen Schock, mir geht es um die Herstellung von persönlicher Betroffenheit durch einen längeren Dienst. Denn ich erinnere mich noch, daß auch bei mir der Umdenkprozeß nicht über Nacht wirksam geworden ist. Ich glaube aber auch, daß solche Einsätze von einer psychologischen Betreuung begleitet werden müßten. Und schließlich stelle ich mir vor, daß es auch Richtern, die über Verkehrsdelikte zu urteilen haben, nicht schaden könnte, sich in der Praxis ein Bild über die Folgen jener Taten zu machen, die sie meist Monate später in wohltemperierten Gerichtssälen zu verhandeln haben.

Wohl kaum käme dann der in der Furche erwähnte, schwer alkoholisierte Lenker, der auf der Westautobahn in den Bus einer Basketballmannschaft raste und drei junge Menschen tötete, mit achtzehn Monaten Haft davon, obwohl drei Jahre Höchststrafe möglich gewesen wären.

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