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Beat und Nicht-Beat

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JUNGE AMERIKANISCHE LYRIK. Herausgegeben von Gregory Cottomi Walter Hol lerer. Carl-Hanscr-Verlag, München, 1961. 277 Seiten. PreU 16.80 DM (mit Schallplatte 19.80 DM).

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JUNGE AMERIKANISCHE LYRIK. Herausgegeben von Gregory Cottomi Walter Hol lerer. Carl-Hanscr-Verlag, München, 1961. 277 Seiten. PreU 16.80 DM (mit Schallplatte 19.80 DM).

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Der Waschzettel des Verlages stellt das Buch fälschlicherweise als eine Sammlung der „Beatnik“-Lyrik vor. Obwohl Gregory Corso, der amerikanische Mitherausgeber, in der Tat zum obersten Dreigestirn der vielberedeten „Beat Generation“ gehört — neben Jack Kerouac und Allen Ginsberg —, bekennt er in der (an das Ende des Buches gestellten) „Einführung“: „ ... beinahe wäre mir Beat wichtiger als Dichtung gewesen. Ich preise nichts außer Dichtung, hier ist also eine Anthologie einiger junger amerikanischer Dichter, einige sind Beat, andere nicht, und diese habe ich persönlich gern. Lang lebe Beat! Lang lebe Nicht-Beat! Lang lebe alles! Dichtung wird immer leben!“

Es ist in diesem Band eine Reihe der bekannteren Lyriker der Beat-Gruppe mit recht typischen Beispielen ihres Werkes vertreten: neben den drei obengenannten Lawrence Ferlinghetti, Peter Orlovsky, Philip Lamantia und andere. Aber außer denen, die etwa vom „Black-Mountain“ -Zirkel her sich mehr oder minder am Rande gleichfalls dazurechnen, bringt die Anthologie, ähnlich wie die im Vorjahr erschienene amerikanische Sammlung „The New American Poetry 1945—1960“, die der ehemalige Mitherausgeber der „Evergreen Review“ (Grove Press) zusammengestellt hat, eine Reihe von jungen amerikanischen Poeten, die es ausdrücklich ablehnen, als „Beat“ zu gelten.

Corso und der deutsche Professorautor Höllerer haben so einen relativ repräsentativen Querschnitt durch die junge antiakademische Lyrikergeneration erreicht, der die „Gruppenzugehörigkeit“ des einzelnen nebensächlich erscheinen läßt.

Ob San Francisco Renaissance, Green-wich Village Poets oder Black-Mountain-Kreis: gemeinsam ist ihnen die Abkehr von der vorher für Jahrzehnte die Literaturkritik der Universitäten und die literarischen Zeitschriften beherrschenden „New Critics“.

Die Anthologie enthält die englischen Originaltexte und deutsche Übertragungen; nur einige davon von Höllerer. Wenn man sie miteinander vergleicht, hat man fast den Eindruck, daß der deutsche Text oft gerade das „Spezielle“ des formal und aussagemäßig Angestrebten „origineller“ erreicht, obwohl gerade bei den „Beat“-Autoren die Benutzung der zu einer Art Geheimsprache gewordenen „Hipster“-Terminologie (to be hip heißt: Bescheid wissen, durch alles hindurchsehen l) es schwer macht, Ausdrücke, die hier manchmal das gerade Gegenteil von dem bedeuten, was der Webster sagt, aus deutschem „S 1 a n g“ adäquate Übersetzungen anzugleichen. Die hier vorgestellte junge amerikanische Lyrik ist bei aller ihrer (manchmal überspitzt-grotesken) Rebellenhaltung keineswegs ohne Traditionsbewußtsein: Walt Whitman, William Carlos Williams und Ezra Pound stehen deutlich bei vielen Pate; die französische Avantgarde ist ebenfalls nicht ohne Einfluß geblieben. Die Gleichzeitigkeit mit deutscher experimenteller Lyrik, die Höllerer in seinem Nachwort erwähnt, scheint mir nicht überzeugend, auch wenn Rainer M. Gerhardt („fragmente“) Kontakte zu den Black-Mountain-Leuten hatte (das College ist von einem deutschen Bauhausschüler gegründet worden).

Die Haltung zur Umwelt ist bei der deutschen Avantgarde stets eine andere gewesen. Der Expressionimus verkündete wirklich eine „Menschheitsdämmerung“. Man sah sich als Vorkämpfer einer neuen Zeit, glaubte an ein sinnvolles Morgen, das man in der Literatur und Kunst, aber auch in der Gesellschaft vorzubereiten entschlossen war. Die amerikanische neue Lyrik scheut vor jeder Stellungnahme, die sie (auch als Gegner) mit der Welt der „togetherness“ verbinden könnte, zurück. Die „Rebellen ohne Ziel“ wollen das „disengagement“. Davon schreiben sie und das — leben sie.

Wie sehr gerade bei ihnen Leben und Aussage der gleichen Wirklichkeit angehören, zeigen deutlicher noch als die Gedichte die mehr oder minder autobiographischen Romane von Kerouac, Bur-roughs, Holmes, Mandel und so weiter, die man zu Rate ziehen sollte, um die Atmosphäre dieser literarischen Generation wirklich kennenzulernen.

„Die Skala der jungen amerikanischen Dichtung ist breit“, sagt Walter Höllerer im Satz, der das Nachwort abschließt. „Aus klugen, listigen, abwägenden, zweifelnden Augen mustern uns diese fremden Gesichter. Wo sie heiter sind, sind sie es oft mit einem versteckten, schmerzhaften Flackern. Es spiegelt sich in ihnen diese „seltsame Eigenart einer Erde, die man noch nie gesehen hat, und der zerstörten Dinge, die wie nie zuvor zerstört worden sind“.

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