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Für einen St.-Stephans-Freythof!

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Der Stephansdom war bis 1732 von einem -Friedhof umgeben.Dieser wurde . dann auf- gelassen. Um 1800wurde auch die schmale Häuserzeile abgebrochen, die vorher den Domplatz gegen den Straßenzug Kärntner Straße- Rotenturmstraße abgeriegelt hatte. Durch dieses Aufreißen der Domumgebung und den immer stärkeren Verkehr ergab sich der heutige Zustand: der Dom steht auf einer vom geräuschvollen Verkehr umbrandeten Rettungsinsel, muß sich die Umgebung von Bauhütten, Planken, Parkplätzen, Taxistandplätzen und Bedürfnisanstalten gefallen lassen.’ Der Anblick des Domes wird selbst an der Schauseite, gegen den Stock-im-Eisen-Platz, die alle Fremden photographieren, durch Gerüst und moderne Kandelaber mehr als notwendig verschandelt. Nun soll, dem Vernehmen nach, die Planke und das Hüttelwerk an der Sonnenseite verschwinden. Deshalb die Bitte an die Gemeinde Wien als Grundeigentümer: Sorgt für ein würdiges Gesicht dieses Herzens unserer Stadt!

Die Enge, Abgeschlossenheit und Stille von einst können wir nicht wiederherstellen, aber wenigstens an der Sonnenseite könnte man den Dom von der Verkehrsbrandung befreien. Vergleichen wir Neugestaltungen anderwärts: Die englischen Kathedralen stehen in weiten Rasenflächen, die skandinavischen sind v.on Gärten umgeben, die französischen und italienischen Dome haben wenigstens vor der Stirnfront einen weiten Raum. Notre-Dame in Paris ist von Blüten umgeben, um St. Pauls in London hat man in Bombenfeldern neue Gärten angelegt, die roten Sandsteinwände des Domes von Frankfurt wachsen aus einem wenige Meter breiten Grüngürtel empor, man erinnert sich des grünen Bandes um die Minoritenkirche in Wien. Die Bombenfelder in Ulm und Freiburg sind heute gerammelt voll Autos, hoffentlich wird man sich auch dort dieser Flut erwehren.

Für Wien möchten wir eine Wiederbegründung des St.-Stephans-Freythofes zwischen Dom und Churhaus Vorschlägen. Zu diesem Namen berechtigt die Tradition, der Bestand von Grabplatten an der Domfront, die unterirdische

Totenstadt und endlich der Friede, der dort künftig wieder herrschen soll. Wenn möglich, Sollte derfl gätize’°’Raum ä fs’che’ri’1 ‘D öm’1 und Churhaus dem Verkehr entzogen werden. Wir denken uns diese Fläche von einer niedrigen Mauer aus dem gleichen Leithakalk, wie der Dom selbst, umgeben, einige Stufen führen vom Gehsteig hinauf oder hinab zu einer Rasenfläche mit wenigen Blumenbeeten, Büschen und Bäumen. Die nackte Fassade der „Unteren Sakristei” denken wir uns von Schlingrosen bedeckt. Statt des modernen Lichtmastes wird die alte gotische Lichtsäule wieder aufgestellt.

Die Fahrbahn an der Sonnenseite des Domes ist nicht notwendig, der Verkehr kann auch von der Singerstraße durch die Churhausgasse zur Schattenseite des Domes fließen, wo Parkplatz, Bauhütte und Taxiplatz wohl beibehalten bleiben müssen.

Der neue Freythof würde von den Wienern bestimmt sehr begrüßt werden, gibt es doch in der Altstadt sonst kaum einen Baum oder Strauch, und außerhalb der Kirchen keine Bank, auf der man etwas rasten könnte. Die Fremden werden die Ruhemöglichkeit noch mehr begrüßen, für sie bedeutet die Grünfläche die „Halbzeit” zwischen zwei Wanderungen durch die Innere Stadt und die Möglichkeit zur Sammlung vor dem Besuch des Domes. In einer Nische könnte man unter Glas und zugleich unter einem Dach Pläne von Wien und den kunsthistorischen Plan des Domes mit einer Beschreibung seiner Entstehungsgeschichte unterbringen. Bietet man dort einen ruhigen Platz der Erklärung für die Teilnehmer von Führungen, dann wird dadurch die Stille und Andacht im Dom gefördert. Es würde dann auch die Kirche weniger als bloßer Sitzplatz verwendet und die Rast lieber an die Sonnenseite ins Freie verlegt. Durch ein oder zwei Trauerweiden am Fuß des Hochturmes könnte der im Sommer notwendige Schatten gespendet werden. Vielleicht sollte man auch die Zugänge zum Turm und zu den Katakomben hierher verlegen. Der Kiosk, der jetzt nahe dem Erzbischöflichen Palais steht, könnte ebenfalls an der Sonnenseite in neuer Form geeigneten Platz finden, viele Besucher werden hier ihre Kartengrüße absenden wollen. Das alles muß mit viel Liebe aufeinander abgestimmt werden. In den Abendstunden sollte der Freythof beleuchtet sein, nachts geschlossen. Ob man die vom Westen fortschreitende Mode der ständigen Anstrahlung des Domes mitmachen soll, wage ich nicht zu entscheiden. Wenn ja, dann nur aus Lichtquellen, die in und auf benachbarten Häusern verdeckt angebracht sind.

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