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Der Spiegel

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Meine Freundin Josefin hatte sich wieder zum Namenstage bei mir eingestellt. Ihr war eine besondere Art zu schenken eigen; in jeder Kleinigkeit lag eine Faser ihres Herzens verborgen, dieses leidenschaftlichen, unruhigen Herzens, das in einem Schrein aus Glas zu schlagen schien. Im allgemeinen drangen die Menschen nur bis zu dieser spröden Wand.

Josefin bearbeitete Metall und au ihrer Hand waren schon manche Kostbarkeiten hervorgegangen. Einige davon schmücken jetzt mein Heim. Diesmal hatte sie ein flaches Päckchen auf den Tisch gelegt. Neugierig wickelte ich es aus. Und was, glaubt ihr, hielt ich dann in der Hand? Einen Spiegel aus Metall. An einem schlanken Griff läßt er sich anfassen, ohne die Platte zu umgreifen. Diese ist von einem fein ziselierten Kranz umgeben. In ihn ist mit wunderschönen Buchstaben eingestochen: Aus deinem Lächeln wächst das ganze Jahr.

Der Spiegel war entzückend. Dennoch schaute ich meine Freundin fragend an'. Sie hielt mich nicht gerade für heiter und gewiß auch für keine Schönheit. Keine äußeren Reize zogen sie zu mir. Warum also der Spiegel mit dem eigenartigen Spruch? Kam das nicht einer Verhöhnung gleich? Josefin erriet aus meinen Zügen, was in mir vorging Ihr helles Lachen besiegte sogleich meine befremdete Abwehr und sie brach in ihrer sprudelnden Lebhaftigkeit los:

„Als Kind bin ich einmal mit einem Hunde um die Wette gelaufen. Wir stürmten über eine Wiese bis zu einem Teich. Dort hielt der Hund an, beugte sich über den Wasserspiegel und bellte unaufhörlich voller Wut. Sooft er sich darüberneigte, begann das gleiche wilde Gebell. Um zu ergründen, wovor sich der Hund so stark fürchte, schaute ich selbst in den Teich und da habe ich zum ersten Male ganz bewußt mein Gesicht gesehen. Ich weiß noch genau, wie das runde frohe Kindergesicht neben dem Hundegesicht ausgesehen hat Sofort wußte ich, warum der Waldl so wütend geworden war. Weil er nicht lachen kann, weil er keinen Ausdruck der Freude hat, keinen, der Würde und Seele verrät, weil er sich selbst nicht erkennen kann. Aus dem Wasser starrte ihn ein fremdes Ding an und kein beseeltes Wesen. Natürlich habe ich das als kleines Mädchen, so genau wie ich es jetzt tue, nicht beschreiben können. Dennoch war es ein unvergeßlicher Eindruck. Von da an bin ich oft vor den Spiegel im Zimmer der Mutter getreten und habe mein eigenes Lächeln aus diesem entgegengenommen.“ Josefin war fort. Ihr Spiegel mit dem seltsamen Spruch ivar geblieben.

Aus deinem Lächeln wächst da„ ganze Jahr. Merkwürdig, wie ein so kleiner Gegenstand des täglichen Gebrauchs zu uns sprechen kann. Jedesmal, wenn ich den Spiegel zu flüchtiger Benützung lufnehme und die eingravierte Aufforderung übeitlesc, muß ich wirklich lächeln. Es steigt ein S'eufzerlein auf wie die kleine Luftblase, die aus dem Grunde des Sees an die Oberfläche des Wassers dringt.

Der Tag ist grau, gewöhnlich die Arbeit freut mich nicht sehr, es winkt keine noch so winzige angenehme Unterbrechung des Einerleis. Das Jahr, die Stunde, der Augenblick kommen auf mich zu.

Aus deinem Lächeln wächst das ganze Jahr, raunt es mir zu, wenn ich die Frisur richte, das make up vollende, den Hut aufsetze. Warum lächle ich wirklich bei dem absonderlichen Spruch? Weil er wahr ist!

Auf der metallenen Platte spiegelt sich nicht nur ein Gesicht, das aus Haut und Fleisch und Blut besteht, das so und so viele tausende Male geschaffen ist. Im Rahmen der Glanzfläche liegt ein Antlitz, es sieht mir eine Seele entgegen, die dieses Gesicht zu meinem Gesicht macht.

Die Schrecken des großen Krieges, die Drangsale einer blutigen Zeit gingen über die Gesichter der Menschen hinweg wie die Walze, die den Schotter in die Straße drückt. Dadurch, daß den Menschen die letzte Kraft abgepreßt wurde, verloren sie das Antlitz, sie schrumpften zu Individuen ein, deren Arm, deren Kopf etwas „leisten“ mußte. Die eigene Seele wurde gelähmt, es erstarb das Lächeln.

Jetzt aber erwachen wir allmählich aus der Betäubung vergangener Peinen zu uns selbst. Aus Individuen, die leisten, werden Personen, die leben, die so vielfältig leben, wie es eine liebende Schöpfermacht gewollt hat.

Die äußere Welt mag noch grau und gewöhnlich sein. Es ist noch keineswegs einfach geworden, das Leben in seiner technischen Gebundenheit zu bewältigen.

Dennoch formt der Mensch den Wert des Lebens aus seiner eigenen Tiefe; aus den kleinen Hoffnungsseufzern vom glückverlangenden Grunde bilden sich die Kräfte, die das Glück auch einfangen werden. Aus deinem Lächeln wächst das ganze Jahr. Wer anders kann lächeln, als einer, der zu lieben vermag? Darum ist es wahr, daß aus unserem Lächeln, aus unserer Liebe, das Jahr sich bildet. Ziehen wir den Spiegel heraus, wenn wir in der Trambahn geschoben und gestoßen werden, wenn wir den modernen Großstadtberuf des Wartens erfüllen. Ziehen wir den Spiegel mit dem Wahrspruch heraus, wenn die Bitterkeit eines Menschen ätzende Worte findet. Aus deinem Lächeln wächst das ganze Jahr.

Wer von euch weiß, daß die meisten Menschen, die ihr Leben von selbst wegwerfen, das nicht tun, weil sie unglücklich lieben oder die Not im allgemeinen sie dazu treibt, sondern weil die letzte Auslösung eine Kränkung war, ein hartes haßgeladenes Wort, das jenseits von Lächeln und Liebe entstanden ist.

Wachstum erfolgt immer von innen heraus, aus dem Allerkleinsten. Auch uns nützen die neuen Häuser, die neuen Maschinen, die wieder erstellten Arbeitsplätze nichts, wenn wir nicht aus unserer eigenen Tiefe die Seele heraufholen, der das ewige. Prinzip das Gute, Wahre, Schöne eingeformt “hat.

Ein jeder einzelne von uns ist zur Rückeroberung des Menschlichen gerufen. Es scheint noch immer so, als habe der Spiegel einen Sprung, aus dem das menschliche Antlitz zurückgeworfen wird. Der Spiegel ist wohl ganz geblieben, nur ist auf weite Strecken das Lächeln erstorben, das Wissen um die Überwindung der Not au der Liebe. Nimm recht oft deinen Spiegel. Dann gewahrst du in seiner Tiefe dein* eigene Tiefe, die viel, sehr viel Freude, Hoffnung und Liebe bewahrt und diese aussenden möchte. Tue es, dann gilt auch für dich: Aus deinem Lächeln wächst das ganze Jahr!

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