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St.-Maria-Goretti-Kirche, Wien-Kagran

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Der fast quadratische Bauplatz wurde von der belebten Erzherzog-Karl-Sfraße her aufgeschlossen. Die Baumassen teilen sich in drei Gruppen: Kirchengebäude, Turm und Pfarrhof.

Durch eine Verbindung der Kirche mit dem Pfarrhof mit einer Mauerscheibe und einem Verbindungsdach waren wir bestrebt, die abge-

schlossene klösterliche Atmosphäre der alten Anlagen dieser Att zu erzielen. Die zum Altar hin sich verengende Form des Kirchenschiffes soll räumlich zur höchsten Konzentration für den Besucher führen. Die Kirche enthält: Windfang, Seitenkapelle (35 Personen), Kirchenschiff (500 Personen), Sakristei mit Vorraum, Waschraum und WC, Orgelgalerie und Luftheizanlage im Keller.

Der in Campanileart ausgebildete Turm erfüllt lediglich den Zweck der erhöhten Glockenhaltung und entspricht in seiner äußeren Form dem statischen Kräfteverlauf. Der Glockenturm ist 36 Meter hoch, oben mit einem einfachen Kreuz gekrönt und enthält vier Glocken, welche klanglich abgestimmt sind (Töne f, as, c, es).

Österreich hat leider nur wenige Beispiele für diesen zeitgemäßen Stil, der in der breiten Masse mehr Skeptiker als Bewunderer findet. Die Kirche, baut ein im Stil wie auch in der Ausführung unserer Zeit entsprechendes Bauwerk im Wiener Arbeiterviertel Kagran. Endlich erinnert sich die Kirche in Österreich wieder an die Zeit, da sie Stil- und richtunggebend war und die höchsten geistigen Pionierleistungen von ihr ausgingen.

Der Verzicht auf die barocke Zweiteilung Rohbau und Verkleidung führt unter Verwendung zeitgemäßer Baustoffe zu einer glücklichen Synthese aus Beton, Glas und Stahl. Der Bruch mit der Tradition geht bei diesem kirchlichen Bauwerk jedoch weit über den künstlerischen Rahmen hinaus. Um die Raumwirkung voll und ganz zur Geltung zu bringen, wurde eine in langer Versuchsarbeit geschaffene Hängedachkonstruktion aus Spannbeton ausgeführt.

Dieser künstlerische Vorsatz bringt eine stille Revolution der Konstruktion und der Ausführung des Baues mit sich.

Der Konstrukteur muß an Stelle wirrer Fachwerkgerippe glatte Scheiben- und Flächentragwerke schaffen, die die Wirkung der Stütz- und Tragkräfte ähnlich den gotischen Gewölben klar offenbaren und die deshalb sichtbar bleiben können und sollen. Für die Überdachung des Kirchenschiffes von St. Maria Goretti wurde eine neue Hängedachkonstruktion entworfen, die nach einer Erfindung von Dipl.-Ing. Jakubec von der ausführenden Baugesellschaft G. und H. Menzel in langer Versuchsarbeit erprobt und entwickelt wurde. Rippen aus dem Höchstwertbeton B 450 überspannen einen 25 Meter freien Raum und sind dabei nur 25 X 12 Zentimeter stark. Sie werden mit je zwei Spannkabeln aus hochwertigem Stahl St 140/160 mit schweren hydraulischen Pressen vorgespannt. Je Rippe werden 50 Tonnen Spannkraft eingebracht, die dem Gewicht einer Schnellzugslokomotive entsprechen. Irh Endzustand weist das Dach eine zweifache Sicherheit gegen die höchstmögliche Wind- und Schneebelastung auf und ist als Betondach feuerbeständig und praktisch unbegrenzt haltbar.

Der Erfindung entsprechend wird die ganze Dachkonstruktion aus industriell vorfabrizierten Fertigteilen ohne Lehrgerüst hergestellt und ist dadurch trotz ihrer Kühnheit ebenso wirtschaftlich wie jedes andere Dach.

Noch mehr als der Konstrukteur steht der Bauunternehmer einer Vielfalt von neuen Problemen bei der Ausführung dieses Kirchenbaues gegenüber. Die Ausführung von schalreinem Beton, dem sogenannten Sichtbeton, ist in Wien relativ neu und verlangt von den Arbeitern große Geschicklichkeit und Sorgfalt. Durch den Formenreichtum der schiefwinkeligen Fenster wurde die Schal- und Betonierarbeit noch weiter bis an die Grenze des Ausführbaren erschwert. Zuletzt war der Bau nur so durchführ-

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bar, daß aus den 600 Arbeitern der Baugesell- senaft Menzel die Elitekräfte nach Kagran abgestellt wurden und den Arbeitern die ihnen nicht behagende, sorgfältige und langsame Arbeit dauernd eingeschärft wurde.

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