6569304-1950_12_11.jpg
Digital In Arbeit

Bardonecchia, das Malerparadies

Werbung
Werbung
Werbung

Wo Italien am firngekrönten Kranz der Alpenkette am weitesten nach Westen vorstößt, liegt die Ortschaft Bar-donecchia, bisher fast nur als Einfahrtsstelle des 12 Kilometer langen Mont-Cenis-Tunnels bekannt, der hier Italien mit Frankreich verbindet. In den letzten Jahren hat der Ort auch als Skiparadies immer mehr Freunde des Wintersports angelockt. Es ist uralter historischer Boden, wo schon die Römer ihre befestigten Stützpunkte angelegt hatten und heute noch zahlreiche Spuren an ihre einstige Herrschaft erinnern. Manche Bergspitze trägt einen sarazenischen Namen, und aus dem jenseitigen Savoyen hat sich die französische Sprache auch in das Tal von Bardonecchia herüber verpflanzt,

Heute aber bietet Bardonecchia noch eine andere Sehenswürdigkeit. Wer in diesen Tagen nach dem freundlichen Alpenort kam, konnte überall in der Gegend Maler antreffen, die die landschaftlichen Schönheiten und das wundersame Farbenspiel der schneeglitzernden Bergwelt mit Palette und Pinsel festhielten. Wie kamen diese vielen Künstler der Farbe so unvermutet hieher? Die Erklärung ist nicht alltäglich: Bardonecchia hat nämlich einen Kunstmäzen, wie man ihn kaum an einem anderen Ort antreffen wird. Renato Perego ist Besitzer des größten Hotels in diesem Hochgebirgs-fledcen, und als solcher leistet er sich jährlich zweimal, im Hochsommer und im Winter, das Vergnügen, an die 30 der namhaftesten Maler Italiens nach Bardonecchia einzuladen und sie samt ihren Familien zu beherbergen und zu bewirten. 20 Tage lang genießen sie hier in herrlichster Natur ein sorgenfreies, fröhliches r Leben in harmonischer Gemeinschaft und haben nur die eine Aufgabe, zu zeichnen und zu malen I So erklärt sich der Feuereifer, mit dem sie tagtäglich nach allen Richtungen ausschwärmen, mit Staffelei und Malkasten, um ihre Eindrücke auf der Leinwand zu verewigen. Dort zieht der Turiner Maler Vellan, sein Malerwerkzeug auf einem Schlitten verstaut, bergwärts, hier treffen wir Pe-luzzi aus Savona am Rande einer Felsenschlucht. Bartolini aus Rom, der Vielseitige, nicht nur Meister der Farbe, sondern auch Schriftsteller, Verfasser bekannter Filme, fehlt nicht, Deila Zorza aus Venedig ist mit seiner geistvollen Gattin, der Schriftstellerin Teresa Sensi, hier, und Rambaldi hat mit Begeisterung die Rivieralandschaft seines Wohnorts Chiavari mit dem so ganz anders gearteten Charakter des winterlichen Hochgebirges vertauscht. Aus Turin, Genua, Mailand, ja auch aus Paris sind die Künstler herbeigeeilt, um dem gastlichen Rufe Peregos zu folgen. In dieser Künstlergemeinde von Bardonecchia herrscht eine einzigartige Atmosphäre: das dreiwöchige Zusammensein regt zum gegenseitigen Gedankenaustausch an, die Maler stellen alle ihre Schöpfungen fm Hause ihres Gastgebers aus und kritisieren sie freimütig, aus den Unterhaltungen erwächst manche neue Idee.

Renato Perego lehnt die Stiftung von Preisen ebenso ab wie die Künstler selbst. „Wir wollen keine Bevorzugung einzelner“, äußerten die Maler, „Prämien wirken trennend und würden die schöne Gemeinschaft unserer Zusammenarbeit stören.“ Der Mäzen Perego stellt seine Mittel freigebig allen Künstlern in gleicher Weise zur Verfügung. Die Ergebnisse sind höchst zufriedenstellend, denn die meisten der Gäste malen täglich ein Bild von Bardonecchia und seiner Umgebung. Außerdem haben sie die Bar des Hotels mit Karikaturen und lustigen Darstellungen ausgeschmückt und tragen sich mit dem Gedanken, in der Zukunft dem Ort Bardonecchia ein besonderes Gepräge dadurch zu verleihen, daß sie alle Häuser mit farbenfrohen Fresken schmücken wollen.

Renato Perego verfolgt mit seiner Schöpfung „Künstler in Bardonecchia“ keine materiellen Absichten, denn sämtliche Gemälde bleiben ausschließliches Eigentum der Künstler selbst. Und er tut noch ein übriges, indem er Ausstellungen in den größeren Städten Italiens veranstaltet und die Erträge aus dem Verkauf der Bilder ebenfalls den Malern zukommen läßt. In Stil und Auffassung, in Art und Maltechnik ist den Künstlern völlig freie Hand gelassen, so daß die Maler von Bardonecchia die Landschaft darstellen können, wie sie sie sehen und empfinden. Sie haben sich allerdings zur Aufgabe gemacht, nicht extremen Richtungen zu verfallen und die Kunst vor Entgleisungen zu bewahren. Das Fehlen jeglicher Dogmatik ist ein wesentliches Kennzeichen für den Geist, der in dieser freien Künstlergemeinschaft der Maler in Bardonecchia herrscht, ein Positivum, das die Arbeit der Künstler bestimmen wird, so lange die originelle Einrichtung Renato Peregos bestehen bleibt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung