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Das Ständchen

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In einem Marktflecken, in dem ich vor Jahren ein paar Sommertage verbrachte, befindet sich ein kleines, sehr altes Schloß, das mich schon wegen seiner ungewöhnlichen Bauform anzog. Der Hauptteil war nämlich ein einstöckiger Rundbau. Er war im Kreis um den winzigen Brunnenhof errichtet. Zwei einander gegenüberliegende breitgewölbte Torwege machten ihn zum Durchhaus. Das Gebäude wendete dem Hof eine Art Säulenlaube zu und im Obergeschoß einen halb offenen Rundgang, über dessen Brüstung hängende Kapuzinerkressen wucherten, bunt und fleißig. Aus der Ferne glich der Bau einem niedrigen dicken Turm.

In diesem aufgelassenen Jagdschlößchen wohnte längst kein Fürst und kein Herr mehr. Im Gegenteil, nur ganz arme Leute hausten darin. Es gehörte nun der Gemeinde. Diese hatte seine Räume umbauen, unterteilen lassen. Un4 so wurde es jetzt (seltsam genug, ein Stück verkehrter Welt) als Armen-und Altersheim verwendet.

Der einstige Schloßteich hinten, etwas höher gelegen, war in eine öffentliche Badeanstalt umgewandelt worden. Wollte man sie aufsuchen, mußte man durch den Schloßbau hindurch. Audi ich geriet eines Nachmittags dorthin. Abends dann, bei der Rückkehr, sah ich es — sah es auf dem Rundgang hinter den Blumen in der letzten Sonne sitzen: ein junges und so unirdisch schönes Mädchen, daß ich fast erschrak.

Daß sie jung und schön war, sahen andere auch. Da stand nämlich eben ein Bursche unten im Hof, gewiß kein zufälliger, sondern ein vorsätzlicher Besucher, beim Brunnen, und schäkerte hinauf. Er stand wohl schon länger hier und war vielleicht nahe daran, sich zu verabschieden; denn er fragte jetzt das Mädchen dreist, aber im Scherz, ob es heute nicht doch mit ins Grüne komme, Gras ichneiden und so. Nein, sagte errötend das Mädchen, es habe die Sichel verloren.

Diese anmutige Antwort verwirrte midi ganz, als sei idi auf einen anderen Stern, geraten. Idi hielt im Gehen inne und brauchte eine Weile, um zu mir zu kommen. Dann aber legte ich dem jungen Mann, der unterdessen mit dem Mädchen weiterplänkelte, cjie Hand auf die Schulter; ich wisse den Weg ins Grüne auch, und dort einen Haselstock für hin. „Ich danke Ihnen, lieber Herr!“ sagte das Mädchen. Er könne ja wieder gehen, greinte der Bursdie zum Spaß. Gerade das hätte ich nie bezweifelt, meinte ich. Da ging er wirklich. Das habe er für sein gutes Herz. Er grüßte. Ich grüßte die verwunschene Prinzessin auch, aber folgte ihm auf dem Fuße nach. „Klette!“ sagte er wie erbost zu mir. Ja“, sagte ich, „eine Klette hängt sich an und sticht.“ So ging das zwischen uns eine Weile hin und her.

Dann aber bot ich ihm eine Zigarette an, und wir kamen ernsthaft ins Gespräch. Ich ersah daraus bald, daß der lockere Bursdie in Wahrheit ein gesetzter junger Mann war, der das Leben kannte, seine Nucken und Tücken und seine Grausamkeit. Auf meine Frage, ob er denn das Mädchen liebe und wie weit sie miteinander stünden, erfuhr ich nun, daß er für seine Person bereits gebunden, verheiratet sei und auch schon ein Kind habe, daß aber das Mädchen und er noch von ihrer frühesten Kindheit an, von ihrer gepikjerte .Pill“ ynd „Aber!“ Npin, bitte, wenn zwei in der Gegend herumschmieren und hysterisch lachen, ist das noch lange kein Flirt. Dazu gehört Herz, Geist und Haltung. Flirt ist ein Spiel mit dem Feuer unter gegenseitiger stillschweigender Vereinbarung, sich nicht zu verbrennen. Wer gegen Bruch der Vereinbarung keine Garantie übernehmen kann, möge die Hände davon lassen — Feuer-

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