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Die Hochzeitsreise

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Wenn in der guten alten Zeit zwei Leute den Bund fürs Leben eingingen, so schickte man sie auf die Hochzeitsreise.

Dieser alte Brauch ist heutigentags kaum mehr im Schwange. Sicherlich deshalb, weil so viele Witze über die Hochizeitsreisenden gemacht worden sind, daß keiner mehr sich dem Gespött der Leute aussetzen will. Aber die alten Bräuche sind voll tiefer Weisheit. Und wenn die Menschen die alten Bräuche aufgeben, so spricht das nicht gegen die Weisheit, die in den alten Bräuchen, sondern gegen die Dummheit, die in den Menschen steckt.

Wenn man anfängt, über den Sinn der Hochzeitsreise nachzudenken, findet man, daß sie ebensosehr über das Wesen der Liebe wie über das Wesen des Reisens Aufschluß gibt. Von einem Mann, der verliebt ist, sagt man, daß er den Verstand verloren habe. Nun ist das ohne Zweifel ein in hohem Maße begrüßenswerter Zustand. Wenn die Männer ihren Verstand beisammen haben, dann beschäftigen sie sich mit ihren eigenen Angelegenheiten und sind unerträgliche Egoisten. Wenn die Männer den Verstand verlieren, dann verlieben sie sich. Wenn dieser Zustand ernst genug ist und lange anhält, dann heiraten sie. Die Frauen sind darauf angewiesen, daß die Männer den Verstand verlieren.

Ohne Zweifel ist ein verliebter Maran für alle Leute etwas Lächerliches — außer für die Frau,

die er liebt. Darum schickt man ihn auf die Hochzeitsreise, irgendwohin, wo keiner ihn kennt außer dem einzigen Menschen, für den er nicht lächerlich ist — seiner jungen Gattin. Bliebe er daheim, er würde Gefahr laufen, seine ganze Reputation zu verlieren. Also fort mit ihm! Nach Venedig! Zum Taubenfüttern! Sonst findet er womöglich in der vertrauten Umgebung seinen Verstand wieder. Die Frau aber hat, was sie haben will — vier Wochen lang ist sie der Inbegriff der Liebe, und nichts als das.

Der einzige sichere Besitz des Menschen ist die Erinnerung. Die Tauben von San Marco werden durch den Himmel der Ehe flattern, solange noch eine freigiebige Hand daran denkt, sie zu füttern. Wenn Philemon und Baucis schließlich fünfzig Jahre später nach Reichenhall fahren, um das Rheuma mit linden Wässern zu behandeln — sie rollen dahin auf den Rädern der Erinnerung. Das Glück ihrer jungen Tage ist das Glück ihres Alters. Nur junge Liebespaare und alte Eheleute sind es wert, daß die Welt schön ist.

Ein Mann allein reist überhaupt nicht. Er fährt höchstens irgendwohin. Reisen zu zweit, das heißt, einer Frau die Welt erobern. Wenn Napoleon Marengo für Josephine gewann, so kann noch immer jeder Hochzeiter seiner Josephine aus Nippes Venedig zu Füßen legen. Unter den lärmenden Facchinos, die sich mit bedrohlichen Gesten auf das Gepäck stürzen, einen 2u wählen und ihm einen Befehl zu geben, das heißt eine Entscheidung treffen, eine Schlacht gewinnen, ein Mann sein. Im Kursbuch den richtigen Zug zu finden, das gehört zu den Künsten eines Merlin, mit denen man eine Frau von heute leichter bezauibem kann als mit Minnesang.

Schließlich, wenn man im Trasimenischen

See gebadet hat, muß man entscheiden, ob es nach Ravenna oder nach Ferrara gehen soll. Diese Entscheidung ist, wenn auch nicht so folgenschwer, so doch keineswegs leichter als die, welche Hannibal treffen mußte, nachdem er seine Elefanten in diesem See gebadet hatte. In Ravenna kann es regnen.

Wer hätte nicht schon die alten Meister gepriesen, wenn er Josephine aus Nippes an ihnen entlangführt. Ein kurzer Blick auf die Tafel, und man sagt „Ein Simone Martini", so, als ob das Bild seit vierhundert Jahren im Besitz der Familie wäre.

Die Frauen, diese bezaubernden Wesen, lächeln dazu, dankbar und staunend. Sie nehmen die Welt geschenkt aus den Händen eines Mannes, der den Verstand verloren hat. Sie sind souverän genug, nicht darnach zu fragen, wie viele Feinde man erschlagen mußte, um die Kostbarkeiten der Erde vor ihnen ausbreiten zu können.

Zu zweit stehen sie im Lärm der Bahnhöfe. Zu zweit lauschen sie dem Rauschen der Brandung. Sie gehen durch den Krach des Lebens in den großen Städten und durch die verzauberte Stille abendlicher Fischerdörfer. Sie sitzen im feierlichen Schweigen der alten Kirchen und in der frohen Betriebsamkeit der alten Schenken.

Ein Mensch allein im Lärm der Welt ist hoffnungslos verloren angesichts der nicht zu bewältigenden Fülle des Daseins. Zu zweit gehört ihnen die ganze Erde, ein Abenteuer, das erst mit der letzten Lira sein Ende nimmt.

Der Mensch muß sein Herz bei sich haben. Wenn er es bei Josephine in Nippes verloren hat, dann muß er Josephine mitnehmen. Herz, mein Herz, wann reisen wir?

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