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Von der Folklore zur Kunstmusik

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Bela B a r t 6 k, der bedeutendste ungarische Komponist, dessen Geburtstag sich am 25. März zum 80. Male jährt, erkannte frühzeitig den Unterschied zwischen dem, was damals in der Welt als „ungarische Musik" galt (und in Wirklichkeit sentimentale Zigeunermusik war), und der eigentlichen, echten, unverfälschten ungarischen Bauernmusik — ein Unterschied, der weder von Liszt noch von Brahms beobachtet worden war. Hier, in den ungarischen Bauernliedern und Volkstänzen, fand Bartök eine musikalische Sprache, die frei war von Banalität, Schwulst und Sentimentalität. Diese Melodien klangen neu und unverbraucht, herb und klar. Aber mit ihrer Übernahme und Verarbeitung war es nicht getan. Es ging darum, den Geist der Bauernmusik zu erfassen, ihren substanziellen Gehalt für die Kunstmusik fruchtbar zu machen. Der überwiegende, vor allem der wertvollere Teil des alten Melodienschatzes wies noch die alten Kirchentonarten, ferner altgriechische und pentatonische Leitern auf, von denen man angenommen hatte, daß sie in der Kunstmusik nicht mehr anwendbar seien. Außerdem fanden sich hier viel mannigfachere und freiere Rhythmen, als sie in der klassisch-romantischen Musik angewendet wurden. Aber da war auch das Problem der Form zu lösen. Mit einer potpourriartigen Aneinanderreihung von originell instrumentierten Volksmelodien war es nicht getan. Und Bartök wich dieser Schwierigkeit nicht aus. Für den Kontrapunkt wurde Bach, für die Formgebung Beethoven sein großes Vorbild. In dieser Synthese von neuem Material und traditioneller (freilich auch weiterentwickelter) Form offenbarte sich Bartöks schöpferische Kraft, sein künstlerisches Ingenium. Das Resultat war die Verwurzelung der neuen Musik in einer ursprünglicheren Tradition, als sie die europäische Musik bisher gekannt hatte.

In einem von Paul A n g e r e r geleiteten Konzert des Kammerqrche- sters hörten wir vier Kompositionen Bartöks aus den Jahren 1923 bis 1939. Das früheste Werk, die zur 50-Jahr-Feier der Vereinigung von Ofen und Pest geschriebene „T a n z s u i t e" in sechs kurzen Sätzen, zeigt, obwohl die verschiedenen Tanztypen durch ein Ritornell ver bunden sind, noch ein wenig jenen „Potpourri“-Charakter, von dem die Rede war. Aber die Tonsprache Bartöks manifestiert sich darin auf eine so eigenartige, ja gewalttätige Weise, daß man sich das Stirnrunzeln der Ehrengäste bei der Uraufführung Anno 1923 lebhaft vorstellen kann. — Die beiden Rhapsodien für Violine und Klavier beziehungsweise Orchester stammen aus den Jahren 192829. Es handelt sich hier um zwei leichtere, fast improvisatorisch wirkende Stücke mit geigerisch anspruchsvollem, aber nicht eigentlich virtuosem Solopart und farbiger Orchesterbegleitung, die — in der zweiten Hälfte der 2. Rhapsodie — auch jene rhythmische Urkraft ahnen läßt, die aus anderen Kompositionen Bartöks wie weißes Feuer herausschlägt.

Das „Divertimento für Streichorchester“ schließlich, 1939 im Auftrag (und als Gast) Paul Sachers geschrieben, ist ein Werk der Reife und der Synthese. Von besonderem Reiz ist das (rumänische) Thema des 1. Satzes; jene Synthese, die Bartök anstrebte, zeigt am überzeugendsten der mittlere Teil (molto adagio); die virtuose und im höchsten Grad fachkundige Behandlung des Streicherkörpers bewundert man im rondoartigen Finale (allegro assai). Paul Angerer hatte sich mit dem verstärkten Kammerorchester an diese Werke gewagt — und die Partie eindeutig gewonnen. Weder was Intensität noch was Klangfülle betrifft (in der „Tanzsuite" zum Beispiel agierten statt der üblichen sechs bis acht Kontrabässe nur zwei!), blieben Dirigent und Orchester den anspruchsvollen Werken etwas schuldig. Und Eduard Melkus ließ beim ebenso temperamentvollen wie konzertant-virtuosen Vortrag der beiden Rhapsodien völlig vergessen, daß wir ihn in erster Linie als Bach-Spieler „eingestuft“ hatten.

Ein interessantes und ein erfreuliches Konzert, dem am 17. und am 24. März noch zwei weitere Bartök-Huldigungen im Konzerthaus folgen sollen („Deux Por- traits" und 3. Klavierkonzert unter der Leitung von Ferenc Fricsay, mit Annie Fischer als Solistin und dem Orchester der Wiener Symphoniker).

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