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Die Griechen in Italien. Ein Rundgang durch ihre Kultur

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Ein halbes Jahrtausend griechische Zivilisation in Siiditalien und damit auch die Basis fiir die eu-ropaische Kultur bis heute - das ist in diesem Jahr der Schwerpurlkt der Ausstellungen in Italien. Den umfangreichsten und eindrucksvollsten Blick in diese Epo-che bietet die Schau „Die Griechen im Westen" in Venedigs Palazzo Grassi.

In 36 Salen haben die Organisato-ren Giovanni Pugliese Carratelli und Angelo Bottini mehr als 1000 Expo-nate, darunter rund 400 Originale, aus ganz Italien, aber auch aus europai-schen Sammlungen sowie aus Nord-afrika und Ubersee zusammenge-stellt. Dementsprechend wird die wohl ausfiihrlichste Presentation der Zeit zwischen 750 und 200 vor Chri-stus gesturmt. Im Friihjahr iiberwo-gen noch die Schiilergruppen, nun werden sie vpn Touristenschwarmen abgelost. Eine unendliche Schlange bewegt sich pausenlos an den Vi trinen und Schaubildern, an Kultobjekten, Alltags- und Schmuckstiicken, an Waffen und auch an Schaubildern ein drucksvoller Ar-chitektur vor bei. Wem das zu miih-sam ist, der informiert sich an Computern oder macht sich so mit den Metho-den der Re-staurierung vertraut.

Zwei Marmorsta-tuen griechischer Jiinglinge aus dem fiinften vor-christlichen

Jahrhundert empfangen den Besu cher. Sie stehen als Symbol fiir die griechische Kultur, die den Menschen als MaB aller Dinge sieht. Die eine Statue, der „Ephebe von Mozia", be-sticht durch eine iiber die Brust ge-wickelte Scharpe, die zweite, der „Ephebe von Agrigent", symbolisiert durch die vorgestreckte Haltung des Armes und des rechten Beines die Herrschaft der Form iiber den Raum.

Griechische Handler waren spate-stens seit der Mitte des zweiten vor-christlichen lahrtausends mit den Be-wohnern Siiditaliens und Siziliens in Kontakt. Sie wuBten, wo fruchtbares Hinterland zu finden war, und wo es groBe Entwicklungsmoglichkeiten gab. Als sie dann ab 750 vor Christus die ersten Kolonialstadte griindeten, waren es gezielt ausgewahlte Orte. Die alteste griechische Kolonie im Westen war Cuma in Opica (der heu-tigen Campagnia), am weitesten von der Heimat der Grander, Chalkis in Euboa, entfernt.

Der Golf von Neapel war schlieB-lich die giinstigste Basis fiir eine Handelsexpansion weiter nach Westen: nach Sardinien und Korsika, an die ligurische Kiiste, das Rhone-Tal, die Balearen und die iberi-sche Halbinsel. Dort lockten neue Markte und im Hinterland wertvolle Mineralien wie Obsidian, Alaun, Blei und Kupfer.

Auch der Zeitpunkt der Griin-dung von Kolonial-stadten war keineswegs zufallig. Nach griechischer Geschichts-schreibung sollen bei internen Kampfen Unterle-gene der Oberschicht die Initiatoren gewesen sein und nicht die Regierun-gen. Diese unterstiitzten die Plane zur Polis-Griindung in Siiditalien, losten sie doch gleichzeitig ihre sozialen und wirtschaftlichen Probleme: zahlrei-che Personen, vor allem auch Ta-gelohner machten sich auf den Weg tibers Meer und entlasteten so die kiinftigen Mutterstadte. Im Palazzo Grassi zeugen davon Anker und andere Gegenstande der griechischen Seefahrer. Daneben ermoglichen Werke der einheimischen Bevolke-rung einen Vergleich.

Das Zusammenleben von Koloniali-sten und Einheimischen konsolidier-te sich rascht-einheimische Arbeiter wurden in die untergeordnete Bevol-kerung der Polis, Vertreter des loka-len Adels in die herrschende Gesell-schaftsschicht aufgenommen. Die Einheimischen iibernahmen die Sprache, die zivilen Lebens- und Kunstformen der Griechen, wenn auch in diesen Bereichen ortlicheEin-fliisse erkennbar sind. Auf die religio-sen Kultformen der Kolonialisten hat-ten lokale Stromungen keinerlei Ein-fluB, denn die religiosen Wurzeln der Griechen waren fiir sie ein unantast-bares Band mit dem Vaterland.

Im Laufe des sechsten vorchristli-chen Jahrhunderts werden die heili-gen Statten zu den wichtigsten Cha-rakteristika der griechischen Stadt-staaten des Westens. Zahlreiche ar-chitektonische Fundstiicke kunden in einem Saal von der Umgestaltung der Tempel und seiner Bauelemente sowie dem Ubergang von dekorativen Elementen aus Ton zu solchen aus Stein.

Liebhaber griechischer Architek-tur konnen anhand der Ausstellungs-stiicke die Entwicklung der Saulen und der Tempelarchitektur studieren und in einzelnen Statuen vielleicht doch den einen oder anderen etruski-schen EinfluB aufspiiren - die Qualitat und Fii lie der Exponate macht es moglich.

Besonders typisch fiir das antike So-zialleben waren Tafelgemeinschaf-ten, die auch im religiosen Umfeld stattfanden: Das gleiche blutige Opfer an die Gottheit war nichts anderes als die Einleitung eines gemeinsamen Mahls, bei dem das Fleisch verzehrt wurde. Symbolisiert wird dies in der Ausstellung etwa durch ein Beil mit einer Widmung an Hera und zahlreiche Metallgegenstande.

Die besten Kunsthandwerkstatten sind um die Mitte des fiinften vor-christlichen Jahrhunderts in Magna Grecia, Locri und Medma entstanden.

Spiegel wurden in Grabschatzen von Frauen gefunden. Gedruckte Tafel-bilder aus Tonerde, die am Relief mit kleinen Kalligraphien verziert sind, stammen aus der Weihestatte des Tempels von Persephone in Locri bei Mannella.

Viel Raum wird in der Ausstellung auch dem Theater gewidmet, einem der wichtigsten und originellsten Aspekte dergriechischen Kultur. Eine besonders beliebte Form war die Flia-cica-Kombdie, eine dem realen Leben ahnliche Komodie. Sie ist fast aus-schlieBlich durch die Vasenmalerei bekannt geworden. Zahlreiche Bei-spiele dafur kann man im Palazzo Grassi bewundern.

Masken und kleine Kiinstlerstatuen aus Ton zeugen ebenfalls von der ho-hen Theaterkultur der Griechen im Westen. Uiese Exponate stammen aus Grabstatten von Lipari. Die Entwick-lung der griechischen Tragodie, des sa-tirischen Dramas und anderer Komo-dien lafit sich anhand dieser antiken Masken heute in Venedig, dem mo-dernen Maskenzentrum, verfolgen.

AuBer der vom Kulturministerium gemeinsam mit Fiat veranstalteten Schau im Palazzo Grassi finden Aus-stellungen zum gleichen Thema in Paestum und Policoro Basilicate (je-weils bis 8. Dezember), in Beggio de Calabre (bis Jahresende), in Neapel (ab 31. Mai) und in Tarente (1. Juni bis 30. Mai 1997) statt.

DIE GRIECHEN IM WESTEN

Palazzo Grassi Spa San Samucle, Venedig Taglich von 9 bis 19Uhr Bis 8. Dezember

Wer bas 8. Dezember nicht nach Venedig kommt, kann sich per Internet ein-klicken: http://www.palazzograssi.it//

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