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Die Pieta von Mondsee

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Kürzlich untersuchte der Verfasser dieser Zeilen in einer Kirche des Mondseelandes ein ihm seit langem bekanntes, total vernachlässigtes Tafelgemälde, Tempera auf Fichtenholz, 555 mal 740 mm, das durch einen prächtigen hochbarocken Rahmen aus der Werkstätte des Mondseer Bildhauers Meinrad Guggenbichler auffiel. Trotz der Verschmutzung der Tafel konnte man auf ein bedeutendes Originalgemälde aus jener Blütezeit des Kunstschaffens des Stiftes Mondsee schließen, die unter dem prunkliebenden Abte Wolfgang Haberl (1499 bis 1521), dem Freunde Maximilian L, erlesene Werke der Malerei erstehen ließ. Unter dem barocken Rahmen kam zunächst der unverletzte Originalrand der Maltafel mit der authentischen Datierung „1517" zutage.

Der Verein „Denkmalpflege in Oberösterreich" ermöglichte nun die Wiederherstellung in der Restaurierungswerkstätte des ober- östrreichischen Landesmuseums durch Frau Gisela de Somzee. Das Ergebnis war eine freudige Überraschung und für Österreich der Gewinn eines bisher unbekannten Meisterwerkes höchsten Ranges aus der Maximilianzeit: in monumentaler Ruhe und Innerlichkeit baut sich im Vordergrund des Bildes die Gruppe der Beweinung auf. Breit hingelagert streckt sich der Leib des Herrn; der kniende Jünger Johannes hebt den Oberkörper Christi an seine Brust und blickt starr über den Meister hinweg ins Dunkel. Vom Leid zu Boden gedrückt, kauert ihm zur Seite, in ihren Mantel fast verborgen, Maria und hebt mit unsagbar zarter Gebärde die durchbohrte Hand ihres toten Sohnes empor. Abseits kniet, ein Ausdruck tiefen Jammers, Maria Magdalena, das Salbgefäß umklammernd. Bezeichnenderweise läßt sich diese Gruppe direkt in die holzgeschnitzte Schrein- oder Predellenkomposition eines spätgotischen Altars umdenken. Ihr zur Seite überschneiden zwei starre Kreuzesschäfte und das Astgewirr eines kahlen Dornstrauches die Landschaft. Während die Gestalten, von grellem Licht getroffen, in edelsteinhaften Farben aufglühen, liegt schwelendes Dunkel über der Hügellandschaft unter den schweren Gewitterwolken; gespenstig leuchten aus der Ferne schroffe Schneeberge herüber; an einem Hügelrande brennt wie ein Irrlicht hellgrünes Strauchwerk auf und ein Lichtstrahl beleuchtet ein sattbraunes Wegstück. Kühn sind die geschlossenen Farbflächen der Gewänder gegeneinander gesetzt: das edle Rot im Mantel Johannis herrscht über das Schwefelgelb am modischen Kleide Magdalenens, das ' dunkle Blau am Überwurf Mariens und die Todesfarbe des Leichnams. Heute sind die blauen und grünen Töne der Landschaft und des Himmels durch Oxydation der Malfarben nachgedunkelt. Dadurch wurde der ursprünglich gewollte Kontrast zwischen den farbensatten Figuren und dem dunkelnden Lande, wird die Geschlossenheit der figuralen Komposition und der Todesernst des ganzen Bildes verstärkt; es atmet tiefste Trauer in feierlichem Schweigen.

Hauchdünn und zügig sind die Temperafarben über einer fast überall durchschimmernden bläulichen Vorzeichnung, die wesentlich von den endgültigen Umrissen abweicht, flüssig aufgetragen. Bis auf minimale Fehlstellen im Himmel ist der malerische Aufbau unverletzt. Besondere Farbeffekte, wie das Grün eines Strauches oder das geisterhafte Weiß der Firne, sind pastos aufgesetzt. Zur ausdrucksvollen Detailmalerei der Gesichter und Hände kontrastiert die bewußt summarische Maltechnik in Ge- wändefn und Landschaft. Immer wird das Wesentliche betont. Doch wirken die

Asymmetrie der Komposition und die gewagten Farbenkontraste dank der hohen Meisterschaft des Malers zwar unvergeßlich, aber wie selbstverständlich.

Kühn ist an dem Gemälde die Art, mit welcher die asymmetrische Figurengruppe durch die Kreuzesstämme allein im Gleichgewicht gehalten wird; kühn vor allem die stimmungsweckende Macht der glühenden Farben; soweit ich sehe, klingt nirgends in der Komposition ein graphisches Vorbild nach, wenn nicht im denkerhaften Profil des hl. Johannes der Einfluß italienischer Formen — etwa aus den Stichen Marcan- tonio Raimondis — erblickt werden muß. Ausgesprochen italienisch wirkt auch die doktrinäre Art, mit der unvermittelt eine Gestalt en face (Maria Magdalena) neben eine Gestalt in Profilwendung (Johannes) gesetzt wird. Das Bild ist aus einer großartigen Farbenvision geboren; dennoch leben in der Figurenkomposition Formerinnerungen an gleichzeitige, plastische Beweinungsgruppen, wie sie sich etwa in der viel- figurigen Altarpredella in Goisern erhalten haben; hier wie dort füllt der übergroße Gottesleichnam die Darstellung fast in ihrer ganzen Länge. Aber während gleichzeitig plastische Gruppen vielfigurig das tragische Ereignis drastisch schildern, erhebt sich die „Beweinung von 1517" durch edles Maß und bewußte Beschränkung zu innerer Monumentalität im Sinne der Hochrenaissance. Darüber hinaus tauchen aber bereits ausgesprochen manieristische Züge auf: die Farbengebung strebt eine irrationale, nicht eine gegenständliche Wirkung an; in ausdrucksvoller Schlankheit treten die Glieder des Herrn übergroß hervor; die Arme des Jüngers wiederholen und unterstreichen die qualvolle Knickung der Arme Christi; die Hände vereinigen sich zu kunstvollen Gruppen.

Das neuentdeckte Meisterwerk steht in der vordersten Front der Stilentwicklung seiner Zeit, von deren mächtigem Atem es erfüllt ist; alles andere als eine provinzielle oder rückständige Leistung. Es wäre verfehlt, die Beweinung mit dem nichtssagenden und überholten Ausdrucke „Donaustil“ erklären zu wollen, weil auch sie das Ineinanderwirken von Figur und Landschaft und die suggestive Kraft der Farben aufweist. Von den gleichzeitigen Werken, etwa Albrecht Altdorfers Gemälde in St. Florian, 1518, trennt unser Bild eine entgegengesetzte künstlerische Gesinnung; tiefe Ruhe, Feierlichkeit und innere Monumentalität s cheiden es eindeutig von der kleinmeisterlichen Erzählerfreude des Meisters von Regensburg, dessen Kunst letzten Endes von der Buchmalerei herstammt und sich in liebevolieq ßinzelschilde- rung auslebt. Ebenso unrichtig wie verlockend wäre es, das für Mondsee geschaffene Bild dem Kreise des Passauer Malers Wolf Huber zuzuweisen, der bekanntlich 1510 in Mondsee die erhaltene Vedute des Sees mit den umliegenden Bergen gezeichnet hat. Hubers datierte Gemälde setzen erst 1521 ein, weisen eine ganz andere Körpermodellierung auf und verbinden Mensch und Landschaft viel inniger als die „Beweinung von 1517". Deren innere Vornehmheit hebt sie von den Schöpfungen des „Meisters von Alt-Mühldorf“ und des „Meisters der Maria Magdalena" ab. Alle die erwähnten Wesenszüge des besprochenen Meisterwerkes Ordnen es vielmehr einem noch unbekannten großen Salzburger Meister zu, der für Stift Mondsee gearbeitet Kat; denn für die Mondseer Stiftskirche dürfte das Bild als Predellengemälde eines großen Flügelaltars entstanden sein. Darauf weist an den Bildrändern der Abdruck von Renaissancerahmenteilen hin. Die gleichen Wesenszüge weist das ebenfalls um 1520 in Salzburg für Mondsee geschaffene viel- figurige Relief der Beweinung Christi in Straßwalchen auf, das (nach A. Feulner) vielleicht von dem Salzburger Meister J. Pocksberger stammt und das ebenfalls italienische Formen verarbeitet, nämlich Motive des Stiches B. 2 der Mantegna- werkstatt.

Auf Salzburg als Entstehungsort der „Beweinung von 1517“ weist auch ihre Farbensprache hin. So findet sich kurz vor 1520 derselbe Kontrast von Rot zu Gelb an den in Salzburg geschaffenen Flügelgemälden des Hallstätter Hochaltars, die der Nachfolge des

Marx Reichlich und somit der zeitweise nach Salzburg übergreifenden Tiroler Kunstsphäre angehören. Der „Meister der Beweinung von 1517“ dürfte ein Altars- und vielleicht auch Werkstattgenosse des Meisters der Kinderbildnisse aus der Familie des Salzburger Münzmeisters Thenn gewesen sein. In der Kunst unseres Malers lebt noch der sakrale Ernst des späten Mittelalters, aber schon auch die reizvolle künstlerische Freiheit der Generation Altdorfers. Das neuentdeckte Gemälde ist eine der kostbarsten Leistungen österreichischer Malkunst der Maximilanzeit, ein gleichwertiges Gegenstück zu Altdorfers Gemälden in St. Florian und ein Hauptwerk des Kunstmäzenatentums des Stiftes Mondsee.

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