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Der Herr Minister und ich

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An meiner Tür verneigte sich ein vornehmer, sorgfältig gekleideter Herr und nannte seinen Namen. Er war, wie sich sogleich herausstellte, Ministerialrat in dem Ministerium, an das ich eine Eingabe gerichtet hatte. Der Herr überbrachte mir ein Schreiben und bemerkte, daß der Herr Staatssekretär bedaure, es mir nicht persönlich überbringen zu können, da er in wichtigen Angelegenheiten verhindert sei. Nachdem mir der Ministerialrat nochmals versichert hatte, es wäre für ihn eine große Freude gewesen, mich kennenzulernen, ging er gemessenen Schrittes die Stiegen hinunter.

Im Vorzimmer öffnete ich hastig den Umschlag. Er enthielt einen Brief mit folgendem Wortlaut:

„Hochgeschätzter Herrl

Wir erlauben uns, Ihnen bekanntzugeben, daß Ihr Ansuchen heute bei uns eingetroffen i§t, und bitten Sie höflichst, uns art einem der folgenden Tage in der Zeit von 10 bis 12 Uhr mit Ihrem Besuch zu beehren. Weitere Dokumente sind nicht erforderlich. Sollten Sie zur genannten Zeit durch andere Verpflichtungen verhindert kein, stehen wir Ihnen natürlich auch darüber hinaus zur Verfügung.

Es freut uns aufrichtig, Ihnen in Ihrer Angelegenheit behilflich sein zu dürfen, und wir hoffen sehr, von Ihnen auch weiterhin in Anspruch genommen zu werden.

Mit ergebenen Grüßen '

Es folgte eine lesbare Unterschrift.

Da ich am nächsten Tag zwischen 10 und 12 Uhr das Ministerium nicht besuchen wollte, ging ich erst um 2 Uhr hin. Der freundliche Portier verneigte sich höflich und fragte nach meinen Wünschen. Dann wies er mich in den dritten Stock, Zimmer 297. Ich wandte mich zur breiten Treppe. Der Mann aber hielt mich sanft Zurück und bat mich, doch den Lift zu. benützen.

Bescheiden wollte ich danken, der Portier lächelte jedoch gütig und schüttelte den Kopf. Mein Herr, sagte er, ich bitte Sie sehr, den Lift zu benützen. Stiegen steigen ist bekanntlich die anstrengendste Tätigkeit, die das Leben kennt. Außerdem soll nicht der Eindruck entstehen, der Lift sei nur für die Beamten da.

Um dem Mann eine Freude zu machen, ließ ich mich in den dritten Stock heben. Auf Zimmer 297 erfuhr ich, daß der Herr Staatssekretär gerade das Mittagessen zu sich nähme. Ich deutete an, daß ich gerne wartete. Die Dame im Vorzimmer war damit nicht einverstanden. Der Herr Staatssekretär wird natürlich gern sein Essen unterbrechen, meinte sie, und überdies geht es nicht an, daß jemand, der zu unk kommt, wartet.

Sie öffnete die Tür zum Zimmer des Staatssekretärs. Es war ein schmuckloser, aber zweckmäßig eingerichteter Raum, und keine zwei Minuten später kam mir

Franz Lang

der hohe Beamte freundlich lächelnd entgegen.

Er bat mich, an seinem Schreibtisch Platz zu nehmen. Während ich mich setzte, konnte ich feststellen, daß der für den Gast gedachte Sessel bedeutend bequemer war als der des Staatssekretärs.

Der Herr rückte die Brille und berichtete, daß er mein Ansuchen, das gestern im Ministerium angelangt war, sofort dem Minister vorgelegt habe. Der Herr Minister gedenke es günstig zu erledigen, wolle mich aber noch wegen einiger Fragen formaler Natur persönlich sprechen.

Ich dankte und stand auf, um mit dem freundlichen Mann zum Minister zu gehen.

Der Herr Minister, der in einem fast ebenso schmucklosen, abet zweckmäßig eingerichteten Zimmer saß, hatte ein sympathisches Außeres. Er war, wie sich schon nach wenigen Worten herausstellte, ein gebildeter Mann, verfügte über ein profundes Fachwissen und verfaßte seine Reden selbst.

Die offenen Fragen waren bald geklärt. Doch der Herr Minister bedeutete mir, daß es ihm eine Freude wäre, wenn ich noch etwas länger bliebe.

Wissen Sie, sagte er, für einen Mann in meiner Stellung kann es nichts Schöneres geben, als mit Menschen zusammenzukommen, die mitten im Leben stehen und uns so eine Verbindung zum Volk verschaffen, dessen Diener wir ja sind.

Dann erzählte er mir das angenehmste und vorteilhafteste über seine Kollegen im Kabinett. Nach zwei Stunden angeregten Gesprächs wußte ich, daß es angemessen wäre, mich zu verabschieden. Die Augen des sympathischen Mannes Wurden traurig. Schade, sagte er, daß Sie schon gehen. Ich hätte mich noch gerne etwas länger mit Ihnen unterhalten. Das, was Sie von der öffentlichen Meinung sagten, war sehr interessant.

Da ich aber wirklich ging, begleitete er mich nicht nur bis zur Tür seines Amtszimmers, nein, er schritt mit mir sogar die breite Treppe bis zum Eingangstor des Ministeriums hinab. In der Toreinfahrt hatten die Chefs der verschiedenen Abteilungen ein Spalier gebildet und verneigten sich tief, als ich es, gefolgt vom Herrn Minister, durchschritt. Draußen begann plötzlich ein Platzregen von besonderer Heftigkeit herunterzuprasseln. Ich war ohne Schirm und Mantel.

Warten Sie einen Augenblick, der Minister legte seine Hand auf meine Schulter. Dann ging er über die Straße in das Kaffeehaus gegenüber.

Der Staatssekretär, der mich zum Minister geführt hatte, erklärte, daß sein Chef nur den Chauffeur hole, um mir seinen Wagen zur Verfügung zu stellen. Ich war bestürzt und wollte dieses Entgegenkommen nicht annehmen. Aber alle Herren, die vorhin das Spalier gebildet hatten, bestanden darauf. So kam es, daß

ich wirklich den Wagen des Ministers bestieg.

Ich gab dem Chauffeur meine Adresse an. Der nickte und fuhr los. Zuerst waren es die bekannten Straßen, durch die ich gekommen war, dann aber wurden die Häuserzeilen plötzlich fremd. Das Tempo des Wagens steigerte sich unaufhörlich.

Halt, rief ich dem Wagenlenker zu, doch der hörte nicht. Ich klopfte auf seine Schulter, er schien es nicht zu spüren. Da, in diesem Augenblick, sank die Erde unter uns weg. Wir flogen.

Ich packte den Chauffeur am Kragen, schüttelte ihn heftig und machte ihn darauf aufmerksam, daß wir ja gar nicht

mehr auf der Erde waren. Der Mann sah nur gleichgültig aus dem Fenster. Das sollte uns zum Verhängnis werden.

Plötzlich wuchs vor uns ein riesiger Berg auf und der Wagen bohrte sich mit einem furchtbaren Geräusch in das zerbröckelnde Gestein.

Ich schlug die Augen auf — und sah auf der Tür vor mir eine Tafel:

„Es wird gebeten, erst dann einzutreten, wenn eine Partei das Zimmer verläßt."

Ich sah auf die Uhr. Es war drei Uhr nachmittags. Um neun Uhr vormittags war ich in das Ministerium gekommen.

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