"Ich will Spuren hinterlassen“

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Als junger Mann ging er ins Priesterseminar. Heute hat er als Vater, Weinbauer und Heurigenwirt sein Glück gefunden. Über Wolfgang Rieders Berufung vom Obstgarten des Vaters in den Weinberg des Herrn - und wieder zurück.

Es ist ein kalter, grauer Wintertag im Weinviertler Hügelland, der böhmische Wind pfeift über die Felder und Wolfgang Rieders Finger werden langsam klamm. Mit flatterndem Palästinensertuch, schwarzem Béret und Rebschere in der Hand stapft er durch den Schnee und schneidet die Weinstöcke so weit zurück, bis nur noch sechs bis zehn "Augen“ übrig bleiben. Aus ihnen soll es dereinst üppig sprießen: weiße Trauben für den Grünen Veltliner oder den legendären "Poysdorfer Saurüssel“; blaue Trauben für den Zweigelt, den Merlot oder die kunstvoll verschnittene "Poysdorfer Symphonie“.

Es ist keine gemütliche Arbeit hier draußen in der Kälte. Doch der 47-Jährige will nicht klagen: Zu sehr genießt er die Stille im Weinberg, das Reinigen, Stutzen und Anbinden der Reben nach fast biblischer Manier. "Das steckt voller Symbolik“, ist sich der Winzer bewusst. "Der Wein selbst ist für mich ein Getränk, das über den Moment hinausweist in die Transzendenz.“ Guter Wein halte sich jahrzehntelang - und ähnle in seiner Reifung verblüffend jener des Menschen: In jungen Jahren sei er lebendig und übersprudelnd; doch im Alter erhalte er Patina und brauche Zeit, um sich ganz zu entfalten.

"Schon früh Sinnfragen gestellt“

Dass Wolfgang Rieder kein gewöhnlicher Weinbauer ist, lässt schon ein Blick auf die Homepage seines "Veltlinerhofs“ erahnen: Vom "Feingefühl aus der Symbiose zwischen Himmel und Erde“ ist hier zu lesen, vom "geschenkten Vertrauen“ im Familienbetrieb - und vom Beruf, der ihm Berufung ist.

Es ist eine kurvenreiche Geschichte, die den visionären Unternehmer und dreifachen Vater dorthin geführt hat, wo er heute steht. 1963 als viertes von fünf Kindern geboren, gilt er nach dem Weggang des älteren Bruders als logischer Erbe des traditionsreichen Poysdorfer Weinbaubetriebs. Er will in die Fußstapfen seines Vaters treten und die Höhere Bundeslehranstalt für Wein- und Obstbau in Klosterneuburg absolvieren - als plötzlich die Mutter stirbt: Krebs. "Da habe ich mir sehr früh Sinnfragen gestellt“, erinnert sich Wolfgang Rieder. Er muss die dreijährige Schulform in Mistelbach wählen, um seinem Vater rasch eine Hilfe zu sein.

Mit Freude kehrt er zurück an den Hof. Es ist die Zeit, als sein Vater im Obstbau Pionierarbeit leistet: Binnen zehn Jahren wird die Zahl der Obstbaubetriebe in der Region von null auf 700 explodieren.

Doch der Sohn spürt tief drinnen, dass es da noch etwas anderes geben muss. Er fühlt sich zum Priester berufen - und der Vater, der bis zuletzt mit ihm gerechnet hat, lässt ihn einfach ziehen. "Heute ist mir noch viel klarer als damals, welche Größe für einen solchen Schritt nötig ist“, sagt Wolfgang Rieder. Zum Glück für beide löst sich prompt das Nachfolgeproblem. Der Schwager verliert seine Arbeit, kommt auf den "Veltlinerhof“ - und macht es dem Sohn damit leichter, seinen eigenen Weg zu gehen: zuerst ins Aufbaugymnasium nach Horn, 1986 dann an die Universität und ins Priesterseminar nach Wien. Doch erneut quälen ihn Zweifel: Er sehnt sich nach Familie, erbittet eine Auszeit vom Seminar - und tritt schlussendlich aus. "Ich habe der Kirche nicht den Rücken zugewandt, sondern bin einfach eine Kurve gegangen“, sagt Wolfgang Rieder rückblickend. "Jeder Mensch hat eben mehrere Talente und ist nicht nur auf ein Gleis gestellt.“

Beim Vater überwiegt anfangs die Skepsis. Dazu kommen unterschiedliche Auffassungen über die künftige Ausrichtung des Betriebs: Während der Vater weiter im Obstbau tätig bleiben will, sieht der Junior die Zukunft im Wein. Der Erfolg gibt ihm schließlich Recht: Schon sein erster Jahrgang landet unter den 200 besten Weinen Österreichs.

Heute, 15 Jahre nach der Übergabe des "Veltlinerhofs“, sind Vater und Sohn längst Freunde geworden. Heute ist der Priesterseminarist von ehedem glücklich verheiratet und Vater dreier Töchter, deren älteste gerade die Tourismusschule in Retz besucht. Dann und wann veranstaltet er Keller- oder Betriebsführungen an seinem Hof, untermalt mit christlichem Gedankengut oder Texten des Weinviertler Dichters Rudi Weiß. "Manche Leute sagen dann: Sie sind kein normaler Winzer“, erzählt er amüsiert. "Sie sagen: Da schwingt mehr mit.“

Ziel ist das Optimum für alle

Die Liebe zum Beruf habe ihm jedenfalls sein Vater vermittelt - wie auch das unternehmerische Ethos, nicht das (betriebswirtschaftliche) Maximum, sondern ein gewisses Optimum für alle anzustreben.

"An erster Stelle steht immer noch der Mensch!“ lautet der Grundsatz, dem er in seinem Betrieb Tag für Tag gerecht werden will. Karriere machen könne man mit einer solchen Einstellung nur schwer, ist sich Wolfgang Rieder bewusst. Aber einem erfüllten Leben komme man dadurch schon ziemlich nahe. "Ich will ja Spuren hinterlassen“, bringt der 47-Jährige sein Lebensmotto auf den Punkt.

Schon jetzt ist so manche Spur gut zu erkennen: etwa unten im "Veltlinerhof“, wo jeder Arbeitstag des Winzers mit einem gemeinsamen Frühstück aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beginnt; oder in seinem eigenen Heurigen, in dem trotz "Poysdorfer Saurüssel“ bis dato schlimme Räusche und Stänkereien ausgeblieben sind.

"Ich sehe das als Echo“, meint der Mann mit dem Béret und stutzt im frostigen Weinberg eine Rebe zurecht. "So wie es gedacht und gelebt wird, so kommt es zu mir zurück.“

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