Ich, der Neurotiseur

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Ich mache alle nervös. Manchmal auch mich selbst. Da ich jedoch nichts so hasse wie Egozentrismus, konzentriere ich mich auch diesbezüglich lieber auf andere. Aber das schrieb ich bereits. Sätze wie "Du nervst mich ...!" höre ich daher immer öfters, vor allem von Menschen, die meinen Realitätssinn für Zynismus halten.

Böse Zungen, die natürlich immer anderen gehören, behaupten, daß ich Verkörperer eines neuen Berufes bin: des "Neurotiseurs". Obwohl dieser Neurotiseur eher medizinisch klingt, daher muß der Berufsanwärter einen (Tor-)Turnus durchlaufen, fühle ich mich - wieder einmal - von meiner Um- und Gegenwelt gänzlich mißverstanden.

Bin ich vielleicht deshalb ein waschechter (wenn auch nicht pflegeleichter) Neurotiseur, weil ich nach dem Prinzip "Es gibt keine dummen Antworten, sondern nur dumme Fragen!" lebe und daher ständig, in keine besondere Intelligenz getauchten, Fragen stelle?

* Kann Bill Gates mit einem Computer umgehen?

* Dürfen Schüler auch mit guten Noten aufsteigen?

* Welche neuen Asylforderungen werden meine "Grün"-Freunde stellen, wenn die Zahl der Asylsuchenden die der österreichischen Gesamtbevölkerung übersteigt?

* Werden sich die Liberalen, nachdem sie noch ihren letzten Bezirksfunktionär (in Afiesl-Ost) verloren haben, auch mit wichtigen Fragen beschäftigen?

* Wann wird die kleingewordene Großkoalition aus ihrem Klimakterium erwachen?

Soweit meine vordringlichen Nachfragen. Und nur deshalb, weil ich unentwegt solche und ähnliche Fragen stelle, werde ich von meinen Freunden für einen echten Neurotiseur gehalten.

Ich darf Sie aber darauf aufmerksam machen, daß ich nicht der einzige Neurotiseur dieser Welt bin. Und das nicht nur bei uns in der gemütlichen Alpenrepublik, sondern auch in unserer Nachbarschaft. Zum Beispiel in Budapest, am dortigen Ostbahnhof.

Einige Minuten vor zwölf "stoppen", so habe ich manchmal das Gefühl, "Bitte, Taxi ...!"-Rufe unzähliger kundensuchender Taxifahrer mit Vorliebe den 1.-Klasse-Waggon aus Wien, am Ostbahnhof in Budapest ("Keleti pu"). Da ich zwar ohne Koffer, ich komme nur auf einige Stunden in die "alte Heimat", dafür mit ungarischen Sprachkenntnissen gesegnet, am Bahnhof lande, gelingt es mir relativ leicht, den Weg entlang der "Taxi, bitte ...!"-Schreier zum Ausgang zu bahnen.

Ich muß mich beeilen, da mir nur eine knappe Stunde bis zum Uni-Seminarbeginn bleibt. Als Spätheimkehrer - meine Zeitspanne vom Möchte-gern-Studenten bis zum Uni-Vortragenden dauerte über 40 Jahre - nehme ich an meinem ersten Vorlesungstag ein Taxi und zahle für die relativ kurze Strecke Ostbahnhof-Ajtosi-Dürer-Zeile stolze 1.500 Forint. Ein Busfahrschein hätte mich ganze 60 Forint gekostet.

Da ich beim nächsten Mal für die gleiche Strecke nur mehr 600 Forint berappe, höre ich ganz schnell auf, Taxi zu fahren.

Meine Uni-Kolleginnen klären mich auf: "Wozu brauchen Sie für den kurzen Weg ein Taxi? Nehmen Sie den ,schwarzen 7-er' Bus und Sie brauchen nur drei Haltestellen zu fahren. Aber Vorsicht", so meine fürsorglichen Kolleginnen, "nehmen Sie ja nicht den ,roten 7-er', weil der bleibt dort nicht stehen."

Das nächste Mal, als ich am Ostbahnhof ankomme, bin ich nervös und furchtbar aufgeregt. Nicht wegen des Stoffes, den ich meinen Studenten vorzutragen habe, sondern es quält mich die Frage nach dem richtigen Bus. Endlich stehe ich zwar vor der richtigen Haltestelle, doch der "schwarze 7-er" kommt und kommt nicht. Es braust zunächst der "rote 7-er" an mir vorbei, dann kommt ein grüner und etwas später wieder ein roter. Kein "schwarzer 7-er" weit und breit. (Ich bin doch ein Verfechter der Großen Koalition; jetzt weiß ich, warum).

So nehme ich mir wieder ein Taxi. Jetzt, zwar als gebürtiger, aber nur langsam gelernter Budapester, lüfte ich das große Geheimnis: Der "schwarze 7-er" ist grün umrandet. Seit dieser Erkenntnis lassen mich alle "Taxi, bitte ...!"-Rufe am Ostbahnhof kalt und ich marschiere stolz erhobenen Hauptes, einem angehenden Fremdenführer gleich, schnurstracks zur richtigen Bushaltestelle, wo ich den "schwarzen 7-er" nehme. Oder ist mein "Siebener" grün und schwarz umrandet? Ich weiß es nicht.

Also gut. Wenn ich schon ein Neurotiseur bin, so befinde ich mich zwar in keiner allzu guten, aber doch in einer recht großen Gesellschaft. Und so lautet mein Motto: "Neurotiseure aller Welt vereinigt euch ...!" - Aber bitte nicht unbedingt hier, in Österreich.

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