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Kulturschande auf Raten

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Wieder ist ein berühmtes Barockschlößchen am Bande Wiens von der Spitzhacke bedroht: Johann Bernhard Fischer von Erlachs 1713 entstandenes Schloß Weidlingau, besser bekannt als Ledererschlößl, verfällt unaufhaltsam. Überall bricht bereits der prächtige Stuck von den Mauern und Gesimsen. Schutt liegt in den Innenräumen. Kunstvolle schmiedeeiserne Geländer rosten. Und im Stiegenhaus droht eines der schönsten Fresken des österreichischen Expressionisten Anton Faistauer, sein einziges Deckenbild auf Wiener Boden, vom Plafond zu bröseln. Was geschieht dagegen? Nichts! Der Eigentümer, die Gemeinde Wien, findet es nicht der Mühe wert, dieses Juwel österreichischer Kultur zu erhalten. Im Gegenteil, je eher das kleine Palais einstürzt, desto eher ist man die Last los, desto eher ist der herrliche Baugrund ein neues Spekulationsobjekt.

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Wieder ist ein berühmtes Barockschlößchen am Bande Wiens von der Spitzhacke bedroht: Johann Bernhard Fischer von Erlachs 1713 entstandenes Schloß Weidlingau, besser bekannt als Ledererschlößl, verfällt unaufhaltsam. Überall bricht bereits der prächtige Stuck von den Mauern und Gesimsen. Schutt liegt in den Innenräumen. Kunstvolle schmiedeeiserne Geländer rosten. Und im Stiegenhaus droht eines der schönsten Fresken des österreichischen Expressionisten Anton Faistauer, sein einziges Deckenbild auf Wiener Boden, vom Plafond zu bröseln. Was geschieht dagegen? Nichts! Der Eigentümer, die Gemeinde Wien, findet es nicht der Mühe wert, dieses Juwel österreichischer Kultur zu erhalten. Im Gegenteil, je eher das kleine Palais einstürzt, desto eher ist man die Last los, desto eher ist der herrliche Baugrund ein neues Spekulationsobjekt.

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Eben erst wurde das Parktor frisch zugenagelt. Und man hört jetzt nur das Fallen reifer Kastanien von den in schönsten Herbstfarben leuchtenden Baumkronen. Tief im Park, hinter herrlichem, altem Baumbestand versteckt, träumt das Haus, Schloß Weidlingau, auch Huldenberg-Schlößl genannt. Kämpft man sich durch das hohe, wuchernde Gras und Gestrüpp des riesigen Parks, stellt man bald fest, daß das Schloß unbewohnt, ja dem Verfall preisgegeben ist. Im Inneren liegt überall Schutt und zersplittertes Glas herum. Aber auch in diesem beklagenswerten Zustand ist die einstige Pracht dieses einstöckigen Bauwerks noch deutlich zu erkennen. Die Fassade schmückt ein auf Säulen ruhender Vorbau, welcher einen mit schmiedeeisernen Geländern versehenen Balkon trägt. Die heute leerstehenden Innenräume tragen zum Teil schönen Wand- und Deckenstuck. Besonders reizvoll ist das geräumige Stiegenhaus mit seinen schwungvollen, schmiedeeisernen Rokokogeländern, dessen Decke ein prachtvolles Fresko von Anton Faistauer schmückt. Anton Faistauer, geboren in Sankt Martin bei Lofer im Jahre 1887, gestorben in Wien im Jahre 1930, der ein besonders begabter Dekorateur war und sein Können in den Wandbildern des Salzburger Festspielhauses und in der Kirche von Morzg bewiesen hat und auch das hohe Ansehen der österreichischen Malerei im Ausland kräftig förderte, schuf dieses neun mal elf Meter große, allegorische Deckenfresko hier im Jahre 1929, also ein Jahr vor seinem Ableben. Dieses Deckenfresko im Weidlingauer Schloß ist dazu das einzige Wandgemälde Faistauers, das er auf Wiener Boden geschaffen hat und das einzige, das im Räume Wien vorhanden ist!

Dieses einzigartige Werk Fischer von Erlachs und Anton Faistauers befindet sich heute in höchster Gefahr! Dem Deckenfresko Faistauers droht baldige Vernichtung, denn der Bauzustand des Schlosses verschlechtert sich täglich mehr und mehr. Sämtliche Türen und Fenster des Schlosses stehen offen, das Dach ist schadhaft oder wurde mit Absicht beschädigt, so daß es nun überall hineinregnet. Schon ist eine Decke eingestürzt, Wände und Plafonds weisen große nasse Flecke auf, und überall bröckelt bereits der Stuck zu

Boden. Von Sicherungsmaßnahmen findet man nirgends die geringste Spur!

Die den Schloßpark einst zierenden barocken Gartenflguren sind kürzlich abtransportiert worden. Es deutet auch nichts darauf hin, daß hier in absehbarer Zeit etwas zur Rettung des Objektes geschieht. Herbstregen und Winterfrost werden bestimmt dem Weidlingauer Schloß mit seinem kostbaren Fai-stauer-Fresko den Garaus machen, so daß man es im Frühjahr 1971 zur höchst gefährlichen Bauruine wird erklären müssen und abbrechen kann. Somit wäre dann der Fall erledigt. Die Mehrzahl der Wiener und Österreicher kennt das Schloß gar nicht und wird auch nie erfahren, was hinter hohen Umfriedungsmauern Anno 1970/71 in einem verwilderten Park im 14. Wiener Bezirk geschehen ist. Es wird einfach nicht mehr da sein und basta. Genauso wie die barocke Winterreitschule des Palais Rainer im 4. Wiener Bezirk, ebenfalls ein Bau Fischer von Erlachs, im Jahre 1958 verschwand, oder die „Rauchfangkehrer“-Kirche...

Nun fragt man sich: sind denn solche barbarische Methoden heute in einem europäischen Kultur- und Rechtsstaat wie Österreich noch möglich? Kümmert sich niemand in Österreich und der vielgepriesenen Kulturmetropole Wien um die Kunstwerke vergangener Epochen? Schlafen den unsere Denkmalschützer und die zuständigen Beamten? Oder wissen sie einfach nichts davon, was ratenweise an Demolierungen in unmittelbarer Nähe ihrer Tintenburgen geschieht? Das Bedauerlichste an diesem Fall ist aber, daß das Weidlingauer Schloß samt seinem wertvollen Faistauer-Fresko niemandem anderen als der Stadt Wien gehört, die das Wort „Kultur“ ständig bemüht.

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