Zeitungen - © pixabay / congerdesign

Visionen für analogen Journalismus!

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Der Blick auf Österreichs Printmedien zeigt Versäumnisse der Vergangenheit: Die Branche hat kaum in Forschung und Entwicklung investiert. Und Versuche, Journalismus in der digitalen Welt auf eine ausreichend finanzierbare Basis zu stellen, blieben bescheiden. Ein Gastkommentar.

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Der Blick auf Österreichs Printmedien zeigt Versäumnisse der Vergangenheit: Die Branche hat kaum in Forschung und Entwicklung investiert. Und Versuche, Journalismus in der digitalen Welt auf eine ausreichend finanzierbare Basis zu stellen, blieben bescheiden. Ein Gastkommentar.

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Vor allem am Wochenende lese ich – nun beinahe 65-jährig – die Tageszeitungen fast ausschließlich in den gedruckten Ausgaben. Viele Abonnentinnen und Abonnenten der Papierzeitung reagierten in den letzten Monaten mit großer Geduld bis Verärgerung auf die sich häufende Nichtzustellung der Zeitung in etlichen Gebieten Österreichs. Als kürzlich gar keines der drei abonnierten Tagblätter am Samstag vor der Tür unserer Wiener Wohnung lag, hatte ich kurz das Gefühl vom Beginn des Endes einer Ära.

Vieles lese ich unter der Woche digital, am kleinen Smartphone-Bildschirm, am mittelgroßen des Notebooks unterwegs im Zug oder auf den ganz großen Schirmen in meinen Büros. Am Wochenende oder spätabends bin ich allerdings enorm froh, dass ich mir Auszeit von den Screens der Berufswelt nehmen kann, weil es Lesenswertes auch auf Papier gibt. Noch.

Zum 75. Geburtstag dieser Zeitung schrieb ich optimistisch zur Zukunft der gedruckten Medien und führte etliche Gründe dafür an. Sie gelten noch, aber ich wiederhole sie nicht, denn das ist für FURCHE-Abonnenten rasch nachlesbar. Doch in den seitdem gelebten gut vier Jahren hat sich einiges weiterentwickelt. Durch die völlig unnötige Einstellung der der Republik gehörenden Wiener Zeitung Mitte letzten Jahres und der letzten Parteitageszeitung Volksblatt (ÖVP) zu Ende des Jahres wurde die Wahlmöglichkeit für uns Bürger und Bürgerinnen im Bereich der gedruckten Tageszeitungen von zuletzt ohnedies nur 14 auf nur mehr 12 reduziert. Wie weit nach unten soll die tagesaktuelle Medienvielfalt noch gehen, bis endlich spürbar von Medienwirtschaft und Medienpolitik gegengesteuert wird? Neugründungen von tagesaktuellen journalistischen Digitalmedien sind Mangelware oder aus unterschiedlichen Gründen (Partei- und andere Interessensnähe, journalistische Substandards) sehr mangelhafte Ersatzangebote für die Verluste im Printbereich.

Auf dem Weg ins Mediengrab?

Den beiden genannten Tagblättern werden – so nicht gehörig mehr geschieht – bald weitere ins Mediengrab folgen. Bei den Tageszeitungen wurden die Redaktionsstäbe weiter kräftig und dynamischer als bisher ausgedünnt: 2023 verloren zahlreiche Journalistinnen und Journalisten beim Standard, bei der Kleinen Zeitung und beim Kurier ihre Arbeitsmöglichkeit. Nun verlieren beim Kurier gleich weitere 40 der bisher 175 Redaktionsmitglieder ihren Arbeitsplatz. Das ist fast ein Viertel der Redaktion.

Transformation ins Digitale, wofür es von der Politik einiges an Fördergeld gab und gibt, mündet so in einer klaren Schwächung des Journalismus. Denn der digital ausgespielte Journalismus bräuchte doch genauso viele menschliche Ressourcen im Bereich Themenfindung, Recherche und Gestaltung. Die Zukunft sei digital, begründete die Medienministerin die Einstellung der gedruckten Wiener Zeitung. Nur, es wurde zugleich die digitale Tageszeitung gekillt. Die WZ neu ist zwar digital, aber gewiss keine digitale Tageszeitung, dafür reichen die eingesetzten personellen Ressourcen gar nicht.

Weiters gab die aktuelle Medienministerin Susanne Raab in einer ZIB2 zu Protokoll, die gedruckte Wiener Zeitung sei auch deshalb überfällig, weil sie bei den über 90-Jährigen mehr Leserinnen und Leser hätte als bei den unter 30-Jährigen. Fakten legte sie dazu zwar nicht vor, aber es darf schon gefragt werden, ob eine Medienpolitik offenkundig altersdiskriminierend sein darf. Haben nicht Bürger aller Altersklassen das gleiche Recht auf ein journalistisches Angebot? Bei einem Medium wie der Wiener Zeitung – und nun der WZ neu – , das überwiegend öffentlich finanziert ist, wird diese Frage wohl klar mit Ja zu beantworten sein. Und bei privatwirtschaftlichen Medien?

Ein Blick auf die Alterstruktur der Gesellschaft sowie deren prognostizierte Entwicklung zeigt, dass ein möglicherweise abrupter Wegfall der gedruckten Tageszeitungen sehr viele Menschen journalistisch heimatlos macht. Denn dass sich die meisten der heute über 60-Jährigen in die digitale Medienwelt ersatzweise bewegen wollen oder können, ist eine wirklich große unbeantwortete Frage.

Zu lange auf dem eigenen Erfolg ausgeruht

Forschung und Entwicklung könnten darauf Antwortversuche geben. Aber die journalistische Medienbranche war sich ihres Erfolges viel zu lange zu sicher, um vorsorglich hier zu investieren. Wenn die Forschung von außen in die Branche hineinblickte, wurde sie eher als Ruhestörer begriffen. Wirtschaftlich relevante Kennziffern verhüllte die Medienbranche tunlichst vor der neugierigen Wissenschaft. Peter A. Bruck, der Anfang der 1990er Jahre ein breit angelegtes Forschungsprojekt zu „Ökonomie und Zukunft der Printmedien in Österreich“ am Salzburger Publizistik-Institut geleitet hat, kann ein langes Klagelied davon singen.

Etienne Jornod wurde im April 2013 Verwaltungsratspräsident der Schweizer NZZ-Gruppe. Er analysierte zunächst ausführlich die Verhältnisse der für ihn neuen Branche und meldete sich eineinhalb Jahre später, am 8. September 2014, in der Neuen Zürcher Zeitung mit einer erhellenden Analyse zu Wort: „Eine Lehre ist, sich frühzeitig mit der Zukunft auseinanderzusetzen. Ich kenne keine andere Industrie, die so wenig in Forschung und Entwicklung
investiert wie die der Medien. Die Medienbranche hat ihre eigene Revolution verschlafen.“ Ich weiß nicht, wie viele Medienmanager und Medieneigentümer vor knapp zehn Jahren diesen Text gelesen haben. Trügt mich der Eindruck, dass in den meisten Bilanzen heimischer Medienunternehmen beim Ausgabenpunkt „Forschung“ zumeist eine Null oder ein sehr niedriger Wert im letzten Vierteljahrhundert anzutreffen war?

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