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DIE DREI GREISE

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Wenn Ihr betet, so sollt Ihr nicht plappern wie die Heiden, die da meinen, daß sie um ihres vielen Redens erhört werden; seid ihnen nicht gleich, denn Euer Vater im Himmel weiß, wessen Ihr bedürft, ehe Ihr Ihn bittet.

Matth. 6-7/8

Ein Bischof fuhr einmal nach dem Kloster Solowetzk. Es waren auch Pilger an Deck des Schiffes. Der Wind blies günstig, das Wetter blieb die ganze Zeit heiter, so ging der Bischof hin und her auf Deck; da sah er, daß ein Haufen Menschen um einen Bauern sich versammelt hatten, der ihnen etwas zu erzählen schien, mit der Hand in die Ferne weisend. Der Bischof blickte in der gleichen Richtung, sah aber nichts, als die glatte Wasserfläche, auf der die Sonnenstrahlen glitzerten. Er kam näher, um zu hören, worüber der Mann berichtete. Die Bauern nahmen ihre Mützen ab, und der Erzähler hielt mit dem Sprechen inne, alle erwiesen dem Bischof Achtung. „Laßt euch nicht stören, Brüder“, sagte der Bischof, „ich möchte wissen, was man euch erzählt.“ „Ich erzähle von den drei Greisen, Eminenz!“ „Von welchen Greisen?“ Der Bauer entgegnete: „Dort liegt eine ganz kleine Insel, auf der die drei Greise leben, nach dem Seelenheil suchend.“ „Was für Greise sind es denn?“ „Drei Männer Gottes. Ich hatte schon früher von ihnen gehört, im vorigen Sommer bekam ich sie zu sehen.“ Und der Bauer berichtete, er sei Fischer, ein Sturm hätte einmal sein Boot zu der Insel abgetrieben, und da es schon zu dunkeln begann, legte er an und stieg ans Ufer. Dort sah er eine Hütte, vor der drei Greise standen, sie luden ihn zu sich ein und gaben ihm zu essen… „Wie sahen denn die drei aus?“ wollte der Bischof wissen. „Der eine ist klein, trägt eine Kutte und geht ganz gebückt, wird wohl an die hundert Jahre alt sein, der Silber- graue Bart reicht ihm bis an die Knie; der zweite hat ein düsteres Gesicht, seine Brauen hängen ihm bis auf die Augen hinab; der dritte ist etwas jünger und sehr stark, er hat mein Boot allein ans Ufer heraufgezogen.“

Haben sie mit dir gesprochen?“

„De sprachen wenig, schienen einander zu verstehen, wenn einer dem anderen nur einen Blick zuwarf. Ich wollte wissen, ob sie schon lange auf der Insel lebten, da wurde der Alte zornig und murmelte sich etwas in den Bart.“

Inzwischen war das Schiff näher .gekommen, und der Bischof konnte die kleine Insel gut unterscheiden. Er sagte dem Steuermann, daß er sie gern besuchen würde. „Ich kann dort nicht anlegen, da es zu flach ist, doch mit einem Boot können Sie, Eminenz, hinkommen.“ Es wurde ein Boot hinabgelassen, der Bischof stieg auf einer Strickleiter hinab und wurde zur Insel gerudert. Dort stieg er an Land und sah die drei Greise; sie standen vor ihrer Hütte, sich an den Händen haltend. Als er näher kam, verneigten sie sich tief vor ihm, und er segnete sie. „Ich halbe gehört“, sagte er, „daß ihr hier euer Seelenheil sucht, wohl auch für das Seelenheil der Menschheit betet? Ich bin ein Diener Gottes, durch Seine Gnade berufen, seine Herde auf Erden zu weiden, daher wollte ich auch euch, Knechte Gottes, Belehrung erteilen. Erzählt mir, mit welchen Worten ihr betet und Gott dient.“ Der Älteste gab zur Antwort: „Wir verstehen nicht, Gott zu dienen und beten nur um unser eigenes Heil. Unser ganzes Gebet besteht nur aus folgenden Worten: ,Ihr seid drei und wir sind drei, drum steht uns bitte bei.“' Kaum hatte er diese Worte gesprochen, als die anderen ihre Augen zum Himmel erhoben und wiederholten: „Ihr seid drei und wir sind drei, drum steht uns bitte bei."

„Nun — so habt ihr also doch etwas von der Dreieinigkeit gehört, ich sehe, Ihr wollt und versteht nicht recht, Gott zu dienen. Hört mir zu, und ich will euch so zu beten lehren, wie es Gott die Menschen gelehrt hat.“ Der Bischof begann ihnen das Vaterunser vorzusprechen. Er ließ sie es Wort für Wort wiederholen, sie stockten oft, sprachen die Worte nicht richtig nach und murmelten Unverständliches.

Der Bischof mühte sich, auf einem Stein sitzend, den ganzen Tag mit ihnen ab, bis gegen Abend die drei das ganze Vaterunser auswendig wußten. Als der Mond aufging, erhob Sich der Bischof, verabschiedete sich von den Greisen, die sich wieder tief vor ihm verneigten. Er küßte jeden von ihnen und gebot, stets so zu beten, wie er sie gelehrt habe. Dann bestieg er das Boot und kehrte zurück zum Schiff. Lange noch hörte er die Stimmen der Greise, die auf der gleichen Stelle stehen geblieben waren und das Gebet immer wiederholten.

Die Pilger auf dem Schiff waren schon schlafen gegangen, der Bischof blieb an Deck und schaute immer nach der im Dunkel verschwindenden Insel. Er dachte daran, wie die Greise sich gefreut hatten, endlich das Gebet richtig nachsprechen zu können und dankte Gott, daß er ihm die Gnade erwiesen hatte, ihn zu den dreien zu führen und sie belehren zu dürfen. So stand er da und schaute aufs Meer hinaus. Plötzlich sah er im silbernen Streifen des Mondlichtes etwas, das einem weißen Vogel ähnelte. War es eine Möwe? Oder etwa das Segel eines kleinen Bootes? Doch er sagte sich: „Was uns da nachschwimmt, ist weder ein Vogel, noch ein Segel, denn es kommt so rasch herbei, daß es uns bald einholen wird. Einem Menschen sieht es auch nicht ähnlich, und wie könnte auch ein Mensch übens Meer schreiten?“ Er machte den Steuermann darauf aufmerksam, der nahm ein Fernrohr zur Hand… „Mein Gott!“ rief er aus, „da schreiten drei Menschen übens Wasser, als liefen sie auf dem Trockenen!“' Er rief es so laut, daß die Pilger erschrocken aufs Deck herausgestürzt kamen, und sie alle, sowie der Bischof selbst, sahen, daß es die drei Greise waren; sie kamen nahe ans Schiff, winkten mit den Händen und schrien, das Fahrzeug möchte anhalten. Als sie ganz nahe waren, riefen sie alle drei wie aus einem Mund:

„Knecht Gottes! Solange wir die Worte des Gebetes wiederholten, sprachen wir das ganze Gebet richtig; als wir aber für eine Stunde einschlummerten, war uns ein Wort entfallen, danach fiel auch das ganze Gebet auseinander! Bitte komm zurück zur Insel und lehre es uns wieder.“

Der Bischof drängte sich durch zum Bord und sprach: „Liebe Greise! Ich sehe, daß ich nicht berufen bin, euch zu belehren. Geht in Frieden und betet, wie ihr bisher es getan habt, betet auch für meine sündige Seele.“ Dabei segnete er die drei Greise.

Diese verneigten sich tief und glitten zurück übers Wasser… Bis zum Morgengrauen war auf der Wasserfläche der helle Silberstreifen zu sehen in der Richtung, in der die dm Greise entschwunden waren…

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