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Verpackt und verschenkt

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Alfred Kubin schrieb 1928 in einem Brief an Anton Faist-auer: „Du bist heute noch immer nicht Deiner seltenen Begabung nach geschätzt.“ Diese Worte dürften, leider, noch immer ihre Gültigkeit haben, zumindest was Wien anbelangt. Denn wie konnte in allerjüngster Zeit hier etwas so Befremdendes und Barbarisches passieren? Etwas, das an die unrühmliche Entfernung der „entarteten Malereien“ Faistauers aus dem Salzburger Festspielhaus zu Beginn des zweiten Weltkrieges erinnert.

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Alfred Kubin schrieb 1928 in einem Brief an Anton Faist-auer: „Du bist heute noch immer nicht Deiner seltenen Begabung nach geschätzt.“ Diese Worte dürften, leider, noch immer ihre Gültigkeit haben, zumindest was Wien anbelangt. Denn wie konnte in allerjüngster Zeit hier etwas so Befremdendes und Barbarisches passieren? Etwas, das an die unrühmliche Entfernung der „entarteten Malereien“ Faistauers aus dem Salzburger Festspielhaus zu Beginn des zweiten Weltkrieges erinnert.

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Noch vor zwei Jahren befand sich eines der schönsten und monumentalsten Deckenfreskos Anton Faistauers (geboren 1887 im salzburgischen Sankt Martin bei Lofer, gestorben 1930 in Wien), wohlgemerkt das einzige, das er im Räume Wiens geschaffen hat, im jetzigen 14. Wiener Bezirk, in dem zur Demolierung bestimmten Schloß Weidlingau, auch Huldenberg- oder Lederer-Schlößl genannt. Im Jahre 1929 malte Anton Faistauer, der neben Oskar Kokoschka, Anton Kolig und Herbert Boeckl zu den bedeutendsten Malern und Wegbereitern der österreichischen Moderne zählt, an die Decke der geräumigen Stiegenhalle dieses um 1713 von J. B. Fischer von

Erlach erbauten, später jedoch veränderten Schlosses, ein riesiges, sehr eindrucksvolles und farbenfrohes allegorisches Fresko, betitelt: „Heimkehr von der Jagd.“ Es war nicht nur eines seiner schönsten und reifsten Werke, das er ein Jahr vor seinem Tode schuf, es war, wie bereits erwähnt, sein einziges Werk im Räume Wiens.

Als im Herbst des Jahres 1970 die Spitzhacke dem lange Zeit vergessenen und verwahrlosten Schloß Weidlingau drohte, und somit auch das monumentale Deckenfresko Faistauers im höchsten Maße gefährdet schien, versuchten wir die Öffentlichkeit mit einer Reportage in der „Furche“ Nr. 45 vom 7. November 1970 auf diese Gefahr aufmerksam zu machen. Als Antwort auf diesen Artikel verlautete damals von Seiten des Kulturamtes der Stadt Wien: Dieses Schloß besitze infolge mehrerer Umbauten keinerlei architektonische Qualitäten mehr, weshalb man sich entschlossen habe, dieses Gebäude abzureißen, wobei das Deckenfresko Faistauers abgenommen und später auf den Plafond eines der großen Räume der nahegelegenen Hermesvilla im Lainzer Tiergarten übertragen werden sollte.

Ich plädierte damals für die Erhaltung mindestens des noch am wenigsten ruinösen und architektonisch reizenden Mittelteiles des Schlosses, wo sich neben dem Stiegenhaus mit dem wertvollen Deckenfresko im ersten Stock ein großer stuckierter Saal befand, um diesen Gebäudeteil, nach gründlicher Renovierung, künftig kulturellen Zwecken zu reservieren. Nach diesem Vorschlag hätte also das Monumentalfresko Anton Faistauers an seinem angestammten Platz und in jener Umgebung, wo es entstanden ist, für alle Zukunft verbleiben können. Diese Vorgangsweise hätte der in aller Welt praktizierten Pflege von Kunstwerken entsprochen und wäre auch allen Postulaten einer gutverstandenen modernen Denkmalpflege gerecht gewesen. Auf diese Weise hätte Wien eine seiner wertvollsten Sehenswürdigkeiten behalten.

Doch leider kam es anders. Das Schloß Weidlingau wurde aufgegeben, und so verschwand auch das berühmte Deckenfresko Anton Faistauers. Die abgenommene Decke mit dem wertvollen Gemälde schenkte nun die Stadt Wien der Stadt Salzburg!

Und jetzt beginnt man sich in Salzburg den Kopf darüber zu zerbrechen: wohin mit diesem riesigen Gemälde? Uber einen entsprechenden leeren Plafond solchen Ausmaßes verfügt man dort nicht. Die in Salzburg verhandenen Räume weisen bereits entsprechenden Schmuck auf, oder sie sind einfach zu klein.

Also bleibt das großartige Fresko Faistauers, für Jahre, vielleicht für Jahrzehnte oder sogar für immer in Kisten verpackt im Depot liegen! Zusammen mit unzähligen anderen österreichischen Kunstwerken aus den verschiedensten Epochen, die in verschiedenen Depots lagern und deren Zahl infolge der jetzigen

Demolierungsfreudigkeit unserer Kulturhüter immer größer wird.

Aber nicht in Depots und Museen wollen wir die Kunstwerke unserer Vergangenheit wissen, sondern dort, wo sie entstanden sind, dicht um uns, inmitten unsers Lebensraumes, und gepflegt und geschützt. Schon genug viele unserer einst reizenden Orte wurden durch die Demolierung alter historischer Gebäude, durch Verkauf oder Abschiebung aller beweglicher Kunstwerke sowie planlose Verbauung zu häßlichen und langweiligen „nur Wohn- und Schlafsiedlungen“ abgewertet.

Es wäre doch reizend, könnte die Ausstellung von Werken Anton Faistauers zu seinem 85. Geburtstag, die gegenwärtig im Oberen Belve-dere untergebracht ist, in dem pietätvoll renovierten Lederer-Schlößl, wo sich eines der größten Fresken dieses Malers befand, gezeigt werden. Doch diese Chance wurde für immer vertan. Anscheinend werden in Wien heute nicht einmal die Werke berühmtester Künstler und Genies geduldet. Denken wir nur an das Schicksal der Werke eines Fischer von Erlach, Otto Wagner, Adolf Loos, Ludwig Wittgenstein, usw. Mit einer Ausstellung allein kann man höchstens nur Laien oder Nichtswissenden Kulturarbeit vortäuschen.

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