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Stätte der Vertiefung

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Es ist nicht nur die neue Form, das Ungewohnte der Linienführung und Farbgebung, was die „moderne“ sakrale Kunst so entscheidend von der des 19. Jahrhunderts trennt, sondern noch ein zweites und meines Erachtens wesentlicheres: das unterschiedliche Wollen ihrer Schöpfer. An Stelle der religiösen Illustration, des Erbauungsbildes, das in einer geordneten Welt von Gläubigen seine Berechtigung hatte, tritt die Darstellung des Nach-innengesehauten, des religiösen Geheimnisses, die den Beschauer in ihren Bannkreis zwingt und nicht eher entläßt, bis er aus seiner Scheinruhe gerissen, aufs neue vor dem Unfaßbaren zu staunen beginnt und den Anruf Gottes in seinem Herzen hört. Die neue kirchliche Kunst wendet sich nicht nur an den Katholiken, sondern an alle Menschen, und steht hiermit an vordeter Stelle in der christlichen Misiion.

Dieser Wille hat auch die Schöpfer jener Spitalbkapelle beseelt, die im Grazer Sanatorium der Kreuzschwestern vor kurzem eingeweiht worden ist, eine mutige Tat ihrer Stifter, mit der ein schlichter dienender Orden seinem Lande ein Beispiel gegeben hat. Nichts als ein Saal in einem neuerrichteten Objekt stand zur Verfügung, aber Architekt Max Ehrenberger hat ihn zu einer Stätte innerlicher Andacht eingerichtet. Würdig hebt sich vom einfachen Raum mit den eichenen Bänken der schwarze Marmoraltar ab, ein auf wenigen Stufen erhöhter Tisch, über dem das Altarbild Rudolf Szyszkowitz' den Blick gefangen nimmt. Aus den flammenden Farben des Regenbogens stoßen die Engel der Schmerzen ihre Schwerter gegen die Brust der Gottesmutter, die dennoch sieghaft in ihrer durch kühne Linienführung angedeuteten Glorie thront, während das Kind seine Arme nach jenem anderen, einsamen Engel zur Rechten ausstreckt, der ihm das hellleuchtende Kreuz reicht. So unbekannt und unerklärbar wie das Wesen der Engel ist uns das Leid der Unschuldigen, nicht trotziges Aufbegehren, noch gleichgültiger Fatalismus können es überwinden. Immer wieder hat uns dies unsere Zeit gelehrt. Aber Er zeigt uns den Weg: die offenen Arme dem Kreuz entgegen. Denn es gibt keinen sicheren Wall, die Schwerter der Leidensengel läurchbohren ihn, und es gibt auch keine Flucht in das Nichts. Wir sind in dem Raum zwischen Engel und Engel. Es gibt nur das Auf-sich-Nehmen des Schicksals, das wirkliche Heldentum — und aus den Farben des Altarbildes leuchtet der Triumph: die Mutter und das Kind haben die Zeit überwunden.

Von besonderer Eindringlichkeit sind die Sgraffitos des Kreuzweges, von der Hand des gleichen Künstlers gefertigt, und gerade hier wird jins der Wandel von der Illustration zur Konzentration deutlich. Szyszkowitz selbst nennt seine Arbeit Schrift, und die stilisierenden Formen beiweisen uns tatsächlich die Urverwandtschaft von Zeichnung und Buchstabe. Neben der oft frappierenden Form ist es die neue Idee, die bei Szyszkowitz zum Nachdenken zwingt, auch in den

Bildern seines Kreuzweges, von denen jener Christus, dem die Fäuste unsichtbarer Peiniger das j Hemd vom Leibe reißen, zu den eindruckvollsten gehört.

Vornehme, bewußt einfache Ampeln und eine vornehme ■ seitwärts über den Altar angebrachte Schaukellampe mit dem. ewigen Licht ergänzen die stille Wirkung des Raumes, ebenso die ernste Kreuzornamentik der Glasfenster Hans Wolfs. Nur das Altarfenster ändert die Komposition, wird zur farbigen Gestaltung und wandelt zugleich die-Lichtwirkung im Räume. Das Taufbecken von Hans Adametz paßt in seiner edlen Formgestaltung organisch in den marmornen Altarraum, während eine ganz in die Herzform aufgegangene konkave Christusplastik des gleichen Meisters allzu problematisch bleibt. Ein schöner Gobelin Gertrude Fröhlichs an der Rückwand, die vier Evangelisten bezeichnend, erfreut in seiner Farbgebung und Komposition.

Die Gesamtanordnung der Kunstwerke, die ebenfalls Max Ehrenberger zu danken ist, hätte kaum besser gelöst werden können. So fordert der Raum seine Beter zur Schlichtheit, zur restlosen Hingabe an die Geheimnisse, die seine Bilder künden, deren Botschaft tief in unser Herz bohrt, nicht um uns zu beruhigen, sondern aus der Ruhe aufzurütteln, uns das Herrenwort zuzurufen: Wachet und betet!

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