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ARMER JUNGE

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Die Dichterin setzte hier einem früh verstorbenen Neffen ein literarisches Denkmal.

In seiner Kindheit sah man ihn fast immer in Kleidern, denen er entwachsen war. Ein Anzug, den er vier Wochen getragen hatte, war ihm schon zu kurz und zu eng. Es fiel ihm auch nicht ein, ihn zu schonen. Er ging überhaupt mit seinen Sachen unbarmherzig um, am unbarmherzigsten aber mit seinen Kopfbedeckungen. Einen Hut mit vollständiger Krempe besaß er nie, einmal jedoch fand sich bei ihm eine Krempe vor, ohne Hut Er aß für zwei und war stark wie zwei, ein Bild der Gesundheit und doch ein armer Junge. Was die Kleinen und Schwachen durften, tanzen, laufen, sprangen — er durfte es nicht. — Er hat ein Herzleiden, hieß es, kein beängstigendes, er kann uralt damit werden, aber achtgeben muß man, ihn schonen seine ganze Kindheit hindurch.

Und später, als er ins Knabenalter trat und so prächtig und blühend aussah, fuhr man erst recht fort, ihn zu schonen, aus übertriebener Vorsicht, daß ja nichts verabsäumt werde. Vom Reiten und vom Jagen durfte keine Rede sein oder höchstens ganz ausnahmsweise — und der arme Junge war doch ein geborener Reiter und Jäger. Aber nur Geduld, Geduld, was er jetzt verabsäumt, bringt er dereinst reichlich ein.

Diese Verheißung ließ sich wohl hören, aber er hätte ein klein wenig Erfüllung derselben vorgezogen. — Das wäre so seine Wonne gewesen, mit dem Gewehr auf der Schulter durch den Wald zu gehen und ganz gern und sogar mit dem Spaten auf das Feld. Das Leben des Jägers, des Landwirts hätte ihm zugesagt und stand ihm auch in Aussicht; freilich erst nach beendeten Studien. Vorher muß gelernt, das Gymnasium besucht werden, das Lateinische und Griechische muß in den Kopf des armen Jungen hinein.

Nun wohlan, da es sein mußte, studierte er denn. Leicht wurde es ihm nidit, am wenigsten leicht das Einprägen der Kaiser „vorauszusterben”, und dieser Wunsch sollte Sich erfüllen: In den ersten Frühlingstagen des Jahres 1916 ging die Sechsundachtzigjährige dahin, den Kaiser riefen erst die Novemberstürme dieses denkwürdigen Jahres heim.

Fünfzig Jahre trennen uns vom Tode Marie von Ebner- Eschenbachs; ein kurzes, sinnendes Verweilen vor ihrem Werk zeigt uns, wie entrückt diese Zeit unseren Tagen ist, wie zeitlos aber ihre Aphorismen geblieben sind. Etwa einer, den sie einem Neffen ins Feld schrieb, der diesen Brief kurz vor seinem Tode am Isonzo erhielt: „Man muß sehr weise sein, um gut zu sein.”

griechischen Verba in sein Gedächtnis. Er memorierte sie mit eisernem Fleiße, daß ihm die Stirn brannte, er schrieb sie auf die Tischdecken, auf seine Bürsten, seine Bleistifte, seihe Manschetten.

Die Verba merkte er sich endlich. Was er nie erlernte, das war richtig zitieren, ob sich’s nun um das geflügelte Wort eines Klassikers oder um eine Redensart handelte. „Die schönen Tage von Lammermoor sind nun vorbei”, sagte er, und statt „Die Creme der Gesellschaft” — „Die Vanillie der Vanillie”. Eine Künstlerin, die eben gelobt worden, begrüßte er mit den Worten: „Wir haben Ihre Lorbeeren gesungen.”

Wie oft wurde er dieser rhetorischen Entgleisungen wegen ausgelacht, und mit welcher stoischen Ruhe ließ er sich’s gefallen! Was die anderen von ihm dachten, war die letzte seiner Sorgen. Er hat sich nie um die Wohlmeinuhg und Um die Liebe irgendeines Menschen bemüht, er wußte zu gįįt, das alles kommt von selbst, und nicht nur Wohlmeinung und Liebe, es kommt auch das Vertrauen. Die Leute haben fes ja gleich weg, wen sie anrufen sollen, wenn sie Hilfe, an wen sie sich lehnen können, wenn sie eine Stütze brauchen. Bedurfte jemand einer Fürbitte, hatte der oder jener ein Anliegen, galt es eine Anordnung auszuführen, eine Bestellung zu machen — an niemanden wandte man sich als ah den armen Jungen.

Der vergißt nicht, der hilft, der tut.

Er war kaum dem Knabenalter entwachsen und doch schon so verläßlich wie ein braver Mann. Er besaß von einem solchen die Standhaftigkeit und den Unabhängigkedtssinn, er schämte sich, behütet zu werden „wie ein kleines Weiblein”, meinte er und hatte dabei sein liebes, unbewußt überlegenes Lächeln.

Immer wieder suchten die Seinen ihn zu trösten mit dejr Aussicht auf die Zukunft, und diese goldene Zukunft erwartete er, sehnsüchtiger und hoffnungsreicher, als vielleicht jis ein junges Herz es getan.

An einem frühen Sommermorgen, kurz vor der Erlösung von den Mühen eines langen Schuljahres, brach er zusammen, die griechische Grammatik in der Hand. Seine körperliche Kraft versagte plötzlich, aber seine Seelenstärke blieb aufrecht und wehrte die Ahnungen eines bevorstehenden Endes, die in ihm aufsteigen wollten, mutig ab. Einen heißen Wunsch hegte er und sprach ihn nun einer alten Verwandten aus, die ihn nie angesehen hatte, ohne sich zu fragen: Könnte ich dich lieber haben, wenn ich dich geboren hätte?

Er wollte nicht mehr in die Schule zurück, nach Bosnien wollte er geschickt werden: „Dort soll man mir eine kleine Wirtschaft kaufen, ein Stück Land, das ich urbar machen werde.”

Er sah sich schon wirken in einer ihm zusagenden Tätigkeit und heimisch werden in der Fremde; er durfte ja zählen auf seine Gäbe, mit Menschen umzugehen.

Das waren die letzten schönen Träume, die er wob. — Mit Träumen hat das Schicksal sich ihm gegenüber abgefunden.

Endlich sah er ein, daß es zu scheiden galt, und auch dann rechtete er nicht. Die einzige Klage, die sein schwerer Todeskampf ihm erpreßte, war: „Mit 16 Jahren sterben ist-doch traurig.”

Und traurig auch, in weißen Haaren an deinem Grabe zu stehen, geliebter, armer Junge!

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