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Stadtplanung und Wiederaufbau

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In den Sälen des Kunstgewerbemuseums wurde kürzlich eine Ausstellung von Modellen und Projekten für Stadtplanung eröffnet, die vom British Council mit Unterstützung des Royal Institute of British Architects veranstaltet wird, um einen allgemeinen Eindruck von den Aufbauarbeiten in England zu geben. Diese Ausstellung erweckt sdion deshalb stärkstes Interesse, weil sie einen sehr in;er-essanten Vergleich mit der im Wiener Rathaus veranstalteten Ausstellung „Wien baut auf“ ermöglicht.

Der wesentliche Unterschied der beiden Ausstellungen liegt darin, daß „England baut auf“ die großzügige, auf wissenschaftlichen Voruntersuchungen aller Art beruhende Stadtplanung in den Vordergrund stellt, aus der sich die Einzelplanungen upd Bauten folgerichtig ergeben, während „Wien baut auf“ in erster Linie eine Art Rechenschaftsbericht der Stadtverwaltung über die bereits durchgeführten Wiederaufbauarbeiten bringt, wogegen die Stadtplanung selbst nur hinsichtlich ihrer grundsätzlichen Voraussetzungen und weniger Einzelprojekte gezeigt wird. Das, was der Besucher in der Wiener Ausstellung vergeblidt sucht, nämlich die städtebauliche Planung des Großraumes von Wien, die unbedingte Voraussetzung für jede Teilplanung irgendeines Stadtviertels oder einer Platzanlage ist, findet er in vorbildlicher Weise — leider nur für London — in der englischen Ausstellung gelöst. Hier sieht man, wie zuerst in großen Umrissen, ohne Eingehen auf einzelne Straßenzüge, das Stadtbild r.ufge-lockert und durch große Grünflächen assaniert wird, wie durch Planung von zehn Satellitenstädten jenseits des Grüngürtels die zum Abbruch bestimmten veralterten Stadtviertel entvölkert und damit günstige und gesunde Wohnbedingungen gesdiaffen werden. Dabei sind die Voraussetzungen für London und Wien ähnlich: planloses Hinauswachsen der Stadt über die alten Stadtgrenzen, gewaltige ' Zerstörungen durch Bombenangriffe und ungesunde Wohnverhältnisse in vielen Stadtteilen. Dazu kommt noch der Mangel an Baumaterial in genügendem Ausmaß, an dem beide Stadplanungen zu leiden haben, sowie die Tatsache, daß sich in beiden Städten das Bodeneigentum in privater Hand befindet. Trotzdem hat man für London, wie auch für andere englische Großstädce, den Weg großzügiger Planung beschritten, während sich die für die Wiener Stadtplanung berufenen Stellen eigentlich immer im Kreise bewegen, sich in Einzelprojekten zersplittern und jeden wirklichen großzügigen Aufbauplan bisher schuldig geblieben sind, wobei man sich hinter den Vorwänden möglicher Bodenspekulationen und der Forderung von Enteignungsgesetzen versteckt, die ja erst dann aktuell werden können, wenn eine wirkliche Großplanung vorliegt. Was englische Städtebauer zustande gebracht haben, dürfte doch für die österreichischen keine unlösbare Aufgabe bilden.

Die Wiener Stadtplanung ist, wir ein Vergleich der beiden Ausstellungen schlagend nachweist, dort steckengeblieben, wo die englische ihren Ausgang genommen hat, wobei man wieder sagen muß, daß die Engländer auch hier, in der Bodenerforschung, viel gründlicher und geschickter vorgegangen sind.

Noch ein Umstand fällt auf. Die englisehen Architekten haben sich sehr eingehend mit den verschiedenen Methoden des Wiederaufbaus bombardierter Häuserblocks be-sdiäftigt, zeigen interessante Vorschläge für Lenkung von Ausdehnung, Höhe und Form eines Gebäudes im Stadtkern, die Standardisierung von Fertighäusern mit möglichst Baumittel sparenden Methoden, während die Wiener. Ausstellung auf diesem Gebiete nur sehr spärliche Ansätze zeigt, obwohl unsere beschränkten finanziellen Mittel gerade hier ein möglichst rationelles und sparsames Bauen bedingen.

Vielleicht liegt der Grund für die große Verschiedenheit der beiden Ausstellungen darin, daß die Wiener Rathausmehrheit mit der Ausstellung „Wien baut auf“ so' nebenher den Zweck verfolgte, die von der sozialdemokratischen Stadtverwaltung zwischen 1920 und 1934 verfolgte Wohnbaupolitik in besonders schönem Lidite zu zeigen, für welche Annahme die Tatsache spricht, daß man in der Ausstellung „Wien baut auf“ die sehr umfangreichen und,bedeutsamen Assanierungs bauten der Zeit von 1934 bis 1938 sowie den Bau der Reichsbrücke (Brücke der roten Armee) und der Höhenstraße völlig übersehen hat. Während also die Wiener Ausstellung zum Teile parteipolitischen Anschauungen gerecht wird und dabei, vielleicht gerade aus diesem Grunde, wenig zukunftsweisend wirkt, beschränkt sich die englisch- Ausstellung einzig und allein, und deshalb mit größtem Erfolge, auf ihr rein sachliches Aufgabengebiet.

Die Vorbilder in „England baut auf“ sollten mithelfen, daß man endlich aus dem Stadium kleiner Einzelprojekte zu wirklich großzügiger Gesamtplanung vorstößt. Ist einmal dieses Fundament jeder wirklichen Stadterneuerung gesdiaffen, dann möge rgan für die Einzelplanung und die Finanzierung des Wiederaufbaues, der mehr als eine Generation dauern wird, die entsprechenden Vorkehrungen treffen; aber man zäume nicht das Pferd vom Schwänze auf.

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