Theater als ein Probegang ins Nirwana

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Die vom Autor Alois Hotschnig selbst dramatisierte Erzählung "Im Sitzen läuft es sich besser davon" zeigt die Herausforderung des Alterns voller Würde und Verzweiflung und wurde - als Uraufführung - am Schauspielhaus Salzburg erschreckend realistisch inszeniert.

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Die vom Autor Alois Hotschnig selbst dramatisierte Erzählung "Im Sitzen läuft es sich besser davon" zeigt die Herausforderung des Alterns voller Würde und Verzweiflung und wurde - als Uraufführung - am Schauspielhaus Salzburg erschreckend realistisch inszeniert.

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Zuerst: Ein altes Ehepaar, zu Hause, versorgt mit Essen auf Rädern. Er erstellt mit einer unvorstellbaren Zettelwirtschaft die Einkaufsliste, wiewohl doch nicht mehr gekocht wird. Krautsuppe ist ein Thema.

Am Ende: Szenen zwischen Diesseits und am Eingang zum Jenseits. Eine Assistentin und Patienten im Warteraum vor dem endgültigen Aus. Die Assistentin, die vorher Aufseherin in einem Altenheim hätte sein können, entpuppt sich zuletzt als Doktor Tod oder Doktor Dignitas, die auch mit Gewalt Pillen verpasst.

Züge des absurden Theaters

Die Rede ist von dem Stück "Im Sitzen läuft es sich besser davon", das der Kärntner Autor Alois Hotschnig aus seiner Erzählung zur Uraufführung am Schauspielhaus Salzburg selbst dramatisiert hat. Hotschnig pflegt und meistert die literarische Gattung der Erzählung, sie trägt im vorliegenden Fall Züge des Existentialismus bis hin zum absurden Theater des Samuel Beckett und dessen "Warten auf Godot".

In dem Stück nun werden die Menschen von Szene zu Szene älter, reden, jeder mit seinen eigenen Problemen und Fantasien beschäftigt, aneinander vorbei. Mit all den Endlosschleifen, die man aus der Sozialarbeit kennt und in der Betreuung dementer und Alzheimer Patienten täglich zu hören und zu spüren bekommt. Von einem "Krater in meiner Lebensanschauung" spricht der österreichische Autor Arno Geiger, während er den Verfall seines Vaters verfolgt; es handle sich um einen Angriff auf das eigene Selbstverständnis, etwa wenn es dunkel wird und der Vater voller Unruhe, mit Schweiß auf der Stirne, umherirrt: "Der Anblick dieses kurz vor der Panik stehenden Menschen geht mir durch Mark und Bein", denn er leiste sich keinen hartnäckigen Stellungskrieg gegen seinen geistigen Verfall.

Vieles wirkt auf der Bühne beim ersten Hinhören lustig und regt zum Lachen an, vor allem den jüngeren Teil des Publikums "50minus". Alles verdichtet sich aber zusehends zum unumkehrbaren Gang in das Nirwana, in die Welt der Dementen, aus der sie bis zu ihrem Tod nicht mehr herausfinden.

Erschreckend realistisch

Das fordert die Schauspieler bis ins Extreme. So zeigt Harald Fröhlich als Karl diesen Weg vom Zettelkramer bis zum nicht mehr ansprechbaren Greis mit offenem Mund und Kapuze auf dem Kopf als erschreckend realistisch; Ulrike Arp als Frau Harter schleicht mit ihrem Koffer den Handlauf entlang, der von Anfang an den Spielraum in einer Art Schachtel mit drei Wänden zusammenhält, in der mit ein paar Sesseln agiert wird (Bühnenbild Mirjam Benkner). Diese Wanderung den Wänden entlang absolviert sie mit grausam starrem Blick aus einem Kosmos, aus dem auch sie nicht auszubrechen vermag. Der ungemein quälende Eindruck, nicht zu Hause zu sein, gehört zu diesem Krankheitsbild. Julia Gschnitzer (selbst 85 und gottlob bei guter Gesundheit) ist eine fröhliche alte Frau Orter, die sich trotz Wassers in den Beinen gesund fühlt und einen Zahn in der Handtasche mit sich führt, damit sie "komplett" ist, wenn es einmal "dazu" kommt. Inzwischen hält sie sich mit Turnübungen am Handlauf fit.

Die Bühnenpräsenz der anderen Akteure steht Julia Gschnitzer in nichts nach: Daniela Enzi als Gerda, Marcus Marotte als Sohn Paul, der mit seinen Eltern nicht mehr zurecht kommt, und Christiane Warnecke, die als Wächterin ins Jenseits bestellt ist.

Regisseur Max Claessen hat der Dramaturgie des Stücks (Christoph Batscheider) und dem vorgegebenem Erzähltempo mit allen Umständlichkeiten entsprochen. Wenn man meint, man könnte das Stück etwas kürzen, indem man die unendliche, glänzende Suada von Olaf Salzer als Herrn Renk zusammenstreicht und so das Stück effektvoll ohne Pause durchspielt, so verkennt man, dass das Leben anders, umständlicher abläuft. Es ist eine bewusste Einübung in ein Schicksal, von dem jeder hofft, es möge bei ihm nicht anstreifen und berührungslos vorbeiziehen. Die Realität kostet eben Zeit.

"Sinnsucher" wie wir alle

Aber: Auch schwerst demenzkranke Menschen verfügen über ein höchst differenziertes emotionales Erleben und zeigen Ärger bei Nötigung. Damit hat wohl auch der Bonner Gerontopsychiater Rolf Hirsch recht, wenn er moniert, dass tagtäglich die Menschenwürde von Demenzkranken verletzt wird, mit Gitter am Bett, verschlossenen Türen und Psychopharmaka, um sie ruhig zu stellen. Dennoch sind diese Patienten immer noch "Sinnsucher" wie wir alle.

Der erst nach und nach stärker und anhaltend werdende Beifall ließ schließlich doch mit einiger Beklemmung erkennen, dass hier nicht Satire, sondern wirkliches Leben gespielt wird. Sozusagen Theater als Probegang ins Nirwana.

Im Sitzen läuft es sich besser davon

Schauspielhaus Salzburg, 2., 3. April

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