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Tschechoslowakische Architektur

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Selbst dem flüchtigen Besucher Prags muß die verhältnismäßig große Anzahl an guten Bauwerken auffallen, die zwischen den beiden Weltkriegen entstanden und denen vergleichsweise Wien für den gleichen Zeitraum wenig gleichwertiges entgegenzustellen hat, da sich in ihnen der Anschluß an die neuen Baugedanken und Tendenzen Westeuropas reiner und kompromißloser ausdrückt.

Der Bund tschechoslowakischer Architekten hat nun in zweijähriger intensivster Forschungsarbeit, einer Bitte und Anregung der österreichischen Gesellschaft für Architektur entsprechend, eine ausgezeichnete Dokumentation zusammengestellt, die einen erstmaligen Uberblick über die tschechoslowakische Architektur in diesem Jahrhundert liefert. Sie wird derzeit in sauberer Präsentation auf dem so beziehungsträchtigen Boden der Wiener Sezession ausgestellt. Beziehungsträchtig schon deshalb weil es die Wiener Sezession war, die auch für die Tschechoslowakische Architektur zuerst im Verband der Donaumonarchie zum großen Anreger wurde und jene Kräfte ausbildete und entband, die dann in dem Nachfolgestaat ihr reiches Wirken entfalten konnten und zum Anschluß an die internationale Entwicklung durchstießen.

So bat Jan Kotera (1871 bis 1923), der Begründer der tschechischen modernen Architektur, an der Akademie der bildenden Künste in Wien

studiert und war ein Schüler Otto Wagners. Er selbst wurde wieder zum Lehrer von Otakar Novotny (1880 bis 1959), Jaromir Krejcar (1895 bis 1950) und Josef Goiar (1880 bis 1945), der seinerseits Jaroslav Fragner (1898 bis 1967) und Josef Hav-liöek (1899 bis 1961) zu seinen Schülern zählte, die beide eine bedeutende Rolle spielten, der eine als Rekonstrukteur historischer Architektur, der andere als Schöpfer von einigen wichtigen Bauten der Zwischenkriegszeit. Auch Pavel Janak (1882 bis 1956) studierte an der Akademie der bildenden Künste in Wien und war ein Schüler Otto Wagners. Zusammen mit Josef Gocar nahm er Anregungen des Kubismus in die Architektur auf und beeinflußte als Theoretiker und Denker und durch sein Werk entscheidend den Städtebau, das Kunstgewerbe und den Denkmalschutz der Tschechoslowakei. Der Ursprung einer zusammenhängenden Archi-tekturentwicklung, die von Otto Wagner und der Wiener Sezession ausging und sich dann mit expressionistischen und kubistischen Elementen anreicherte, wird in dieser Ausstellung stark deutlich, aber ebenso eine eigenständige plastische Phase, die dann in eine sachlich funktiona-listische Entwicklung ausmündet. Hier sind die beiden Bauten erwähnenswert, die Peter Behrens (1928) und Adolf Loos (1930) in der Tschechoslowakei schufen und vor allem das so wichtige und bedeutsame Haus Tugendhat in Brünn von Mies van der Rohe.

Der zweite Weltkrieg, die Okkupation und die Verheerungen des Stalinismus haben in der tschechoslowakischen Architektur großen Schaden angerichtet. Aber seit einigen Jahren wird die unterbrochene Entwicklung mit neuer Energie und frischen Gedanken wieder aufgenommen, die gestörte Verbindung zum Westen, die in der Zwischenkriegszeit stets stärker und fruchtbringender als in Österreich war, neu und fest geknüpft. Sieht man von den geistigen und materiellen Schäden ab, die politische Baobarei angerichtet hat, so zeigt sich die tschechoslowakische Architektur dieses Jahrhunderts als eine aufblühende starke nationale Leistung, die in ihren Spitzen internationale Bedeutung besitzt.

Das Verdienst dieser sehenswerten Ausstellung, die man nicht versäumen sollte, ist es, daß sie mit wesentlichen und wichtigen Fakten und Zusammenhängen bekannt macht, die hierzulande entweder aus Unwissenheit verborgen blieben oder aus Ressentiment verschwiegen wurden, auf die wir aber — in Hinblick auf die Rolle Wiens um die Jahrhundertwende — selbst stolz sein können. Grund genug, den Ver-anstaltem dafür herzlichen Dank zu aasen.

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