6545746-1947_14_06.jpg
Digital In Arbeit

Das Lambacher Rituale

Werbung
Werbung
Werbung

Auf einer langgestreckten diluvialen Schotterzunge, dort, wo sich der Verkehrsweg aus dem Salzkammergut mit der großen West-Ost-Linie vereint, liegt inmitten des freundlichen Ortes die Benediktinerabtei Lambach. Diese günstige Verkehrslage wurde schon frühzeitig erkannt. Schon vor der Klostergründung stand hier im 9. und 10. Jahrhundert das Stammschloß der Grafen von Wels-Lambach. Der letzte aus diesem Geschlecht, der heilige Adalbero, Bischof vrfn Würzburg, gründete 1056 ein ' Kloster und berief als ersten Abt Egge-bertus mit Mönchen aus Schwarzach am Main. 1089 weihte er zusammen mit seinem Jugendfreund Altm?nn, dem Bischof von Passau, den ersten romanischen Bau der Abteikirche ein.

Das Kloster entwickelte bald ein reges kolonisatorisches und kulturelles Wirken. Bereits gegen Ende des 12. Jahrhunderts herrschte hier eine bedeutende literarische Tätigkeit und blühte eine Schreibschule. Kodizes aus dieser Zeit zeugen auch heute noch von dem Kunstsinn der damaligen Mönche. So schrieb der Mönch Gotscalus das Compendium de vitis sanctorum, das sich als „Lambacher Kodex“ in der Staatsbibliothek zu Berlin befindet. Für die Miniaturmalerei wurde ebenfalls Vorbildliches geleistet. Zur selben Zeit lebte auch der Mönch Haimo, der das Rituale Lam-bacense schrieb. Dieser Kodex bildet heute noch ein wertvolles Stück der Lambacher Händschriftensammlung. Es ist eines der ältesten Denkmäler der Kunst- und Kulturgeschichte.

Heute versteht man unter Rituale die liturgischen Bücher, in denen Gebete und Zeremonien für die Spendung der Sakramente und Sakramentalien enthalten sind. Seit der Einführung der römischen Rituale unter Papst Paul V. zu Beginn des 17. Jahrhunderts hat es ein ziemlich festes Gepräge erhalten.

Ursprünglich entstanden diese Rituale aus dem praktischen Bedürfnis des Klerus, denn er bedurfte für seine Tätigkeit eine Zusammenfassung der vorgeschriebenen Gebete und Gebräuche in möglichst handlicher Form. Im Laufe des 12. Jahrhunderts erhielten diese Rituale eine bestimmte Form und einen festen Inhalt. Sie waren auch vielfach nur für den klösterlichen Gebrauch bestimmt und daher auch nur hier verwendbar.

Das Lambacher Rituale ist eine Pergamenthandschrift mit altem Einband. Die Schließen fehlen. Die Größe ist 255 mal 170 Millimeter. Mit Ausnahme von zwei Seiten — auf der einen stehen Gebete zu den Heiligen Drei Königen, auf der anderen ist eine Benedictio sepulchri — sind alle Seiten von Mönch Haimo geschrieben, das rückwärtige Deckblatt entstammt einem Antiphonar.

Neben den einzelnen Gebeten und Zeremonien aus dieser Zeit sind vor allem die Bilder sehr wertvoll. Teils sind es Vollbilder, teils Miniaturen, teils Initialen. Die Zeichnungen sind mit sicherer Hand geführt, ohne kleinliche Details. Mit Erfolg hat der Mönch Haimo versucht, die Stimmung der dargestellten Personen wiederzugeben. Die sichtbaren Körperteile sind mit schwarzer Tinte, die Gewänder abwechselnd schwarz und rot gezeichnet. Das Rot der Wangen ist mit roten Punkten angedeutet. Die architektonischen Verzierungen, Heiligenscheine, Einfassungen der Draperien und Gewänder sind gelb oder rot. Wenn auch die Proportion und Perspektive manchesmal nicht stimmt, so sind doch die Köpfe regelmäßig und ausdrucksvoll gezeichnet. Edle und würdevolle Haltung ist vor allem bei den Priestern und Frauen zu erkennen. Die Gruppierung der Personen ist einfach und natürlich.

Verschiedene rituale Handrungen sind in größeren Bildern wiedergegeben. Sie stellen uns neben den Texten ein wertvolles Kulturgut aus dieser Zeit dar.

Auf dem ersten Bild ist die Jungfrau Maria, mit dem Kind auf dem Throne sitzend, in übermenschlicher Größe dargestellt. Ihr zur Seite steht der Mönch Haimo selbst, kaum halb so groß wie Maria. Auf einem weiteren Bild sieht man die Opferung im Tempel. Maria hebt Christus über einen Tisch, an dem Simeon steht. Ihr zur Seite ist Josef mit zwei Tauben. Auf anderen Bildern sind die Taufe, die Einsegnung einer Frau nach der Geburt und die Einführung der Wöchnerin in die Kirche zu sehen.

Von besonderer Bedeutung sind zwei Bilder, auf denen das Gottesurteil durch Wasser und Feuer abgebildet wird. Entsprechende Gebete und Beschwörungsformeln geben den Bildern noch besonderen Nachdruck.

Auf dem Bilde mit dem Gottesurteil durch das Wasser, das die „Furche“ auf Seite 1 der „Warte“ veröffentlicht, sieht man im Vordergrund ein sichelförmiges Schiff. Seine Enden sind mit Lilien Verziert. Es sind zehn Personen dargestellt. Der Priester liest aus einem aufgeschlagenen Buche die Beschwörungsformel. Dann sieht man drei Männer mit enganliegenden Kleidern. Zwei von ihnen führen Ruder. Hinter dem Priester steht noch ein Mann. Ein anderer Mann hält den Beschuldigten an einer langen Kette. Diese dient dazu, um den Angeklagten wieder aus dem Wasser zu ziehen. Weiter rückwärts ist noch ein Mann und eine Frau zu sehen. Vorne in der Mitte des Bildes befindet sich eine Frau, die den Verurteilten ins Wasser läßt. Dieser selbst ist nackt. Beide Arme sind um die gegen die Brust zurückgezogenen Knie zusammengebunden. Zwischen der Biegung der Arme und der Knie befindet sich ein Stock. Textlich folgt nun eine Reihe von interessanten Beschwörungsformeln, von denen eine folgendermaßen lautet: „Ich beschwöre dich Wasser, im Namen des allmächtigen Gottes, der dich vom Anfang erschaffen und geheißen hat,' daß du auf keine Weise diesen Mann aufnimmst, wenn er durch Handlung, Zustimmung oder Mitwissen n dem Verbrechen, dessen er geziehen wird, schuldig, sondern lasse ihn schwimmen über dir und keine Kraft soll dich hindern, hiedurch die Wahrheit zu offenbaren.“

Die zweite Abbildung von einem Gottesurteil ist überschrieben: „Benedictio ferri in Igne.“ Der Priester segnet mit der Rechten das Feuer. In der Linken hält er ein aufgeschlagenes Buch. Unter einem turmartigen Ofen brennt ein mächtiges Feuer. Davor steht ein Mann in einer rotgezeichneten Bluse und in gelben Beinkleidern. Er hat in einer Zange ein Stück glühendes Eisen und hält dasselbe dem Angeklagten hin. Dieser wird von einer Frau vom Boden in die Höhe gehoben. Mit der Rechten greift er nach dem glühenden Eisen. Doch ist er von seiner Unschuld wenig überzeugt. Seine Haare sind verworren und seine Gesichtszüge sind verzehrt. Das Bild wird wieder durch eine Reihe von Beschwörungformcln erklärt.

Es folgen dann noch einige Erklärungen, Gebete und Beschwörungsformeln zu Gottesurteilen durch Brot und Käse, wenn sich jemand vom Verdachte des Diebstahles reinigen sollte. Doch sind dazu keine Bilder mehr gezeichnet.

In den alten Handschriften finden wir verschiedene Arten von ' Gottesurteilen. Selten aber dürfte es eine so genaue Nachricht geben wie in diesem Lambacher Rituale. Denn hier erfahren wir die genauen Handlungsweisen, mit denen die Gottesurteile begleitet waren. Außerdem sind sie teilweise mit Bildern illustriert. Für das hohe Alter dieses Kodex zeugen auch die Schriftzüge sowie der Charakter der Federzeichnungen. Auf dem vierten Laterankonzil unter Papst Innozenz III. im Jahre 1215 wurde dann jede Einmischung des Klerus in die Funktion der Gottesurteile verboten.

So stellt uns daher diese Lambacher Pergamenthandschrift des Mönches Haimo neben den alten Gebeten und Zeremonien einen wertvollen Beitrag zur Rechtsgeschichte des Mittelalters dar.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung