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Kanada—Europas neue Heimat

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2,244.500 Einwanderer haben in diesem riesigen Land, das sich über 3,5 Millionen Quadratmeilen erstreckt, seit Kriegsende eine neue Heimat gefunden. In einer Rede in Hulls Richelieu Club erwähnte Einwanderungsminister Rene Tremblay auch den hervorragenden Anteil der deutschsprachigen „New Canadians“, von denen seit 1946 etwa 350.000 einwanderten. (310.000 waren Deutsche und Österreicher. Allein im Jahre 1963 sind 799 Männer und Frauen aus Österreich eingewandert.)

Schweizer Kapital schuf die großen St. Laurent Cement Works in Quebec City. Der deutsche Chemiker Gisbert Boch gründete die bereits international bekannte Firma St. Lawrence Ceramics in Quebec City. Drei österreichische Einwanderer, die sich an der Westküste niederließen, beschäftigen mehr als 1000 Arbeiter in ihrem Werk, Canadian Forests Products Ltd. Richard Segieth, einer von 2200 deutschen Einwanderern, die seit 1950 hier eigene Industrien oder Unternehmen gründeten, ist ein prosperierender Fabrikant. Der Mann, der im Jahre 1953 einwanderte, arbeitete vorerst für vier Möbelfabriken, ehe er — mit Hilfe eines kanadischen Geschäftsmannes — sein eigenes Werk in Iberville etablierte. Heute ist dieses Unternehmen, wie Minister Tremblay berichtete, außerordentlich erfolgreich. Die meisten der nun in Iberville geschaffenen Möbel sind aus Teakholz, das Segieth aus Südafrika importiert

Groß ist der Anteil der deutschsprachigen Einwanderer auch im Hotelwesen. Österreicher, Deutsche und Schweizer sind in immer größerer Anzahl in Spitzenpositionen zu finden. Der aus Friedberg in Hessen stammende George Schwab stand nun im Brennpunkt des Interesses, da Elizabeth Taylor und Richard Burton während ihres Aufenthaltes in Toronto (Burton spielte die Titelrolle in Sir John Gielguds „Hamlet“-Inszenierung) Schwabs exklusives Franz-Josef-Restaurant — dessen Inneneinrichtung mit einem Kostenaufwand von 250.000 Dollar aus Österreich importiert wurde — allen anderen Stätten vorzogen. Der junge Hesse ist Generalmanager des Wal-ker-House-Hotels und dreier Restaurants darin: Franz Josef, Ratskeller und Swiss Bear.

„Können wir uns vorstellen, welche Bestürzung in Kanada herrschen würde, wenn plötzlich 5900 unserer Ärzte und 18.000 geprüfte Nurses in ihre alte Heimat zurückkehren würden?“ fragte Minister Rene Tremblay, als er auf die enorme Bedeutung der „Neukanadier“ hinwies. Unter ihnen befinden sich unter anderem 19.070 Ingenieure, 16.581 Professoren und Lehrer, 4800 Buchprüfer und 3180 Chemiker.

Im Reich der schönen Künste ist die Bedeutung der Einwanderer kaum weniger eindrucksvoll. Man findet unter ihnen Persönlichkeiten wie Hermann Geiger-Torel, den Frankfurter, der mit großem Erfolg als Generaldirektor der Canadian Opera Company wirkt; den Österreicher Harry Horner, Regisseur, Bühnenbildner und Filmproduzent; den Filmschauspieler Fred Doeder-lein, der die markanteste Persönlichkeit von Montreals Deutschem Theater ist; den aus Prag stammenden Dirigenten des Toronto Symphony Orchestra, Walter Susskind; den aus Linz stammenden Bühnenbildner Rudi Dorn; die Wienerin Irene Jess-ner, vordem gefeierte Diva der Metropolitan Opera und nun Gesangslehrerin in Torontos Royal Conser-vatory, und viele andere.

Ausgezeichnet haben sich auch die 27.000 Ungarn, die nach der Rebellion der fünfziger Jahre hier eine neue Heimat fanden, in das kanadische Bevölkerungsmosaik eingefügt. Einige Jahre vorher war der Budapester Textilfachmann Thomas Ka-raß eingewandert. Mit bescheidensten Mitteln begann er eine Erzeugung im Keller eines Montrealer Hauses. Heute exportiert seine Canadian Ribbon Tape Company ihre Produkte bis nach England und Venezuela.

Nicht wenige große Konzerne wurden von Einwanderern aus dem deutschen Sprachraum gegründet, die schon vor oder kurz nach Kriegsbeginn nach Kanada gekommen waren. Der aus der Tschechoslowakei stammende Leon Koerner gründete an der Westküste eine Holzindustrie, die mehr als 4500 Arbeitskräfte beschäftigt. Die von ihm geschaffene Leon & Thea Koerner Foundation leistet in den Sphären der Kultur und Wohlfahrt wertvolle Arbeit. Fred Mendel aus Recklinghausen erreichte im Jahre 1940 die Präriestadt Saskatoon, die ihn nun als ihren größten Philanthropen betrachtet. Schon ist sein Unternehmen, Intercontinental Packers Ltd., mit einem Jahresumsatz von mehr als 60,000.000 Dollar zur viertgrößten Fleischkonservenfabrik Kanadas geworden. Der Konzern besitzt Werke in Saskatoon, Regina, Red Deer und Vancouver. Besonders als großzügiger Förderer des Saskatoon Art Center und der Universität von Saskatchewan hat Fred Mendel die Anerkennung und Dankbarkeit weiter Kreise gewonnen. Wie er mir berichtete, hat er kürzlich die von ihm im Jahre 1937 in Australien gegründete Intercontinental Packers (Pty) Ltd. nun an einen amerikanischen Konzern für zweieinhalb Millionen australische Pfund verkauft.

„Engländer, Schotten, Deutsche und Franzosen waren unter den Pionieren, die unser Land kolonisierten“, erklärte Einwanderungsminister Rene Tremblay, ein Sohn der franko-kanadischen Provinz Quebec. Oft zitiert er die Worte von Kardinal Paul-Emile Leger: „Wir haben kein Recht, ein halbleeres Land allein für uns selbst zu behalten.“

Auch heute leben in dem riesigen Land nur 19,300.000 Menschen. Vor 50 Jahren waren es nur 7,600.000...

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