6668540-1960_48_14.jpg
Digital In Arbeit

Er, renrettung von MistelkacJi

Werbung
Werbung
Werbung

Was schreiben nicht alles die Zeitungen!

„In der Nähe des Grenzortes Blaustauden, wo die Pulkau in die March mündet, nahmen tschechische Grenzorgane zwei badende Österreicher fest.“ — Seit die österreichische Welt steht, mündet bei Blaustauden die Pulkau in die Thaya und die Thaya hei Hohenau in die March. Und dies alles bloß eineinhalb Autostunden im Norden von Wien.

„Der mit vielen Sandreliefs geschmückte Weberkeller in Röschitz ist der interessanteste Weinkeller des Waldviertels.“ — Im Waldviertel scheint es im allgemeinen keine bäuerlichen Weinkeller zu geben, da es bisher der Wein vorzog, im Weinviertel zu wachsen.

„Eine Waldviertlerin aus Hadres bewahrte unbekannte Gedichte von Suso Waldeck.“ — Wer im Weinort Hadres geboren wurde und dort seßhaft ist, galt seit Anbeginn der Topographien als Weinviertier.

„Man will das Hollabrunner Volksfest zur Waldviertler Messe ausbauen.“ — Warum nicht das Wieselburger Volksfest zur Marchfeld-Messe?

„Wegen des bei Laa an der Thaya verübten Postraubes wurde die gesamte Waldviertler Gendarmerie in Bereitschaft versetzt.“

Diese Nachricht von der „Versetzung“ der in der Laaer Ebene liegenden Burgstadt Laa in das bergige Waldland wurde tags darauf beharrlich wiederholt, und kurz darnach anläßlich eines anderen Vorkommnisses auch Ziersdorf in das Waldviertel transferiert.

Pulkau wurde zur „Perle des Waldviertels“ erhoben, obschon dort seit alter Zeit eine Weinhauerzeche besteht, das Marktwappen zwei Weinkrüge zeigt und noch im Westen des Marktes Wein gebaut wird.

Die originellste Notiz dieser Reihe lautet: „Aus dem Waldviertel wurde ein neuer Fall von Grenzverletzungen durch Flugzeuge unbekannter Nationalität bekannt. Fünf Düsenjäger flogen aus Richtung Malacky ein. Sie kurvten etwa eine halbe Stunde lang über dem Weinviertel und dem Marchfeld und überflogen dann wieder in Richtung CSR die Grenze.“ — Wie wohl im Waldviertel bekanntgeworden war, was nur Weinviertel und Marchfeld gesehen hatten?

Daß es dem Waldviertel nicht immer besser ergeht, ist kein Trost: „Die Graslhöhle — das legendäre Versteck des Räuberhauptmannes — wird heute noch bei Maria-Dreieichen unweit des Stiftes Zwettl von den Wallfahrern gern aufgesucht.“

„Das zweite Geleise der Nordwestbahn Sigmundsherberg—Gmünd ist abgetragen worden.“

— Diese Bahnstrecke ist die Franz-Josefs-Bahn. Die Nordwestbahn verbindet Wien mit Znaim.

Dem Industrieviertel passierte folgendes: Eine Zeitung brachte das Bild des restaurierten Haydn-Geburtshauses. Man sah das historische Strohdach, das schön ornamentierte Rundbogenholztor und den üblichen Vorgarten. Der emsige Reporter schrieb darunter: „Haydns Geburtshaus mit dem von ihm so geliebten Schanigarten.“ O dieser Heurigen-Imperialismus! Auf zur feschen Verwienerung aller angrenzenden Erdteile! — Nicht, sehr geehrter Herr Reporter! In diesen Vorgärten ziehen die Bäuerinnen Nützliches für die Küche und Schmückendes für große und kleine Feste. Aber mit den Schanigärten der Wiener Gasthäuser haben sie nichts zu tun. Gott sei Dank! Die dazugehörigen Wirte würden sich gegenseitig beim Verhungern zusehen müssen.

Welche Fremdheit manche Schreibende auch sonst dem bäuerlichen Lebenskreis gegenüber erfüllt, dazu eine weitere Notiz und eine Begegnung. Die Notiz: „Tragisc/ierweise fiel der Landwirt in den geschärften Rand seiner Sense.“

— Hm-mmm! Der geschärfte Sensenrand und Messerrand heißt seit undenklichen Zeiten Schneide. — Die Begegnung: Bauernburschen und Bauernmädchen bieten in Wien Volkslieder, Volkstänze und Mundartgedichte. Meint ein Reporter: „Das sind doch keine Bauernmädchen!“

— „Warum nicht?“ — „Bauernmädchen sind doch nicht so hübsch!“ — Dieser Mann ist Russen wie Amerikanern gleicherweise weit voraus, denn er wohnt bereits auf dem Mond. Allerdings läßt er sich Irdisches, wie Brot, Fleisch, Wein, Milch, obschon von zweifelswürdigen Mädchen mitgeschaffen, vermutlich gut und bedenkenlos schmecken. Oder ~- lebt noch in der Breughel-Zeit und sucht das bäuerliche Antlitz von damals in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Ein Radiosprecher leistete sich folgendes: „Ja, Osttiroler haben wir auch da. Und ich hätte sie fast übersehen. Sie würden natürlich gesagt haben, Herr X, Sie begrüßen die St.-Pöltener, die Vöcklabrucker, die Salzburger, die Innsbrucker, die Lustenauer, ja. Sie begrüßen sogar die Mistelbacher, und auf uns Osttiroler vergessen Sie.“

Der Mann scheint jener Sekte anzugehören, die an die Gleichung glaubt: Bergland = Heroenland, Hügelland = Tölpelterritorium.

Wir teilen dem Sektierer mit: Mistelbach ist den Mistelbachern ebenso Heimat wie Lustenau den Lustenauern. Was noch mitzuteilen wäre, steht im Schlußteil dieses Protestes.

Abgesehen von der Gesinnung, auch in der Sachkenntnis ist der Rundfunk den Zeitungen nicht überlegen. Er berichtete: „Bei Zistersdorf an der Thaya brennt das Ölfeld“ und „In Haugs-dorf an der Brünner Straße wächst guter Rotwein?' — In der .Nähe von Zistersdorf fließt die Zaya und Haugsdorf liegt etwa vierzig Kilometer

östlicher, nämlich an der Znaimer Straße. Die Brünner Straße führt durch Wolkersdorf und Poysdorf nach Nikolsburg. — Dieses verflixte Weinviertel! Es liegt zwar förmlich vor der Haustür der Redaktionen und Rundfunkstudios, aber es ist ihnen Orient.

Den Vogel schießt eine sehr schöne, farbige Broschüre des Landesfremdenverkehrsamtes ab: „Vom Buchberg, der höchsten Erhebung der Leiserberge, bietet sich ein einzigartiger Ausblick.“ - O Volksschüler und Hauptschüler, kommt zu Hilfe: Der höchste Gipfel der Leiserberge heißt Buschberg, 492. Der Buchberg, 416, erhebt sich bei Mailberg. Und so geht es weiter. Wird es einmal enden?

Dem Sektierer von vorhin aber sei noch gesagt: Wenn man, was das Mistelbacher Land erzeugt, in Wien überall und jederzeit erhält, ist dies sehr angenehm. Erhält man es nicht, soll dies mehr als unangenehm sein. Solche Zeiten soll es schon gegeben haben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung