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Bei den Schotten

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Unter allen jenen Faktoren, die für die Beurteilung der Kulturstufe eines Landes maßgebend sind, ist die Schule der verborgenste. Denn Theater und Presse, Kino und Mode, Lebenstempo und die Art sich zu geben sind viel offenbarer, sind ins Auge springende Resultate und Schlußphasen einer Entwicklung, die ihren Anfang in der Schule nimmt.

Der Hang zum Individualismus, der dem österreichischen Menschen eignet, seine innere Abneigung gegen jede Gleichschaltung auf welchem Gebiet immer, hat auch hier individuelle -Schulen hervorgebracht, von denen manche weit über die Landesgrenzen hinaus Berühmtheit erlangt haben. War auch der Schulplan überall der gleiche, jede dieser Anstalten hatte ihre eigentümliche Ambience, die so stark nachwirkt, daß man im späteren Leben häufig den Kalksburger vom Theresianisten, den Schüler Feldkirchs von dem des Schottengymnasiums unterscheiden kann.

Es steht auf historischem Boden — das Schottengymnasium: eng verbunden mit dem Schottenkloster, das in der Mitte des 12. Jahrhunderts entstand und sich damals noch außerhalb des mittelalterlichen Stadtkerns von Wien befand. Die schottischen Benediktiner, die Österreich 1418 verließen, um in ihre Heimat zurückzukehren, ahnten wohl nicht, daß die Erinnerung an ihr segensreiches Wirken Jahrhunderte später noch durch 'die Benennung von Plätzen, Straßen und Häusern fortleben und ihnen eine dauernde Volkstümlichkeit im Herzen der Wiener sichern werde.

•In der großen Stunde Wiens, im Sommer 1683, war der Ort, an dem sich derzeit das Gymnasium befindet, ein Bollwerk der Verteidigung gegen die vergeblich anstürmenden “Türken. Der verheerende Brand, der am ersten Tag der Belagerung ausbrach und das nahegelegene Zeughaus gefährdete, konnte erst eingedämmt werden, als Stift und Kirche samt allen dazugehörigen Objekten schon ein Raub der Flammen geworden waren.

Seine heutige Gestalt hat das 1807 gegründete Schottengymnasium seit 1848. Der anmutige, typisch österreichische, im fran-zisceischen Biedermeierstil zwanzig Jahre später von Kornhäusel erbaute Schottenhof umrahmt diese Schule, in der es nie trockenes, pedantisches Belehren gab, wohl aber eine ständige individuelle Einflußnahme auf Charakter und Geist, eine Wissensübertragung, die niemals aufgeblasen war, von katholischem und humanistischem Geist zwar durchdrungen, aber weit entfernt, sich zelotisch zu gebärden, so daß den Schülern anderer Konfess'onen vollkommen gleiche Behandlung zuteil wurde. Aus allen Klassen und Ständen setzte sich dieses Schül&rmaterial zusammen von einem traditionsreichen Professoren-kollegiium erzogen, das an Persönlichkeiten

nie arm war. Freude am Theater und Begeisterung für große Bühnenleistungen wurden immer wieder gefördert. Einst wohnten viele Schüler derselben Klasse einer Vorstellung der „Maria Stuart“ im Burgtheater bei: das Thema für den nächsten deutschen Aufsatz war „Kainz als Mor-timer“. Manche Physikstunde, die den ■trocken-theoretischen Problemen der Akustik hätte dienen sollen, wurde zu einem hinreißenden Vortrag über Wagnersche oder Brucknersche Harmonik, und das Ordensgewand war kein Hindernis, die Jugend mit der Darwinschen Fortpflanzungslehre bekannt zu machen. So konservativ die Lehrmethode scheinbar. waY, so hatte sie ein feines Gehör für alles Zeitgeschehen. Als Absolutismus und Vormärz, .Liberalismus und Sozialismus, Monarchie und Republik einander folgten, ging dieses große historische Geschehen nicht spurlos am Schottengymnasium vorüber, das von jedem dieser Systeme Gutes und Wertvolles übernommen hatte. „Es ist ein Stück Wiens und Niederösterreichs geworden, das sich so wenig wegdenken läßt wie der Stephansturm. Aus' cjem bäuerlichen und bürgerlichen Mark unseres Volkes hat das Schottenkloster sich immer seine besten Männer geholt. Das ist das Geheimnis der Stärke und Volkstümlichkeit seines Gymnasiums“, sagte der ehemalige Burgtheaterdirektor Alfred von Berger in seiner Festrede anläßlich des hundertjährigen Bestandes des Gymnasiums. Der Schottenschüler Ferdinand von Saar widmet eine seiner Elegien dieser Schule und faßt die Freude über die bevorstehenden Ferien in folgenden Hexametern zusammen:

„Aber die selige Lust auch, wenn endlich die

, schallende Glocke ,

Froh verkündet den Schluß, uns aus den Bänken entließ.

Hei, wie drängten wir fort! Erst still in geschlossenen Reihen,

Doch sie lösten gar bald jubelnd in Schwärme sich auf.“

Unter diesen „jubelnden Schwärmen“ befanden sich Knaben, aus denen später große Österreicher geworden sind: die Dichter Eduard von Bauernfeld, Friedrich Halm, Ferdinand Kürnberger, Robert Harne r-1 i n g, der Kardinal Fürst Schw ar-zenberg, Johann Strauß und der Maler Moritz Schwind, Johann Nestroy und der Schauspieler Josef L e w i n s k y, um nur einige der Berühmtesten anzuführen.

1938 wurde das Gymnasium geschlossen; nun ist es von neuem geöffnet. An dieser altehrwürdigen Stätte beginnt eine von allen Fesseln befreite Wissenschaft wieder ihr Haupt zu erheben. Die Fäden einer unterbrochenen, aber niemals abgerissenen Tradition weiterspinnend, wird das Schottengymnasium auch in Zukunft seine Mission erfüllen: für ein glückliches Österreich echt österreichische Menschen heranzuziehen.

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