6550108-1947_37_08.jpg
Digital In Arbeit

ÄGNETE

Werbung
Werbung
Werbung

5. Fortsetzung

Der Morgen war so schön in seiner kühlen berggesandten Klarheit, daß wir, da^s Gepäck dem Hotelwagen anvertrauend, zu Fuß die stille, kaum erwachte Stadt zu durchwandern begannen.

Ich kannte Innsbruck schon von früher her, es war mir stets mehr als die Hauptstadt Tirols gewesen, es hatte für mich seit je eine ganz besondere Seele, abseits seines städtischen Begriffes, es schien mir, wie etwa Salzburg, Meran oder Bozen auch, ich gebrauche hier ein einigermaßen gewagtes Wort: ein Stück stadtgewordene Landschaft.

Und ich fand es für gut, hier mit Agnete zusammenzutreffen.

Als wir zur Innbrücke kamen, sprang mir das wohlyertraute gewaltige Bild urmächtig ans Herz. Es warfen sich, so schien es mir, die morgenerwachten Bergkolosse mit herrlicher Unbekümmertheit mit Felshauchgetöse und Himmelsklarheit in die in der Tiefe dunkelnde Stadt, die sie nicht höher zu werten schienen als einen Augenblicksscherz der Ewigkeit; sie durchdonnerten, durchwuchteten und durchkühlten sie, als sollte nichts an ihr bestehen bleiben, was ihrer, der Berge, steinernen Dauer nicht gleichkam. Die das bläulich schattende Tal sich erobernde Sonne war, die Felsen in Ocker badend, bersits zur Hungerburgbrücke herniedergetaucht; dort ließ sie das Saftgrün der Matten aufleuchten in köstlich smaragdner Innigkeit.

Und inmitten des mich jauchzend begrüßenden Lichtes dort oben wohnte Agnete! ,Der Kamerad, innerlich ruhiger als ich, wies mir das große besonnte Haus an der Steinwand, ohne im übrigen, was ja selbstverständlich war, meinem Interesse nach dem von ihm aufgespürten Ehepaar nachzufragen. Ich aber beschloß, noch am Vormittag mit der Seilbahn hinaufzufahren, um mir Gewißheit über Agnetes Befinden zu verschaffen.

Kurz vor der Mittagsstunde langte ich auf der Hungerburghöhe an. Auf meine vorsichtig gestellte Frage vertraute mir der Portier des Hauses, der Herr Sektionsrat pflege täglich auf der Bahnhofterrasse zu speisen. Seine Gemahlin sei bis gestern bett-'ägerig gewesen und heute zum erstenmal wieder ausgegangen.

Es würde mir schwer fallen^ Ihnen zu schildern, unter weich zwiespältigen Empfindungen ich mich nunmehr auf die Terrasse des Restaurants begab, um Agnete zum erstenmal von Angesicht zu Angesicht zu sehen. Daß ich sie erkennen würde, daran zweifelte ich nicht. Es hieß nur die nötige Vorsicht wahren, um in keinerlei Weise aufzufallen. Im übrigen gefiel ich mir in dieser Rolle nicht sonderlich. Geheimtuerei war niemals meine Art, und daß ich hier im Begriffe war, mich in den

Lebenskreis zweier Menschen einzudrängen, ja ihnen vielleicht ein Schicksal zu bedeuten, emptand ich immer stärker mit unwillkommener Deutlichkeit.,Der abmahnenden Stimme, den letzten Augenblick zur Umkehr noch zu nützen, gab ich aber kein Gehör mehr, dazu war es bereits zu spat.

Es hatten sich nur wenige Mittagsgäste auf der Terrasse eingefunden und so fiel es mir nicht schwer, Agnete nach “ihrem Bilde sogleich zu erkennen. Sie saß mit ihrem Manne abseits von den übrigen Gästen. Ihr feines blondes. Haar hob sich gleich einem Schattenriß scharf von der Helle der Berge ab, in die sie eben schweigend hinaussah. Es berührte mich tief: gerade so hatte ich Agnete zu sehen erwartet, von der Einsamkeit ihres Wesens umschlossen, in einen seligen Rahmen gefaßt von der leuchtenden Hoheit ihrer geliebten Landschaft!

Ich hütete mich, ihr zu nahe zu kommen, und zufrieden, * von ihr nicht bemerkt zu werden, nahm ich an einem entfernteren Tische unter den übrigen Gästen Platz..

Der, Sektionsrat las eben in einer Zeitung, ich konnte ihn gleichfalls ungestört betrachten. Es gehört nicht ganz zur Sache, aber ich will Ihnen bekennen, er war mir im ersten Augenblick durchaus sympathisch. Er hatte ein gar nicht unkluges, ernstes Gesicht, war mit seinem englisch zugestutzten Schnurrbärtchen, ' dem korrekten Scheitel und dem gutsitzenden Goldzwicker der typische höhere Ministerialbeamte, ich hatte ihn mir eigentlich auch nicht anders vorgestellt. Mir fiel jetzt plötzlich ein, daß ich schon in meinem ersten Brief an Agnete von ihm gesprochen hatte. Ich hatte damals, ohne Absicht, das Gefährlichste getan, was-man einer unglücklich verheirateten Frau gegenüber tun kann, ich hatte die Partei des Gatten ergriffen, ich hatte ihn vor ihr selbst verteidigt. Sie antwortete mir damals, ihr gefiele das von mir, es sei bezeichnend für die Solidarität, die unter uns Männern in manchem jederzeit herrsche.

Ich empfand nun auch die äußere Merkwürdigkeit dieses Augenblickes: es saß dort eine schöne, mir eigentlich noch fremde Frau, die mir innerlich doch so grenzenlos nahe gerückt war, ich vermochte jeden ihrer feinen lieben Gedanken von der verträumten Stirn zu lesen, ich fühlte mich ihrem Herzschlag vertraut wie kein zweiter und saß doch als ein völlig Unbekannter unfern von ihr, von ihr nicht gewußt, nicht geahnt und noch immer hielt ich das Schicksal der letzten Entscheidung allein in den Händen.

Daß ich aber nunmehr auf keinen Fall darauf verzichten könnte, mit Agnete persönlich bekannt zu Verden, das stand unweigerlich in mir fest. Ich genoß in meiner Verwirrung diese Möglichkeit wie einen dunklen, berauschenden Trank, fühlte mich als Herr einer großen, beseligenden Hoffnung, die mir zu zerstören ich niemand mehr gestatten wollte.

Gleich nach der Mahlzeit' erhob sich Agnete und schritt an der Seite des Gatten' an mir vorbei. Ich vermied es, sie in diesem Augenblick anzusehen, da ich meiner Unbefangenheit mich nicht völlig Herr fühlte. Ich glaubte den feinen Fliederduft ihres Kleides zu spüren, er war mir als leise Mahnung aus ihren Briefen vertraut. (Fortsetzung folgt)

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung