6603005-1953_52_04.jpg
Digital In Arbeit

Der Fall Paulus

Werbung
Werbung
Werbung

Nach neuem Material über den Feldmarschall Paulus besteht in Westdeutschland phänomenale Nachfrage, ein echtes Angebot steht ihr nicht gegenüber. Ein Besuch bei den Anverwandten des Feldmarschalls gehört zu den etwas peinlichen Augenblicken eines Journalistenlebens: mühsam beherrschte, etwas gequälte Züge, Blicke, dünngescheuert durch das Wissen, daß der freundliche, einem empfohlene Gesprächspartner sich doch nach dem Plauderstündchen aufmachen wird, um den nächsten Anverwandten auf irgendeine neue Art und Weise zu verdammen.

In Offizierskreisen stößt man meist auf gefühlsbetonte Aussage: „Paulus kann gar nicht nach Westdeutschland kommen, die Stimmung unter den einstigen Soldaten ist so erbittert, daß er seines Lebens nicht sicher wäre.“ Wobei sich herausstellt, daß dem Feldmarschall nicht so sehr die Haltung in den letzten Tagen und Wochen des Ringens der VI. Armee vorgeworfen wird, als das, was später kam: das Paktieren mit den Russen, endlos hingezogen, ohne Ergebnis und Würde.

Im Grunde stimmt das übrigens wohl nicht: Die Stimmung in Westdeutschland ist auch unter den ehemaligen Soldaten so verträglich, das allgemeine Interesse so vorwiegend wirtschaftlich, daß Paulus auch im Rheinland sicher leben würde. Im Klima des „deutschen Wunders“ erscheinen Fememorde unmöglich. Versucht man aber Informationen von jenen Menschen einzuholen, die für ihre guten Beziehungen nach der Ostzone bekannt sind, so erfährt man nur, daß der Feldmarschall in der Nähe von Dresden wohne und daß zwischen ihm auf der einen und Männern vom Schlage Ulbricht und Grotewohl auf der anderen Seite schon seit längerem Kontakt bestanden habe. Das ist alles.

Aber im Grunde liegt der Fall Paulus auch mit dem. was wir wissen, recht klar vor uns, es bedarf der sensationellen Abrundung gar nicht mehr. Paulus ist das Sinnbild für den Zusammenbruch einer ganz bestimmten Mentalität und Ehrauffassung geworden, er repräsentierte ein Verhalterisschema, das an den Gegebenheiten des technisierten Großkrieges einfach zerbrach und dabei ein weiches, ja serviles Gemüt freigab, das dem jeweils übermächtigen Druck nachgab, ja noch immer nachgibt.

Was ist über das Leben des Feldmarschalls eigentlich bekannt? Er wurde 1890 als Sohn eines hessischen Kreisverwaltungsinspektors geboren, gehörte also nicht der typischen Mjlitärschichte an, wie auch das häufig seinem Namen vorgestellte „von“ auf einem Irrtum beruht. Paulus studierte zuerst Rechts- und Staatswissenschaft und trat dann in das Infanterieregiment Markgraf Ludwig Wilhelm Nr. 111 ein. Als Adjutant des III. Bataillons ging er in den ersten Weltkrieg und wurde bald in den Generalstab versetzt. Nach dem Zusammenbruch wurde er von der Reichswehr übernommen und nach der Machtergreifung Chef des Stabes beim Kommandierenden General der neugebildeten Panzertruppe. Fünf Jahre später war er Oberst und fungierte als Stabschef des XVI. Armeekorps, übrigens des einzigen, damals einsatzfähigen Panzer-kof ps.

Paulus war enger und unmittelbarer mit der Panzerwaffe verbunden als die etwas älteren Offiziere. Man hatte dies manchmal herangezogen, um einen gewissen Mangel an Reitergeist, Opferbereitschaft und Tradition zu erklären. Daran ist vielleicht ein Körnchen Wahrheit, doch soll man es nicht übertreiben. Guderian war gewiß störrischer und hartnäckiger, in den entscheidenden Augenblicken versagte auch er. Rundstedt war gewiß mehr der Reiteroffizier alter Vorstellungen, aber er brachte es über sich, im Ehrenhof über Männer zu Gericht zu sitzen, von deren Absichten und Vorbereitungen er Kenntnis gehabt hatte. Es handelt sich hier also wohl mehr um die Formen als um den Inhalt. Als der Krieg ausbrach und Hitler der Wehrmacht den Auftrag et teilte, den polnischen Widerstand zu brechen und das Land zu besetzen, wurde Paulus Stabschef bei General von Reichenau, der die zehnte Armee in einer Reihe präziser und blitzschneller Bewegungen von Sieg zu Sieg führte. Die Armee wurde dann umbenannt, bekam ihre Schicksalsnummer, „Die Sechste“, und stieß über Belgien nach Frankreich vor.

Zwischen September 1940 und Jänner 1942 leitete Paulus die Führungsgruppe im OKH. Als Stellvertretendem Generalstabschef fiel ihm die Ausarbeitung der Aufmarschpläne gegen die UdSSR zu, die er dann in Nürnberg maskenhaften Gesichtes und mit schleppender, gepreßter Stimme „verbrecherisch“ nennen sollte. Als Reichenau einen Herzschlag erlitt, wurde Paulus, der typische „Chef“, Heerführer, sein Chef aber wurde nun ein fanatischer, kleinsinniger Mann, ebenfalls ein tüchtiger Organisator, der Generalleutnant Arthur S c h m i d, der seit 1949 in der Weite des Ostens verschwunden ist. Ahnte irgend jemand in der siegesgewohnten VI. Armee, daß diese glänzende Macht von keinem Heerführer kommandiert wurde, daß das Los der 300.000 zwei „Chefs“ anvertraut war?

Die Tragödie der Armee ist so bekannt, daß sie hier nicht nochmals skizziert werden muß. Die für Paulus entscheidenden Augenblicke waren folgende:

1. Nach der vollzogenen Einkesselung: Der Ausbruch nach dem Westen war in diesem Augenblick durchaus möglich. Hitler verbat ihn sich, und als reine Fachkraft könnte sich Paulus zu dem Entschluß strategischer Rebellion nicht durchringen.

2. Während des Ersatzstoßes durch die Panzerarmee Hoth: Noch einmal hätte Paulus sich zu einem eigenen Entschluß durchringen können, doch wäre der Ausgang diesmal zweifelhaft gewesen; eine Strecke von 60 Kilometer hätte überwunden werden müssen, und dafür waren die Spritvorräte unzureichend.

3. Am Ende des Kampfes, als es galt, das furchtbare Elend, das Paulus seine Männer hatte tragen lassen, durch die Größe eigener Haltung zu ergänzen.

Die Russen, die schließlich in sein Hauptquartier eindrangen, wollten wissen, ob Paulus einen Wunsch habe. Es war sein Wunsch, nicht zu Fuß durch die Stadt marschieren zu müssen, und dieser Wunsch ging, so wir Plivier Glauben schenken können, auch in Erfüllung.

Nachdem Paulus also den letzten Kampf, den Kampf um sein Hauptquartier, nicht gekämpft hatte, folgte die lange Geschichte von Irrtum und Erniedrigung. Die seltsame Aussage von Nürnberg, die über die Generalstabsarbeit härter urteilte als schließlich das internationale Tribunal, die zwielichthafte Rolle in der Gefangenschaft, vor und nach dieser Aussage, die noch zwielichthaftere Verbindung mit den Männern von Pankow, vor und nach dem Berliner Aufstand. Jeden dieser Züge folgt man in Deutschland mit größter Aufmerksamkeit, und es ist eigenartig zu beobachten, wie in der Erwartung des Publikums ein bizarrer Glaube an die allseitige Austauschbarkeit und runde Verwendungsmöglichkeit des Militärmanagers eine Rolle spielt. Schlagzeilen wie „Paulus mit einer großen Armee in Korea“ entsprechen einer grausigen Erwartung, die im Grunde doch keine Deckung in der Realität findet. Die restliche Ideologisierung der Masse auf der einen, die restliche Sterilisierung des Managers auf der anderen Seite findet doch im Menschlichen seine Begrenzung, und man kann daher vermuten, daß Paulus niemals mehr eine echte Rolle spielen wird.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung