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Besinnliche Kammermusik

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Sie ist immer besinnlich, Spiel der feineren Nerven, behutsamer Schritt voraus, Privatissimum noch im festlichsten Saal, in Beethovens letzten Quartetten zu deuten. Seinem Opus 132 a-moil, darin die von Haydn zurechtgeschliffene Sonatenform unter der dynamischen Fülle persönlichsten Inhalts birst — bedeutsamster Vorstoß ins Romantische noch innerhalb der klassischen Welt —, stellte das Prix-Quartett in Joseph Marx’ Qnartetto in modo classic o ein Werk fast umgekehrter Voraussetzungen gegenüber. Das Spiel mit alten Formen, ein echt romantischer Zug, auch bei den Dichter beliebt, erhält bei Marx, der sich selbst einen romantischen Realisten nennt, einen besonderen, in tieferem Sinne klassischen -Gehalt. Wiederaufbau der musikalischen Form auf den Trümmern eines dreißigjährigen Experimentismus, Heimkehr zum Ewiggültigen, zur tönend bewegten Seele, ist das Erlebnis Marx’, das eigentlichst Moderne seiner Kunst.

In kristallen kühler Reinheit interpretierte das Amsterdamer Streichquartett zwei Spitzenwerke holländischer Kammermusik: Willem Pijpers Fünftes Streichquartett, unvollendetes Werk eines Frühvollendeten aus der Welt Debussy s und ihres künstlerischen Verantwortungswillens, von innen heraus blühend und leuchtend, und das 1. Streichquartett Sem Dresdens, des Späteren, in dessen erstem Satz rin straffer Rhythmus formbildend wirkt und ein motorisches Thema starken Ansdruckswillen bekundet; leider verliert sich das bewegte Bild später ganz in Farbe und Verströmnng, verschwommene Konturen zeigen ein leicht rückwärtsgewendetes Gesicht, überraschend schnell alternd.

Auch das Konzert mit Werken der Kompositionspreisträger aus dem 1. österreichisdien Musikwettbewerb der Gesellschaft der Musikfreunde blieb das eigentliche Erlebnis schuldig. Zwar ist Kurt Tenners Suite für Streichquartett die Arbeit eines kultivierten Musikers, der moderne Tanzrhythmen in der Kammermusik heimisch zu machen versucht, und dies nicht auf billige Art; zwar sind Ludwig Zenks Lieder zu Gedichten Georg Trakls ernste, wenn auch zergrübelte Innerlichkeit;

Walter H. Goldschmidts Trio für Klarinette, Horn und Fagott ist sogar fröhlich unbekümmerte Wanderschaft ins Heute (leider nicht ins Morgen!), während Guido Binkaus Streichquartett D-dur sich ganz ins Gestern wendet; das Handwerk ist überall gekonnt, doch der überzeugende mitreißende Einfall fehlt. Es sind Mitteilungen, aber keine Geheimnisse, vielmehr ist alles beängstigend geheimnislos.

Auch in Karl Schiskes Streichquartett, dem geist- und einfallsreichen Werk des hochbegabten Zeitgenossen, fehlt das Geheimnis, das in Arnold Schönbergs Liedern opus 6 zarte, einst für giftig gehaltene Blüten treibt, und in Hans Erich Apostels seelenmüdem Streichquartett opus 7 leise nachduftet. Dennoch spürt man bei Schlske den unbeugsamen Willen zur Gestaltung und die Fülle des zu Gestaltenden, die schöpferische Kraft, die sich vermutlich in größeren Formen persönlicher zu entfalten vermag. Aber man spürt auch das Müdewerden des Publikums in den Kammerkonzerten der IGNM, die ihren Hörern durch die Isolation dieser Musik von jeder anderen zuviel zumuten.

Dagegen erfreute ein Konzert des Wiener Kammerorchesters (Dirigent Franz Litschauer) durch sein mutiges Programm, das Hindemith und Eckhardt- Grammate zwischen Boccherini und Leopold Mozart stellte und damit den Kordon um die zeitgenössische. Musik erfolgreich durchbrach. Hindemiths Zyklus „Die junge Magd" kam in einer Bearbeitung für kleines Orchester, von Ilona Steingruber gesungen, trotz sorgfältiger Interpretation ein wenig zu kühl, Frau Eckhardt-Grammates urauf- geführtes Concertino für Streichorchester hingegen zeigte neben einer satztechnisch geübten Hand und kultiviertem Geschmak auch Spuren von Herz, wofür die Zuhörer Dank wußten. Der umsichtige und temperamentvolle Dirigent beherrschte die Partituren besser als seine Beine, die — zuweilen recht störend — unbewußt den Takt mittraten.

Eindrücke ganz anderer Art vermittelte das Collegium musicum Jd e r t i h, nicht nur durch die Wiedergabe alter Kir-

chenmusik (drei Vertonungen des Magnificat von Monteverdi, Schütz und J. S. Bach), sondern auch durch die Art seiner Darbietung, die, durch häufige Erläuterungen des Dirigenten Mertin unterbrochen, das Konzert aufhob und eine Art Studio gab, bei dem allerdings dem belehrten Publikum nur die Stimme des Händeklatschens blieb. Man kann über Wert und Bedeutung solcher Veranstaltungen verschie- dener Meinung sein, keinesfalls aber paßte die — übrigens vollendete — Ausführung einzelner Teile durch Opernsolisten (Höngen, Meyer-Welfing, Pröglhöf) in diesen Darbietungsstil.

All der redlichen Arbeit, der Vielfalt und Vielgestaltigkeit fehlt das Einmalige, Überragende, das nicht erarbeitet werden kann, das stets erwartet werden muß und bei uns zu Lande niemals vergeblich erwartet worden ist. Prof. Franz Krieg

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