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Der Heilige der VI einen Dinge

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Wer ist der größte Heilige? Pst! Wir dürfen es nicht sagen. Weil wir es nicht wissen. Das weiß Gott allein.

Wir können nur sagen: Dieser oder jener Heilige zieht mich am meisten an. Für mich sind das der heilige Franziskus, die heilige Elisabeth und Sankt Antonius „ohne Schwein“, wie man bei uns sagt. Dieser Sankt Antonius scheint mir der sonderbarste unter allen Heiligen zu sein. Keiner ist so fleißig und gibt sich so viel mit uns ab. Und er wird dann auch von uns nicht geschont, wir zupfen ihn dauernd am Rockzipfel. Er ist unser Allerweltskünstler, unser Knecht, unsere Dienstmagd.

Man könnte glauben, daß der Herrgott zu einer Reihe von Heiligen gesagt habe: „Wacht vom Himmel aus über das Seelenheil der Menschen, reicht ihnen die Hand, wenn es um und in ihnen dunkel wird, führt sie zu meinem Licht, gebt ihnen Kraft und Mut, wenn sie reumütig zusammenbrechen. Ich warte hinter der Tür.“

Aber die Menschen gehen nicht nur mit einer Seele durchs Leben. Sie tragen auch Kleider, Hosen, Strümpfe und Hüte, die sie aus Freude am Dasein mit Knöpfen, Bändern, Litzen, Fransen und Edelsteinen verziert haben. Sie nehmen einen Regenschirm mit, um ihre Kleider zu schützen, sie tragen Geld, eine Fahrkarte und alles, was sie brauchen, mit sich herum. Man könnte meinen, das hätte mit der Seele nichts zu tun. Aber die meisten Menschen stolpern über ihre Kleider und brechen sich beim Fallen die Seele.

Chesterton sagt irgendwo: „Die Welt erwischt uns fast immer an den Fransen unseres Kleides, an den nichtigen Äußerlichkeiten des Lebens.“ Unser Herrgott scheint das eingesehen und gemeint zu haben: „Ich muß einen anstellen, der über die kleinen Dinge der Menschen wacht.“ Seine und unsere Wahl fiel auf Sankt Antonius, den Minderbruder.

Der heilige Antonius, der selber nichts besaß, arm war wie ein Regenwurm, keine Schuhe an den Füßen hatte, nur eine Kutte und einen Gürtel trug, der Bettler auf der Suche nach dem Martertod, ihn rufen wir an, damit er auf die Schlüssel und die Nummer unseres Geldschrankes achte. Und doch war er ein mächtig kluger Kopf, eine strahlende Leuchte. Diesen Heiligen, diesen Erhabenen, diesen glänzenden Stern, dieses von Sonnenglut erfüllte Herz rufen wir an, damit er unser Schnupftuch suchen hilft, wenn wir es verloren haben. Und er findet es. Das erscheint mir ungeheuerlich. Ich weiß nicht, ob man sich mehr über unsere Kühnheit oder über seine herrliche Demut wundern soll. Er wartet auf unsere Anliegen wie ein Bettler auf Almosen. Bittet man ihn, eine verlorene Seele zu suchen, so findet er sie. Das tut er natürlich am liebsten. Er hat sein Lebtag nichts anderes getan und versteht sich darauf wie keiner. Und doch machen wir ihm damit die wenigste Mühe. Er muß sich um unsere Nichtigkeiten kümmern, unsere Fransen, unsere Bänder und Litzen. Aber auch das ist ein Weg, wenn auch ein Umweg, um Seelen zu gewinnen. Er ist unser Nachtwächter geworden, unser Detektiv und Spürhund, unser Fundbüro, Reklamechef, Wechselagent und Apotheker.

Wir bedienen uns dieses Heiligen und mißbrauchen seine Güte. Aber er lächelt immer gleich freundlich und empfindet es nicht als Mißbrauch. Man kann ihn nicht erzürnen. Sobald man seinen Namen flüstert oder nur art ihn denkt, ist er schon für uns tätig. Gleichgültig, wann oder wozu man bei ihm anklopft — er ist immer bereit. Dadurch sind wir so vertraut mit ihm geworden. Wir behandeln ihn manchmal wie ein Kind oder einen Lehrjungen. Er kümmert sich nicht darum. Er arbeitet, denn er weiß, warum.

Er nimmt Beleidigungen für Höflichkeiten. Er geht mit unseren Launen und Fehlern um wie eine Mutter mit ihren Kindern. Ob du reich oder arm, gläubig oder ungläubig bist, nenne seinen Namen, und er ist bereit. Ich kenne Leute, die von keiner Kirche etwas wissen wollen, die für religiöse Dinge unempfindlich sind oder sogar darüber spotten, aber am Dienstag sitzen sie in der Antoniusmesse, oder sie zünden zu Hause heimlich, damit die Nachbarn es nicht merken, eine Kerze vor seinem Bild an. Ich kenne andere, die ein sündiges Leben führen, aber sie rufen Sankt Antonius an. Ist das Götzendienst? Für Uneingeweihte sieht es so aus. Es ist Glaube und Vertrauen, die schwache Ahnung einer geistigen Welt. Sie fühlen, daß es doch über das Stoffliche hinaus noch etwas gibt. Der erste Schritt zu jener geistigen Welt ist getan, und schmerzlos brennt sich diese Erkenntnis immer tiefer in die Seele ein. Nein, sie glauben nichts von dem, was die Pfarrer erzählen, aber sie glauben an den heiligen Antonius. Es gibt keinen Gott, aber es gibt doch einen Sankt Antonius. Die Leere um ihn kann auf die Dauer nicht bestehen. Sollte es nicht doch noch etwas geben außer den Menschen und Sankt Antonius? Sie erflehen seine Hilfe für die alltäglichen und lächerlichsten Dinge und Launen, und unbewußt treten sie auf die Schwelle des Glaubens. Und so sind eines schönen Tages viele Blumen in der Seele erblüht, klare Horizonte tun sich auf, hinter denen der Himmel sichtbar wird. Ich kenne viele, die so zu einem tieferen Leben gelangt sind. Sie rufen ihn wegen der Fransen ihres Kleides an, und er zieht sie an diesen Fransen in ein geistliches Leben hinein.

Durch seine Hilfe spricht er zu uns. Und wenn wir durch sein Zutun unseren Regenschirm wiedergefunden haben, dann sagt die Seele von selbst „danke schön“. Das übrige vollzieht sich in der Stille, im Dunkeln.

Sieben Jahrhunderte lang hat Sankt Antonius die Seelen scharenweise ins Licht geführt. Auch heute noch. Sei gegrüßt und verehrt, o himmlische Arbeitsbiene! Sankt Antonius, du Laterne, mit der wir die verlorene Briefmarke, die Stopfnadel und den Sonntagsgroschen der Kinder wiederfinden, Laterne auch, die verlorene Seelen ins Licht führt, sei gegrüßt!

Aus dem Buch „Das Licht in der Laterne“ im Insel-Verlag, Leipzig.

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