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Die verkaufte Braut

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Jahrzehntelang hatten die Tschechen in der alten Monarchie das sogenannte Böhmische Staatsrecht umworben wie eine spröde Braut. Die Durchsetzung dieses Staatsrechtes sollte ja die Grundlage für die Selbständigkeit der Länder der Wenzelskrone bilden, die ihnen nach Ansicht der Rechtshistoriker seit urdenk- lichen Zeiten gebühre. Diese jahrzehntelange Arbeit von Gelehrten, von Juristen und Historikern, die von Politikern in der Realität des Tages verteidigt wurde, ist nun zerstört worden, verkauft worden um ein Linsengericht. Begangen wurde dieses Verbrechen von den Mitgliedern des Prager Nationalausschusses, die eine juridisch und historisch interessante Entscheidung fällten, der zufolge es eigentlich nie ein Böhmisches Staatsrecht gegeben habe und die böhmischen Länder nie selbständig gewesen seien.

Diese Feststellung ist aus einer Entscheidung Nr. XIII-1-11.228 VI-1947 des Prager Landesnationalausschusses abzuleiten, in der es wörtlich heißt, daß es eine selbständige österreichische Nationalität nicht gibt, „sondern es sich nur um einen Zweig der deutschen Nation handelt, der lediglich in einzelnen und dies in verhältnismäßig kurzen Abschnitten der Geschichte in einer vom Mutterstaat abgesonderten Staatseinheit lebte".

Der Prager Landesnationalausschuß hat leider Nationalität und Volkszugehörigkeit verwechselt. Er hat nicht gewußt, daß Nationalität von „nationalite“ kommt und soviel wie Staatsbürgerschaft bedeutet, bei der die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Sprache oder zu einem bestimmten Volk keine Rolle spielt. Es gibt eine Schweizer Nationalität, eine belgische, eine amerikanische, deren Besitzer den verschiedensten Völkern angehören können. Es gibt somit auch eine österreichische Nationalität, gleichgültig welchem Volk die Österreicher zugehören.

Aber der Ausschuß hat noch mehr nicht gewußt. Er hat nicht gewußt, daß die Stellung Österreichs innerhalb des alten Deutschen Reiches eine zumindest ebenso selbständige war wie die der böhmischen Länder. Das „Privilegium minus“, das Österreich große Freiheiten einräumt, stammt schon aus dem Jahre 1156, während Böhmen ein ähnliches Privileg erst 1212 erhielt. Die böhmischen Herrscher waren ebenso wie die österreichischen, deutsche Lehensträger und zur Heerfahrt verpflichtet. Ja, die böhmischen Herrscher nahmen seit Przemysl Ottokar I. an der deutschen Königswahl teil, besaßen das Amt eines Reichsmundschenken — „Es schenkte der Böhme des perlenden Weins", heißt es in dem bekannten Gedicht — und sogar die hohe Würde eines Kurfürsten.

Wenn also Österreich nur ein Adnex des Deutschen Reiches war, dann waren es die böhmischen Länder erst recht. Und wenn Österreich nie selbständig war, dann die böhmischen Länder noch weniger, dann gehörten auch sie die längste Zeit zum „Mutterstaat“ und aller Kampf um das Staatsrecht war eine Spiegelfechterei.

Dies sind freilich peinliche Tatsachen, von deren Kenntnis der Prager Landesnationalausschuß gänzlich unbeleckt zu sein scheint. Aber im übrigen — dies muß ihm zugebilligt werden —, ging es ihm gar nicht um juridische oder historische Erkenntnisse, die ihn wahrscheinlich unter allen Umständen gänzlich kalt lassen, sondern lediglich darum, den Raub eines Gutes, das einem Österreicher gehörte, in irgendeiner Form zu sanktionieren. Ein Verfahren, das bekanntlich Hitler im großen Stil anwandte, um seinen Räubereien ein Mäntelchen umzuhängen. Sein Ende ist bekannt.

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