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Die Suppe der Roxelane

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Wer um die Mittagszeit durch die Basarhallen der Altstadt Jerusalems geht, wird immer wieder Kindern und Greisen begegnen, die mit leeren Eimern, Menageschalen, Konservenbüchsen, Gefäßen aller Art in die südliche Parallelgasse der Via Dolorosa einbiegen. Folgt man ihnen die schwibbogenreiche Treppengasse hinunter, dann sieht man sie in dem verfallenen Prunkportal des alten sarazenischen Palastes verschwinden, der die Nordfront des alten Serail, des heutigen mohammedanischen Waisenhauses, bildet. Das schöne Tor führt in einen ruinenhaften Hof, den eine Freitreppe teilt, auf -der stets malerische Gestalten lagern, die ihre Suppe an Ort und Stelle löffeln oder schlürfen.

Diese Suppe, eine Art bräunliches Por-ridge, wird von früh bis abend in niemals endender Fülle, in einer merkwürdigen Riesenküche ausgeteilt. Im Vorderteil des pfeilergetragenen, rauchgeschwärzten Kuppelraums sitzt der Aufsicht führende weiß-beturbante Scheich würdig in einem bequemen Korbsessel. Dahinter ist eine Feuerstelle in den Boden eingelassen, die mit mächtigen Olivenholzknorren geheizt wird.Hier brodelt die Suppe in einem eingemauerten Kessel unwahrsdieinlicher Dimensionen und wird von einem zweiten Funktionär freigebig in jedes dargebotene Gefäß geschöpft.

Es gibt keinerlei Kontrolle, keine Armutszeugnisse oder Speisekarten. Wer bittet, dem wird gegeben. Die christliche Legende nennt Kaiserin Helena, die Mutter Konstantins, als Stifterin der „Tekieh“. Der arabische Historiker Meir ed Din nennt als Stifterin eine wohlhabende und reiche Dame „Sitt Tonshok“. Alte Urkunden aber, die den Unterhalt der Suppenküche aus Hausbesitz in der Altstadt und den Steuern des Dorfes Beth Dschalla regeln, bezeichnen als Stifterin mit aller Bestimmtheit die Suitana Roxelane, die Lieblingsfrau Soleimans IL, des Eroberers von Jerusalem. Damit stimmt auch überein, daß die „Tekieh“ 1565 zum erstenmal von einem Pilger erwähnt wird.

Suleiman befestigte Jerusalem aufs neue nach 1540. Jene Monumentalbrunnen, geziert mit Fragmenten der Kreuzfahrerkirchen, mit denen er Jerusalem so freigebig schmückte, tragen Jahreszahlen zwischen 1540 und 1550. Es ist nicht unvorsichtig anzunehmen, daß Roxelane die Suppe der Armen in den Jahren stiftete, da ihr-großer Gatte der Stadt die Brunnen schenkte. Derart kocht Roxelanes Suppe nun seit vierhundert Jahren für alle, die Appetit darauf haben. Heute wird sie in einem hygienisch verzinkten Kessel bereitet, aber die alten ungeheuren Kupferkessel lehnen noch immer an der Wand.

Diese Kessel sehen so aus, wie man sich den berühmten „Porridgepot“ des Guy of Warwick vorstellt. Sie bestehen aus zolldickem, prächtig oxydiertem Kupfer. Mit Wuchtigen Beschlägen und schön geschwungenen ziselierten Henkeln, wahre Museumsstücke. Erinnerungen dämmern auf. Hat man diese Kessel nicht schon irgendwo gesehen?

Als Suleiman der Große Wien vergeblich belagert hatte, feierte ein zeitgenössischer österreichischer Künstler dieses ungeheuer aktuelle Ereignis durch eine Holzschnittserie, die das Heer der Türken darstellt und heute den Stolz jedes graphischen Kabinetts bildet. Ein Holzschnitt zeigt die Feldküchen des Türkenlagers und genau dieselben Kessel, wie sie noch heute an den Wänden der alten Suppenküche lehnen. Es waren alte Feldkessel seines Heeres, die Soleiman der Lieblingsfrau für ihre Armenküche schenkte.

Wer europäische Schulen besuchte, *der lernte den gewaltigen Soleiman als einen Erzfeind des Abendlandes kennen. Später erfuhr er vielleicht, daß jenes Türkenreich zwischen den Karpathen und dem persischen Golf, die Zuflucht aller Verfolgten und Vertriebenen wurde, in dem die spanischen Juden und Mauren, Polen und ungarische Exulanten Asyl fanden, daß unter Soleiman niemand um seines Glaubens, seiner Rasse willen verfolgt, kein Ketzer, keine Hexe, kein Jude verbrannt wurde. Es ist vielleicht nicht völlig anachronistisch, sich in diesen Tagen daran zu erinnern, daß die Suppe der Suitana Roxelane seit vierhundert Jahren in Jerusalem kocht und nicht an einem Tag in diesen vierhundert Jahren mit dem Mittagsschuß nicht fertig war.

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