Ehrgeiz Fußball Sport Natur - © Foto: Pixabay (Bildbearbeitung: Manuela Tomic)

Wie wir unseren Ehrgeiz positiv nutzen

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Menschen, die von Ehrgeiz geleitet werden, gelten als verbissen, starrsinnig und egoistisch. Dabei kann Ehrgeiz ganz anders kanalisiert werden: als langfristiges Engagement, etwas Gutes in der Welt zu hinterlassen.

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Menschen, die von Ehrgeiz geleitet werden, gelten als verbissen, starrsinnig und egoistisch. Dabei kann Ehrgeiz ganz anders kanalisiert werden: als langfristiges Engagement, etwas Gutes in der Welt zu hinterlassen.

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Alle kennen es, und alle haben es: das Gefühl des Ehrgeizes. Selbst in jenen Seelen, die sich dem minimalistischen Leben samt Yoga-Einheiten und Reisbowls verschrieben haben, schlummert der Ehrgeiz, sich vom Ehrgeiz losgesagt zu haben. Die Schriftstellerin Andrea Stift-Laube hat diesem erhabenen wie problematischen Gefühl in der Reihe „Übermorgen“ des Verlages Kremayr & Scheriau ein Buch gewidmet.

„Ich habe einen Punkt getroffen, der mir bis dahin selbst noch nicht ganz klar war: Ehrgeiz ist intim und anrüchig. Man outet sich in gewisser Weise, wenn man seinen Ehrgeiz deutlich formuliert“, schreibt Stift-Laube zu Beginn des Buches. Die Schriftstellerin versteckt sich hier nicht etwa hinter psychologischen Studien, Zitaten anderer berühmter Persönlichkeiten oder Geschichten aus der Literatur. Nein, sie begibt sich in ein Terrain, das jedem und jeder von uns höchst unangenehm ist: der verzweifelten Suche nach Anerkennung.

Das Credo „Fake it till you make it“ (dt. „Tu so, dann wirst du so“) ist in der heutigen Gesellschaft zu einem unumgänglichen Lebensmotto geworden; so scheint es zumindest. Es geht dabei darum, durch vorgetäuschtes Selbstbewusstsein und eine positive Einstellung, etwa im Beruf, zu jener Persönlichkeit heranzuwachsen, die man werden möchte. Gerade Frauen, die laut unzähligen Studien dazu neigen, sich selbst zu unterschätzen, soll dieses Motto weiterhelfen. Aber was hat das alles mit Ehrgeiz zu tun?

Die Österreicher und ihre Titel

Ehrgeiz kann viele verschiedene Gesichter haben: Es geht nicht immer darum, etwas wirklich gut zu können. Man kann auch den Ehrgeiz haben, an einen gut bezahlten Posten zu kommen, egal ob man diesem wirklich gewachsen ist oder nicht. Als bestes Beispiel führt Stift-Laube die Titelversessenheit der Österreicher an. Sie selbst habe keinen Titel. Das führe aber häufig zu unangenehmen Situationen. So werde sie – Stift-Laube leitet auch das Literaturmagazin „Lichtungen“ – in E-Mails häufig mit „Frau Mag.“ angesprochen. Und der fehlende Titel in Kulturbeiräten erinnere sie etwa immer daran, dass sie ihr Studium abgebrochen habe, dass ihr Lebenslauf eben nicht so geradlinig gewesen sei, dass sie mit dem fehlenden Abschluss auch ihren Vater enttäuscht habe.

All das gibt die Schriftstellerin, deren Buch eine Reise hin zu den eigenen Zielen ist, preis. Es gibt also auch den Ehrgeiz, einen Titel zu haben, nicht etwa, weil einen das Studium interessiert, sondern einfach nur deshalb, weil es in gewissen Kreisen eine Norm darstellt. Hier erinnern wir uns alle an die ehemalige Familienministerin Christine Aschbacher, die wegen Plagiatsvorwürfen und einer Doktorarbeit „voller origineller Prosa“, wie Stift-Laube schreibt, ihr Amt abtreten musste. Die Doktorarbeit strotzte dennoch vor Ehrgeiz: dem Ehrgeiz, einen Titel zu bekommen.

Da Ehrgeiz mit dem Gefühl der Anerkennung verschwistert ist, kann es keine Welt ohne Ehrgeiz geben. Doch er kann auch positiv und konstruktiv genutzt werden. Denn schließlich hat Ehrgeiz auch etwas mit unseren Plänen, Wünschen und Zielen zu tun, und dies ist wiederum sehr sinnstiftend und gibt Orientierung.

Stift-Laube führt hier eine US-amerikanische Studie an: In den USA haben zwei Sozialwissenschafter 2664 Menschen zum Anwalt geschickt, damit diese dort ihr Testament machen. Sechs Prozent von ihnen wollten einen Teil ihres Erbes von sich aus wohltätigen Organisationen o. Ä. vermachen. Wenn aber der Anwalt aktiv nachfragte, ob die Menschen Interesse an wohltätigem Vererben hätten, waren schon zwölf Prozent dafür. Wenn der Jurist gar eine Formulierung wählte wie zum Beispiel „Viele meiner Klienten ziehen die Möglichkeit in Betracht, eine Organisation zu unterstützen, die ihre Werte und Ziele vertritt“, stieg die Zahl der wohltätigen Vererbenden auf 17 Prozent. „Wenn wir beispielsweise einen Teil unseres Erbes an eine Naturschutzorganisation vermachen, dann ist das eine Art transgenerationale Fürsorge. Es ist das, was wir tun können, um unseren Ehrgeiz zu stillen, irgendwie dazubleiben, obwohl wir schon weg sind – und wenn wir nicht gerade auf herkömmlichem Wege berühmt wurden“, schreibt Stift-Laube, um im nächsten Satz gleich wieder den Ehrgeiz zu zügeln, „vielleicht muss die Entscheidung aber auch gar nicht so drastisch sein. Vielleicht reicht es tatsächlich, zuerst einmal einen Baum zu pflanzen.“

Fair und nachhaltig

Wäre man der letzte Mensch auf der Welt, würde man sich dann immer noch die Lauf-App, die Abnehm-App und den Lebensoptimierplan zu Gemüte führen? Eine berechtigte Frage, die Stift-Laube stellt. Und sie führt zu einer klaren Antwort: Nein, sicher nicht. Denn Ehrgeiz entsteht nur im Vergleich mit anderen und im Beisammensein mit anderen. Letzteres trifft auf jene Menschen zu, die ihren Ehrgeiz darin sehen, anderen zu helfen. Dieser altruistische Charakter des Ehrgeizes kann also auch als konstruktive Form dieses Gefühls gesehen werden. Dass Banken, Modeketten, Nahrungsmittelerzeuger vermehrt darauf achten, „fair und nachhaltig“ zu werden, ist jenem Milieu zu verdanken, das sich einem bewussteren Konsum verschrieben hat. Und hier geraten wir in Stift-Laubes Buch schnell in den Schlachthof.

In diesem Kapitel beschreibt die Schriftstellerin, wie sie mit ihrer Schwester Hähne schlachtet: „Ich habe jahrelang übers Schlachten nachgedacht. Zuerst mit einer gehörigen Portion Abneigung und Unverständnis. Wenn ich hörte, dass jemand ein Tier geschlachtet hatte, dann sah ich diesen Menschen mit anderen Augen, so wie Sie mich jetzt vielleicht ganz kurz mit anderen Augen sehen.“ Doch wer ein Tier isst, sollte auch in der Lage sein, es zu schlachten, schreibt Stift-Laube, und sich beim Tier zu bedanken. Neben der artgerechten Haltung, der Reduktion des eigenen Fleischverzehrs und dem Versuch, selbst Tiere zu schlachten, gebe es da aber dann doch folgende Momente: „Ich komme nach einem langen Tag am Heimweg bei einer Kebab-Bude vorbei, und zu Hause wartet der knackfrische Salat aus der Biokiste. Ich erstehe ein heißes, geröstetes, knuspriges Kebab mit Hühnerfleisch und wirklich allem (...). Danach schwöre ich, dass dieses Kebab mein allerletztes war (...). Ich bin so und Sie sind genauso.“ Jetzt sei es noch ein Kebab alle drei Monate. Bald werde es kein einziges Kebab mehr sein, denn Fleischersatzprodukte schmecken immer besser, und sie seien eine gute Alternative für eine nachhaltige Zukunft. Man müsse nur einmal in der Küche etwas Neues ausprobieren.

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