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IM SCHÖNEN AUSSEER LAND

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„Ich rate Ihnen, Herr Wiesenthal, befassen Sie sich mehr und eingehender mit allen Vorgängen im Ausseer Gebiet. Je mehr Sie davon wissen, desto schneller kommen Sie ans Ziel. Auch ich werde mich von Zeit zu Zeit über Aussee informieren.“ So sagte zu mir der ehemalige Reichswehrmajor X aus Gmunden. Und in der Tat verdienen die Vorgänge im Ausseer Gebiet seit Mitte 1944 mit Bestimmtheit ein besonderes Buch: oder vielleicht sogar mehrere Bücher. Sie würden genügend Material für eine Reihe spannender Filme enthalten, in denen die unglaublichsten Dinge Vorkommen dürften, die historisch belegt sind.

Als die Amerikaner am 6. Mai 1945 das Ausseer Land besetzten, hatte es 80.000 Einwohner. Im Jahre 1943 waren es nur 18.000. Wer waren die zusätzlichen 62.000 Bewohner? Ein Teil von ihnen waren Wehrmachtsangehörige, die bald abtransportiert wurden. Es blieben aber noch immer 50.000. Und diese 50.000 sind in der Zeit zwischen Anfang 1944 und Mai 1945 hinzugekommen. Während der Bombenangriffe auf die großen Städte war es üblich geworden, die Familien aufs Land zu schaffen. So gab es auch im Ausseer Gebiet eine Anzahl solcher Familien, die dorthin evakuiert worden waren, aber ihre Zahl war nicht ausschlaggebend. Seit die Deutschen Mitte 1944 nach der Invasion in Frankreich einen sich schließenden Ring um die engere Heimat spürten und nur noch auf den Einsatz von neuen „Wunderwaffen“ hofften, wurde beschlossen, für die Elite des Dritten Reiches einen Wartesaal zu schaffen, bis der Einsatz der „denkenden Torpedos“ die Alliierten zertrümmern würde. So entstand der Gedanke der „Alpenfestung“. Der Ausdruck „Alpenfestung" wurde übrigens von Goebbels geprägt. Er wurde vorerst in Deutschland geheimgehalten, um nicht Gerüchten über die schlechte strategische Lage Deutschlands Nahrung zu geben. Wer im Dritten Reich Rang und Namen hatte, schaffte vorsorglich seine Familie in die „Alpenfestung“.

Es hieß anfangs, daß man die Familien vor Bombenangriffen schützen wolle. Die Strategen der SS rechneten aus, daß bis zum Einsatz der „Wunderwaffen", die sich ja zum Teil noch im Entwicklungsstadium befanden, Monate vergehen könnten, da viele Produktionsstätten durch die Bombenangriffe in Schutt und Asche gelegt worden waren. So sollte der Rückzug in das Alpenmassiv vorsorglich vorbereitet werden, und von dort aus werde man mit Hilfe der neuen Waffen an allen Fronten zur Offensive übergehen. Im Herbst 1944 brachte man unschätzbare Kunstwerke, nicht nur aus deutschen Museen, sondern auch Schätze aus den Raub- und Plünderzügen in ganz Europa, die Privatsammlungen HitleTs, Görings und anderer, angeblich um sie vor Bombenangriffen zu schützen, in Wirklichkeit aber, um sie dem Zugriff der Alliierten zu entziehen, ins Ausseer Land. Man schätzte den Wert der Kunstwerke, die die Amerikaner im Mai 1945 aus dem Salzbergwerk in Alt-Aussee übernommen hatten, auf zweieinhalb Milliarden Dollar. Auch große Mengen von Lebensmitteln, von verschiedenen Rohstoffen, wurden dorthin gebracht. Nach und nach übersiedelten die Familien vieler NSgrößen ins Ausseer Land. Aber nicht nur sie selbst, sondern auch die Familien der Adjutanten und der wichtigsten Mitglieder des Reichssicherheitshauptamtes. Kleinere Gestapochefs ahmten ihren Chef Kaltenbrunner nach und schickten ihre Familien, die sich dort neben den Familien der SD-StabsmitgliedeT des Amtes VI und des Amtes IV ansiedelten. Noch im Jänner 1945 durfte die deutsche Presse auf Grund einer geheimen Weisung von Goebbels kein Wort über die „Alpenfestung“ verlieren, um keinen Defätismus aufkommen zu lassen. Pausenlos gingen die Transporte ins Ausseer Land. Die Kunstschätze rollten in Kisten und Waggonladungen mit der Aufschrift „Marmor“ und wurden im Salzbergwerk in große unterirdische Stollen eingelagert. Auch die Spionageorganisation der SS (Amt VI) zog sich bis zu den Ausläufern der „Alpenfestung“ zurück und verlagerte ihre Bestände an Gold, Devisen und Rauschgiften dorthin. Rauschgift ist ja eine der begehrtesten Valuten des Spionagegeschäftes. Im Gebiet der „Alpenfestung" wurden einige SS-Lazarette aufgebaut. Um die Bevölkerung irrezuführen, wurden viele Transporte von Wertgegenständen in Lazarettautos mit dem roten Kreuz ins Ausseer Land gebracht.

Das Dritte Reich wollte seit 1944 seine Einkäufe im neutralen Ausland und seine sonstigen Auslandsausgaben durch die Herstellung falscher Pfund- und Dollarnoten finanzieren. Die Fälscherwerkstätten unterstanden dem Amte VI des RSHA und waren anfangs im Konzentrationslager Sachsenhausen unter- gebracht, wurden aber später in die Nähe der „Alpenfestung“ in eine Brauerei in Redl Zipf verlegt. Seit dem 20. Juli 1944 hatte die SS auch einen maßgeblichen Einfluß auf die Forschungsstätten der Rüstungsindustrie. Auf Grund eines geheimen Erlasses durften die wichtigsten Ergebnisse der deutschen Forschung auf vielen Gebieten, wichtige Konstruktionspläne und Details, unter keinen Umständen in alliierte Hände fallen, deshalb wurden diese durch spezielle Kommandos in das Ausseer Land gebracht. Die Abteilung IV b 4 des Reichssicherheitshauptamtes, die Eichmann unterstand, verwaltete zum Teil sehr große Effektenbestände, die aus dem Raub und der Ermordung von Millionen Juden in Europa herrührten. Den Juden war ja bekanntlich alles genommen worden: die Wohnungen, die Möbel, Geschäfte, ihr Geld, Liegenschaften, Kleidung, man wies sie in Konzentrationslager ein, wenn man sie nicht gleich tötete. In den Konzentrationslagern schnitt man den Frauen sogar die Haare ab, um sie der Filzstiefelindustrie zur Verfügung zu stellen, den,Toten brach man ,die Goldzähne aus. Man verwertete die Asche aus den Krematorien als Düngermittel. Das Gold aus den Goldzähnen kam in die Deutsche Reichsbank, aber ein Teil des Schmuckes, der den Juden abgenommen worden war, außerdem beschlagnahmte Devisen, befanden sich noch unter der Verwaltung der Abteilung IV b 4. Diese hatte ihre Stellen in Budapest, Prag, Wien, Paris und so weiter. Eichmann ahmte seine Kollegen vom Amt VI nach und veranlaßte den Transport von Judeneffekten in Form von Gold und Schmuck, auch von wichtigen Dokumenten ins Ausseer Land. Mit dem letzten Transport, der aus zweiundzwanzig Kisten bestand, kam er selbst am 1. Mai 1945 nach Aussee; seine Familie war bereits früher dorthin gezogen. Auch die kleineren Häuptlinge seines Stabes, wie zum Beispiel der Kommandant von Theresienstadt, Burger, machten sich im Ausseer Land seßhaft.

Wenn ein deutscher Staatsbürger im Gespräch äußerte, daß er Zweifel am deutschen Sieg hege, war — wenn die Gestapo davon erfuhr — sein Schicksal besiegelt. Dies war sogar zu einer Zeit der Fall, wo dieselben Gestapomänner ihre Familien auf die Flucht schickten. Die Spitzen des Dritten Reiches, die SS, die großen Wirtschaftsführer, die Rüstungsindustrie, glaubten nicht mehr an den Sieg und versuchten Mittel und Wege zu finden, die Nachkriegsperiode zu überdauern und die Grundlagen für ein „Viertes Reich“, das eine Zeit nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches erstehen sollte, zu schaffen. Ich habe vorhin schon ein Dokument erwähnt, das ich noch während meiner Arbeit für das OSS im Jahre 1945 in der Hand hatte. Es war das Protokoll einer Sitzung, die am 10. August 1944 in Straßburg stattgefunden hat und bei der beschlossen wurde, einen Teil des Vermögens des Dritten Reiches ins Ausland zu schaffen, um es nicht in alliierte Hände fallen zu lassen. Außerdem wurde beschlossen, geheime Konstruktionsbüros in der Nähe der Alpenseen, getarnt als Versuchsanstalten für Wasserwirtschaft, zu errichten, die im Notfall in der Lage wären, die wichtigsten Konstruktionspläne und Forschungsergebnisse in wasserdichten Behältern in den Seen zu versenken. Von besonderer Wichtigkeit für die Nachkriegszeit waren die Gelddepots im Ausland. Auf der Sitzung in Straßburg, der später noch weitere Sitzungen folgten, wurde beschlossen, daß große deutsche Firmen vom Staat Geldmittel zur Anlage im Ausland erhalten sollten. Es waren sowohl Banknoten wie auch der Ankauf von verschiedenen Firmen auf den Namen von einheimischen Strohmännern, die als eine Operationsbasis für die Nachkriegszeit geplant waren, vorgesehen. Als bevorzugte Länder für solche Deponierungen und Investitionen wurde in diesem Protokoll die Schweiz, das Fürstentum Liechtenstein, Spanien, Argentinien und eventuell noch andere südamerikanische Länder, soweit sie sich nicht zu dieser Zeit im „Kriegszustand“ mit Deutschland befanden, genannt.

Eines Tages erschien eine Gruppe von sechs Männern in Monteuranzügen mit Baskenmützen — es handelte sich um Mitglieder der nationalsozialistischen Untergrundbewegung — auf einem Lastwagen. Die Männer luden Tauchergeräte am Ufer des Altausseer Sees ab, arbeiteten ungefähr zehn Stunden, hoben vier Kisten, die in der Nähe des Ufers waren, aus dem See und fuhren wieder ab. Die Gendarmerie glaubte, daß es sich um Franzosen handelte, weil sie Baskenmützen trugen und sich in einem Kauderwelsch unterhielten. Zahlreiche Zuschauer waren am Ufer versammelt, unter ihnen auch der amerikanische CIC-Vertreter mit Sepplhut und Buschhemd in Be-gleitung von zwei Schönheiten des Ausseer Landes. Der Amerikaner erkundigte sich, worum es gehe, und ging dann seiner Wege. Die Sache interessierte ihn nicht weiter.

Zu dieser Zeit waren die Nazis nicht mehr wehrlos. Sie hatten sich erholt vom Schock ihrer Niederlage. Manchem Nazi war es gelungen, mit Hilfe von zwei „Geheimwaffen“, die selten versagten, die Verfolger abzuschütteln. Die eine Geheimwaffe war politischer Natur: man denunzierte die Verfolger bei den Amerikanern als Kommunisten. Die amerikanischen Untersuchungsbehörden hatten alle Hände voll zu tun, um die Lawine von Denunzianten gegen die Widersacher der Nazis zu bewältigen. Wenn auch viele vernünftige Amerikaner dieses Spiel durchschauten, gab es auch andere, die solchen Informationen Glauben schenkten. Die nazistische Untergrundbewegung hatte in vielen österreichischen Städten ihre Exponenten, die sich damit befaßten, Nazigegner auf diese Weise bei den Amerikanern unschädlich zu machen. Auch nach dem Abzug der Besatzungsmächte bleibt den Nazis diese bewährte Geheimwaffe. Wer gegen die Nazis ist, muß Kommunist sein. In allen möglichen Varianten kann man diese Ansicht heute noch in der nazifreundlichen Presse lesen. Die zweite Geheimwaffe hieß: Ablenkung. Diese „Ablenkung" vermittelten liebeshungrige Mädchen, die einflußreiche Amerikaner umschwärmten und versuchten, gewisse Handlungen zu beeinflussen. Dies führte sehr oft zu internen Untersuchungen innerhalb der amerikanischen Sicherheitsbehörden, und so mancher Amerikaner mußte seinen Dienst als Folge dieser „Ablenkungen“ quittieren. Im Ausseer Land blühte die „Ablenkung“. Schade, daß ich damals keine Verbindungen zu amerikanischen Frauenvereinen hatte; ich hätte einen mächtigen Verbündeten gewonnen.

Ich habe im Jahre 1951 in der amerikanischen Zeitung „Aufbau“ unter dem Titel „Die Schatzgräber von Alt-Aussee" eine Artikelserie geschrieben. In dieser Serie beschrieb ich auch die oben geschilderte Bergungsszene von vier Kasten aus dem Alt- Ausseer See Dadurch wurden die amerikanischen Dienststellen alarmiert. Darauf wurde ich zum CIC in Linz vorgeladen, wo mir heftige Vorwürfe gemacht wurden, weil ich in einer amerikanischen Zeitung versucht hätte, den CIC zu blamieren. Ich hatte aber alles andere eher im Sinne, denn ich wollte die Amerikaner veranlassen, ihre Methoden zu revidieren. Aber zu dieser Zeit war es schon reichlich spät.

Die Bergungen verliefen nicht immer so friedlich und grotesk wie in dem gerade geschilderten Fall. Es gab eine Serie von rätselhaften Unfällen im Ausseer Gebiet. Die Opfer dieser „Unfälle“ waren gewöhnlich Personen, die gegen Kriegsende im Ausseer Gebiet irgendwelche Funktionen bekleideten. Es gab Vermißte, die nicht mehr aufgefunden wurden, es gab Tote, deren letzte Stunden nicht geklärt werden konnten. Das führte natürlich zu einer Flut von Vermutungen, doch die österreichische Gendarmerie im Ausseer Gebiet gibt über diese Vorgänge nur ungern Auskunft

Laufend kamen aus dem Ausseer Gebiet Meldungen über Goldfunde. Auch die Gendarmerie erstattete derartige Berichte, bis ein geheimer Erlaß des Innenministeriums dies verbot. Zur Besatzungszeit mußten nämlich alle diesbezüglichen Meldungen der zuständigen Besatzungsmacht bekanntgegeben werden. Die Weisung des Innenministeriums verfolgte das Ziel, alle Informationen über die Verlagerung von Wertgegenständen oder Gold geheimzuhalten und sie erst nach dem Staatsvertrag auszuwerten. Das betraf nicht nur das Ausseer Gebiet, sondern auch das Land Salzburg, denn in einigen Hotels in Badgastein waren Kassetten mit Gold eingemauert worden. Aber trotz dieses Erlasses sickerten immer wieder Informationen durch, denn die Beamten hielten sich nicht immer an die Weisungen, Das Innenministerium verfolgte auch einen weiteren guten Zweck: Man wollte vor allem die Leute davon abhalten, sich in das Ausseer Gebiet zu begeben und nach Schätzen zu suchen. Trotz der Geheimhaltung machten sich an jedem Wochenende Dutzende auf den Weg in das Ausseer Land; man fand immer wieder an verschiedenen Stellen Spuren ihrer Tätigkeit.

So also sah es im Ausseer Land in den Nachkriegsjahren aus. Für Eingeweihte gab es große Möglichkeiten. Es war klar, daß die Untergrundgruppen die Frage der Finanzierung mit den verlagerten Beständen des Dritten Reiches koppelten. Die wichtigste neonazistische Organisation in Österreich führte den Decknamen „Sechsgestirn“. Dieser Name sollte ein Hinweis auf sechs Landeshauptstädte sein, die durch die Arbeit der Neonazigruppen erfaßt werden sollten. Als die Organisation sich auf mehrere Bundesländer und auf einige Besatzungszonen erstreckt hatte, war -i Aufgabe der österreichischen Behörden, mit ihr fertig zu werden. Ich kannte die Arbeit der österreichischen Sicherheitsbehörden, die sich wirklich sehr große Mühe gaben, sehr genau. Es ist nicht abzusehen, welche Folgen es für die Zukunft Österreichs gehabt hätte, wäre nicht damals diesen hartgesottenen Nazis, die sich wieder zusammengetan hatten, das Handwerk gelegt worden. Im österreichischen Innenministerium und in den Sicherheitsdirektionen saßen Männer, die ihre eigenen Erfahrungen mit den Nazis gehabt hatten und sich ihrer Verantwortung voll bewußt waren. Sie konnten zu dieser Zeit nicht nur auf die Hilfe der Besatzungsmächte, sondern auch auf die eines Teiles der Bevölkerung zählen, der vom Nazispuk genug hatte.

Aus dem Tatsachenbericht „Ich jagte Eichmann“ von Simon Wiesenthal. Sigbert-Mohn-Verlag, Gütersloh

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