6652401-1959_09_10.jpg
Digital In Arbeit

Widerstand!

Werbung
Werbung
Werbung

Das reiche Schrifttum zum Kampf der Tiroler um ihre Unabhängigkeit von Bayern und Frankreich, das in vielen Gedenkaufsätzen aus Anlaß der 150. Wiederkehr des Opfertodes Andreas Hofers verwertet werden wird, schweigt fast völlig, soviel eine annähernde Durchsicht zeigt, über die rechtspolitischen Ideen, die sich in diesem Unabhängigkeitskampf gegenübergestanden sind.

Im Preßburger Frieden vom 26. Dezember 1805 hat bekanntlich Oesterreich — damals noch ein Reichsstand des Römischen Reiches — an das Königreich Bayern die Grafschaft Tirol abgetreten. Es war dies eine typische Vertragsbestimmung zugunsten eines Dritten, wodurch Napoleon eine Satellitenmacht, die er durch die Gründung des zweiten Rheinbundes gewonnen hatte, zu belohnen und fester an sich zu ketten versucht hat. Nach der damals herrschenden’ Auffassung ist hierdurch mit; dem Inkrafttreten des Vertrages Tirol unter die territoriale Souveränität Bayerns gekommen und sind die Tiroler bayrische Untertanen geworden, wobei freilich die gewichtige, für das Völkerrecht maßgebende Gegenstimme des französischen Völkerrechtlers de Vattel nicht übersehen werden darf: „When, therefore,… the State abandons a town or a province to a neighbor or to a powerful enemy, the cession is validly made, since the State makes it of right. It has then no further Claims upon the town or province, having ceded all of its rights. But the province or town thus abandoned by and cut off from the State ist not bound to accept the new master thus imposed upon it. Once separated from the society of which it was a member, it reenters upon its original rights, and if it is strong enouglr to defend its liberty it may lawfully resist the sovereign who Claims authority over it.” -r „Wenn daher… der Staat eine Stadt oder eine Provinz einem Nachbar , oder mächtigen Feind überläßt, ist die Abtretung bindend, weil der Staat’im Recht’ssinne gehandelt hat. Er hat keine weiteren Ansprüche an die Stadt oder Provinz, da er sich aller Rechte begeben hat. Aber die so aufgegebene und abgetrennte Stadt oder Provinz ist nicht verpflichtet, den oktroyierten neuen Herrn anzuerkennen. Von dem Verband, dessen Mitglied sie gewesen war, einmal getrennt, tritt sie in ihre ursprünglichen Rechte wieder ein, und wenn sie stark genug ist, ihre Freiheit zu verteidigen, handelt sie gesetzmäßig, wenn sie dem Herrscher, der Hoheitsrechte ihr gegenüber beansprucht, Widerstand leistet.” (‘„The Law of Nations or the Principles of Natural Law”, vol. 3, Translation of the Edition of 1758, Washington 1916, p. 101.)

Die infolge der Dismembration des Römischen Reiches erfolgte Wandlung des rechtlichen Status Oesterreichs zu einem souveränen Staat hat also nach positivem Recht die Tiroler nicht mehr betroffen. Als eine Fernwirkung der Erhebung Spaniens gegen die Weltreichpläne Napoleons (1808) können wohl die zwischen dem österreichischen Kaiserstaat und den tirolischen Untertanen Bayerns sich anbahnenden Bestrebungen der Rückkehr Tirols in die altehrwürdige Gemeinschaft des Habsburgerreiches verstanden werden. In der Schau des positiven Staatsrechts war freilich die Aktion der Tiroler ein revolutionäres, strafrechtlich also als Hoch- oder Landesverrat zu deutendes Unternehmen, gegen ihren durch Diktatfrieden zur Herrschaft gekommenen Herrscher.

Die Kriegserklärung Oesterreichs an Frankreich im April 1809 löste den offenen Aufstand der Tiroler gegen die bayrische Herrschaft aus, wobei die Tiroler Revolutionäre bekanntlich ihre militärischen Handlungen gleicherweise gegen die französischen im Lande weilenden Truppen wie gegen die bayrische Wehrmacht gerichtet haben. Daß sich die Repräsentanten Bayerns als rechtlich unanfechtbare Herren im Lande gefühlt haben, bekundet u. a. die Meldung, die der bayrische Kommandant in Innsbruck, Oberst Dittfurth, an das Vorgesetzte Kommando in München gerichtet hat, ein Regiment Infanterie und mehrere Eskadronen werden genügen, „das Tiroler Lumpenvolk zu Paaren zu treiben”, ln Gehorsam gegenüber ihrem König und letztlich gegenüber dem Kaiser der Franzosen ließen bayrische Soldaten die Steinlawinen der Freischärler über sich ergehen und holten diese aus ihren Verstecken heraus. Wohl fast ausnahmslos gutgläubig bekämpften sie die heimattreuen Tiroler als Revolutionäre gegen ihren legitimen Herrn. Eine Proklamation des Kaisers Franz I. von Oesterreich erklärte indes,am 8. April 1809 Tirol zum Bestandteil Oesterreichs, wodurch die Tiroler Kämpfer in dem Glauben bestärkt wurden, mit ihrem Kampf die rechtmäßige Herrschaft Oesterreichs im Land wiederherzustellen und zu verteidigen. Die rechtliche Lage ändert sich einigermaßen durch den Schönbrunner Frieden vom 14. Oktober 1809, in dem Oesterreich neuerlich auf Tirol verzichten muß. Die Tiroler kämpfen nunmehr einen aussichtslosen Kampf um die Anerkennung der Zugehörigkeit ihres Landes zu Oesterreich und verwirken damit vom Standpunkt Frankreichs und Bayerns die Zubilligung der Amnestie für ihre Teilnahme an dem Krieg des Jahres 1809 an der Seite Oesterreichs. Andreas Hofer fällt durch Verrat in Gefangenschaft und wird — für den Juristen befremdlich — von einem französischen Kriegsgericht auf direkte Anweisung Napoleons zum Tode verurteilt und erschossen. ‘Die Hinrichtung ist vom Standpunkt des Rechtes der Sieger ein Akt der durch die Effektivität der Herrschaft legitimierten Staatsgewalt gegenüber dem geständigen Revolutionär, im besonderen den Kommandierenden der revolutionären Volksmassen, vom Standpunkt des abendländischen Naturrechtes aus jedoch ein Justizmord, begangen an dem heimattreuen Zwangsuntertanen. Die Tiroler Volkserhebung war legitimiert durch das auf die Antike zurückgehende, schon von Antigone unerhört beispielhaft repräsentierte Recht des Widerstandes gegen eine unsittlich begründete oder unsittlich ausgeübte Staatsgewalt.

Bayern hat im Jahre 1814 in einem Sondervertrag Tirol, wahrhaftig ein Danaergeschenk Napoleons, das dauernden Unfrieden zwischen reiöh zurückerstattet. Wohl kaum eitf Bayer Vötf° heute versteht die namentlich im Jahre 1809 betätigte Rolle Bayerns als Satellit Napoleons in dem Freiheitskampf der Tiroler. Ein gerechtes Geschichtsurteil darf nicht übersehen, daß auch Oesterreich in bewegter Geschichtsepoche in der Gefahr stand, die Idee des Naturrechtes Machtansprüchen zu opfern oder um derentwillen wenigstens zu durchbrechen. Die internationale Geschichtsschreibung hat Oesterreich der Mitschuld an den Teilungen und schließlich an der Vernichtung des unabhängigen Königreiches Polen geziehen, die sich als eine völkerrechtswidrige Intervention mit dem schließlichen Ziel der Auslöschung eines souveränen Staates Polen darstellt: die gerecht denkenden Historiker verschweigen indes nicht, daß Maria Theresia nicht nur schwere innere Hemmungen gegen die Beteiligung Oesterreichs an diesem Landerwerb gehabt, sondern auch persönlich Widerspruch erhoben hat. Die Volkserhebungen der in die Teilungsmächte eingegliederten Polen sind indės nicht anders als die Volkserhebung der Tiroler zu beurteilen.

Es ist zwar kein Trost für die Opfer solcher typischer Kollisionen zwischen gesetztem und natürlichem Recht, wohl aber ein Zeugnis für die werbende Kraft der-Rechtsidee, daß sich das positive Recht, namentlich das Völkerrecht, wenn auch unter bedauerlichen Hemmungen und Rückschlägen, der Rechtsidee anpaßt. Selbst die heutige Gestaltung der völkerrechtlichen Ersitzung legitimiert zwar nicht die unmittelbare tatsächliche Machtergreifung eines Staates in einem fremden Lebensraui , läßt aber doch durch Zeitablauf in Verbindung mit der Tatsache, daß die Staatsgewalt im besetzten Gebiet während der Ersitzungszeit dauernd und ungestört ausgeübt wird (Alfred Verdroß, Völkerrecht, 3. Auflage, Wien 1955, S. 212 f.), das Unrecht der Machtausübung zum Recht des Erwerbers, unter Umständen also auch eines bösgläubigen Eroberers werden. Gemäß diesem Rechtsinstitut wäre also auch Oesterreich trotz der Völkerrechtswidrigkeit der Machtergreifung des Nationalsozialismus in unserer Heimat unter die territoriale Souveränität des Deutschen Reiches gekommen. Für die Opfer solcher internationaler Machtexzesse bleibt also für die ganze Vergangenheit die Genugtuung, daß die Geschichte ihren Kampf um die Unabhängigkeit oder Zugehörigkeit zu der angestammten Staatsgewalt als einen Kampf ums Recht deutet.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung