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Das entschlummernde Kind
Für midi, spricht Gott, kommt nichts in der ganzen Welt
So einem Bürschchen gleich, das mit dem lieben Gott
Im Versteck eines Gartens plaudert,
Das seine Bitten selber erhört (das ist sicherer),
Das dem lieben Gott seine Nöte erzählt
Mit welttiefem Ernst,
Und das sich des lieben Gottes Trost selber spendet, Wahrlich, ich sage euch: dieser Trost, den es sich spendet, Kommt unmittelbar aus meiner Hand.
Ich kenne nichts in der ganzen Welt,
Das so einem pausbäckigen Kerlchen zu vergleichen ist, das da
kühn wie ein Page, Furchtsam wie ein Engel,
Zwanzigmal guten Tag und zwanzigmal guten Abend sagt, immer
hüpfend Und lachend und spielend.
Einmal genügt ihm nicht. Das sprudelt und sieht keine Gefahr. Immer wieder müssen sie es sagen, guten Tag, guten Abend, und
haben nie genug. Für sie ist eben das zwanzigste Mal wie das erste. Sie zählen wie ich. So nämlich zähle ich die Stunden.
Daher ist die ganze Ewigkeit und die ganze endliche Zeit Nur (wie) ein Augenblick in meiner hohlen Hand.
Nichts ist so schön wie ein Kind, das im Entschlummern sein Gebetchen sagt, spricht Gott.
Ich sage euch: nichts in der Welt ist so schön.
Ich habe in der ganzen Welt nichts so Schönes gesehen.
Und ich habe doch sicher Schönheiten gesehen in der Welt
Und kenne mich darin aus. Meine Schöpfung quillt über von Schönheiten.
Meine Schöpfung ist übervoll von Wundern.
So viele sind ihrer, daß kaum genügend Platz für sie vorhanden. Ich habe Millionen und aber Millionen Gestirne zu meinen Füßen
rollen sehen wie Sandkörner am Meer. Ich habe Tage wie Flammen brennen sehen, Sommertage im Juni, Juli, August.
Ich habe Winterabende wie einen weiten Mantel liegen sehen. Ich habe Sommerabende gesehen, sanft und mild wie ein niedergehendes Paradies, Ganz mit Sternen bestickt.
Ich habe die Hügel an der Maas gesehen und die Kirchen, meine eigenen Häuser,
Paris und Reims und Rouen, und Kathedralen, meine eigenen Paläste und Schlösser,
Deren Schönheit ich in den Himmel aufnehmen werde.
Ich habe die Hauptstadt des Königreiches gesehen und Rom, das Haupt der Christenheit.
Ich habe die Messe und die jubelnde Vesper singen hören.
Und ich habe die Ebenen und Täler Frankreichs gesehen,
Die an Schönheit alles übertreffen.
Ich habe die Tiefen des Meeres gesehen, den tiefen Wald und die
Tiefen des menschlichen Herzens. Ich habe Herzen gesehen, die sich in Liebe verzehrten Ihr ganzes Leben lang, An die Liebe verloren waren sie, Lodernd wie Flammen.“
Ich habe Blutzeugen gesehen, von Glauben beseelt, Die wie Felsblöcke standen in der Qual der Folter, Unter den eisernen Zähnen
(Wie ein Soldat ein ganzes Leben lang standhielte, Aus Uberzeugung,
Für seinen — scheinbar — abwesenden Heerführer). Ich habe Blutzeugen gesehen, die wie Fackeln flammten Und so sich die immergrüne Palme errangen. Ich habe unter eisernen Krallen
Bluttropfen perlen sehen, die wie Diamanten aufgeleuchtet.
Und ich habe Tränen der Liebe fließen sehen,
Welche die Sterne des Himmels überdauern werden.
Ich habe Aufblicke im Gebete gesehen, Blicke zarter Hingabe,
In Liebe verlorene Blicke,
Die ewig glänzen werden in den Nächten der Nächte. Und ich habe vieler Leben gesehen; von der Geburt bis zum Tode, Von der Taufe bis zur Wegzehrung Entrollte es sich einer schönen Wollstrange gleich. Aber ich sage euch, spricht Gott, nichts in der ganzen Welt ist so schön
Wie ein kleines Kind, das während seines Gebetchens Unter dem Fittich des Schutzengels entschlummert, Das den Engeln zulacht im Entschlummern, Das schon alles durcheinanderbringt und nichts mehr begreift, Und das die Worte des Vaterunser mit denen des Ave Maria vermischt,
Während sich schon ein Schleier, der Schleier der Nacht, über seine
Lider senkt, Uber seinen Blick und über seine Stimme.
Ich habe die größten Heiligen gesehen, spricht Gott, und doch sage
ich euch:
Ich habe nichts so Inniges gesehen, kenne also nichts in der ganzen
Welt, dessen Schönheit Derjenigen eines Kindes zu vergleichen ist, das während seines
Gebetchens entschlummert (Dieses kleinen Wesens, das voll Vertrauen entschlummert) Und sein Vaterunser mit seinem Ave Maria vermischt. Nichts ist so schön.
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