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Der kostbarste Rosenkranz

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Es hatte damit begonnen, daß der jungen Ann Thornwall das Rosenkranztäschchen zu Boden fiel; alle Mädels bückten sich mit ihr, viele Hände griffen darnach — das Täschchen öffnete sich und ein schimmernder Rosenkranz wurde hochgehoben, so köstlich, wie man ihn selten sah. Auch der Missionär, der dieser Mädchengruppe in der Heimstunde von Japan erzählte, blickte ganz verblüfft.

„Ist es möglich, Miß Thornwall — sind das echte Perlen?“ Die Kleine wurde rot, man wußte nicht, ob vor Stolz oder vor Verlegenheit. „Ja, Pater, es sind japanische Perlen. Mein Vater gehörte lange der Besatzungstruppe um Tokio an — er brachte ihn mir zum Andenken mit. Eigentlich war es ein buddhistischer Rosenkranz, wir haben ihn ändern lassen, die Perlen neu gefaßt.“ Der Pater streckte die Hand aus und prüfte das Material. „Ich glaube wahrhaftig, das sind Perlen von Mikimotos Zucht. Sie haben tatsächlich einen Rosenkranz von erlesener Schönheit, Miß Thornwall — aber er erinnert mich lebhaft an einen andern, den kostbarsten, den ich je in Japan sah. Ich will es Ihnen erzählen — wenn Sie mögen —, er gehörte ebenfalls einem jungen Mädchen, einer Perlentaucherin von Mikimotos Farm.“ Die Mädchen umdrängten den Missionär. „Ja, bitte, wir möchten es gern hören.“ Er behielt den Perlenrosenkranz nachdenklich in seinen Händen und erzählte nach kleiner Pause:

„Ich weiß nicht, ob Sie wissen, was der Name Mikimoto bedeutet; in Japan ist er ein Begriff, den jedes Kind kennt. Mikimoto, das ist der ungekrönte König des Perlenhandels der ganzen Welt. Die Geschichte, wie er sich vom armen Arbeiter zum Perlenforscher und

Besitzer einer riesigen Taucherfarm in der Ago-Bay entwickelte, ging oft genug durch die Weltpresse. Er ist heute ein uralter, steinreicher Mann. Aber nicht von ihm wollte ich berichten, sondern von einer seiner jungen Amas, so nennt man die Taucherinnen im Alter von 16 bis 20 Jahren, die tagtäglich den Meeresgrund nach Perlen absuchen, ebenso gesunde wie geschickte Schwimmerinnen.

Ich war entsetzt, als ich zum erstenmal Bekanntschaft mit ihnen machte, denn sie ließen sich in große Tiefen hinab, ohne den Schutz, den jeder normale Taucher beanspruchen kann. Nur eine dünne Gesichtsmaske hielt Augen und Nase frei gegen das Eindringen des Meerwassers. Nur zu bald erfuhr ich, daß die langen weißen Taucherhemden oft zum Totenkleid der Trägerinnen wurde. Da waren Haie, die plötzlich auftauchten und ein Blutbad anrichteten, oder es passierten Unfälle beim Tauchen und Aufwärtsholen.

Trotzdem beschäftigte Mikimoto laufend an die zweitausend Amas, .Töchter des Meeres'. Die Arbeit wurde verhältnismäßig gut bezahlt, und viele daheim überflüssige Mädchen begrüßten die Gelegenheit, sich für die Familie nützlich zu machen, zumal bei dem japanischen Kinderreichtum oft große Not herrschte.

Kikuno — ihr Name bedeutet .Chrysantheme' und ist einer der häufigsten in Japan — war Studentin und tauchte nur in Semesterferien, als ich sie als Taufschülerin kennenlernte. Sie erzählte mir viel aus dem Leben der Taucherinnen. Frohes, aber viel mehr Trauriges; durch sie nahm ich tieferen Einblick in die Seele des Landes. Niemals aber verlor sie bei ihrem anstrengenden Tagewerk den Mut und ihr leuchtendes Lächeln, dies rätselhafte Lächeln, das so oft viele ungeweinte Tränen verbirgt. Lächelnd berichtete sie mir auch eines Sommerabends von der Strenge eines Vorarbeiters, Matsu-san, der wie alle seinesgleichen nur dazu bestellt war, die Tagesleistungen der Amas zu überwachen und sie am Hebeseil hinabzulassen und heraufzuheben. Als sein Name öfter fiel, horchte ich auf. Sie gestand mir ungefragt, daß Matsu-san sie begehrte — sie fürchtete sich vor der unverhohlenen Leidenschaft in seinen Augen, wenn er sie ansah. So ein Vorarbeiter war mächtig, ja zuweilen der Herr über Leben und Tod seiner Amas, aber das wußte ich erst später. Ich gab Kikuno gute Ratschläge und bat sie, wenn Matsu-san ihr lästig würde, doch lieber die Arbeit dort abzubrechen. Sie lächelte und sagte nur: .Mein Vertrag lautet für sechs Monate, verehrungswürdiger Father!' Da wußte ich, daß sie ihr Wort nicht brechen würde.

Regelmäßig kam sie nach dem schweren Tagewerk zur Katechese, besonders über die Gottesmutter verlangte sie immer wieder Neues zu erfahren. Dadurch wurde meine Linterweisung ganz marianisch, und ich zögerte nicht, ihr noch vor der Taufe einen Rosenkranz zu schenken, nein, keinen aus Perlen, die wenigsten Amas konnten sich den Erwerb einer einzigen leisten, es war ein schlichter Holzrosenkranz, sie nahm ihn mit tiefer Verbeugung ehrfurchtsvoll entgegen, sie versprach, ihn täglich zu beten. Es war sechs Wochen vor ihrer Taufe, als sie plötzlich nicht mehr kam. Ich wurde unruhig — sollte der heidnische Matsu-san es fertiggebracht haben, sie wankend zu machen? Arbeitete Kikuno doch in vollständig unchristlicher Umgebung, da war es ein leichtes — ich beschloß, sie aufzusuchen.

Lächelnd berichtete mir ihre Gefährtin, daß Kikuno gestorben sei. Ich erstarrte, verlor fast das Gesicht, die junge Ama wartete, bis ich mich gefaßt hatte. ,Es war kein Hai und auch das Senkseil hat gehalten', sagte sie im furchtbaren Gleichmut der Japaner, ,der Gott des Meeres hat sie schonen wollen, aber Matsu-san wollte ihren Tod.' — ,Er hat sie ermordet?' rief ich entsetzt. Die Ama sah sich um, ob niemand lauschte. .Ehrenwerter Fremdling', sagte sie vorsichtig, ,dies Wort ist gefährlich. Matsu-san bedient das Hebeseil — er zog sie zu rasch hoch, als sie ihm am Tage zuvor seine Wünsche abschlug. Sie bekam den üblichen Lungenriß und war auf der Stelle tot.' Ich schwieg erschüttert, dann fuhr ich auf: ,Das ist ein Verbrechen, man muß es anzeigen.' Die Ama lächelte. .Mikimoto schützt seine tüchtigen Vorarbeiter mehr als uns unnütze Mädchen; niemand kann Matsu-san etwas nachweisen, so etwas kommt immer wieder vor. Kiku wollte ihn nicht — als sie starb, sah Matsu den Grund — sie war Christin.' Ich berichtigte: ,Sie wollte Christin werden —' Die Ama schüttelte den Kopf: .Nein, sie war es, Father! Dies hier hielt sie in der Hand, als sie hochgezogen wurde — sie tauchte nie mehr, ohne die christliche Gebetsschnur bei sich zu haben. An jenem Morgen muß sie etwas geahnt haben, denn sie trug sie offen in der Hand. Wenn Sie mögen, gebe ich Ihnen die Schnur zurück, ihre Eltern sind ja Buddhisten.' Ob ich wollte! Ergriffen nahm ich Kikunos hölzernen Rosenkranz, dies letzte Zeugnis ihrer Liebe zu Maria und ihrer stummen, heldenhaften Treue zu Christus.

Sehen Sie, meine Damen — darum halte ich auch heute noch Kikunos Rosenkranz für den kostbarsten, der mir je zu Gesicht kam, und gäbe es solche aus Gold und Edelstein. Es wäre schön, Miß Thornwall, wenn Sie an Japans junge Christen dächten, sooft Sie diesen Perlenrosenkranz beten —“, und er reichte die köstliche Schnur dem ergriffenen Mädchen zurück ...

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