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Die schwarze Legende des Doktor Friedrich Heer

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Die APO, die Außerparlamentarische Opposition der neuen Linken, will den Klassenantagonismus verschärfen und die Erreichung ihrer Ziele, wenn es sein muß, mit Mitteln der Gewalt erzwingen. Die neue Linke ist aggressiv. Aber sie gibt vor, in der Verteidigung zu stehen; in der „Verteidigung der Humanität“. Zu diesem System gehört der Versuch, das, was man die „unbewältigte Vergangenheit“ der zwanziger und dreißiger Jahre nennt, denen anzuhängen, auf deren ideelle und materielle Überwältigung und Auslöschung die Linke aus ist. Die Tatsache, daß es vor dem zweiten Weltkrieg nicht nur den Faschismus gegeben hat, sondern ein in den Methoden verwandtes Volksfrontregime, wird von der Linken sorgfältig unter Verschluß gehalten. So ist für die Linke die Abrechnung mit dem Faschismus nicht der einmalige Akt einer nationalen Selbstbesinnung und Selbstreinigung, sondern eine ständig gebrauchte Waffe bei der Austragung des Klassenantagonismus.

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Die APO, die Außerparlamentarische Opposition der neuen Linken, will den Klassenantagonismus verschärfen und die Erreichung ihrer Ziele, wenn es sein muß, mit Mitteln der Gewalt erzwingen. Die neue Linke ist aggressiv. Aber sie gibt vor, in der Verteidigung zu stehen; in der „Verteidigung der Humanität“. Zu diesem System gehört der Versuch, das, was man die „unbewältigte Vergangenheit“ der zwanziger und dreißiger Jahre nennt, denen anzuhängen, auf deren ideelle und materielle Überwältigung und Auslöschung die Linke aus ist. Die Tatsache, daß es vor dem zweiten Weltkrieg nicht nur den Faschismus gegeben hat, sondern ein in den Methoden verwandtes Volksfrontregime, wird von der Linken sorgfältig unter Verschluß gehalten. So ist für die Linke die Abrechnung mit dem Faschismus nicht der einmalige Akt einer nationalen Selbstbesinnung und Selbstreinigung, sondern eine ständig gebrauchte Waffe bei der Austragung des Klassenantagonismus.

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Niemand hat diese Technik des Klassenkampfes besser formuliert als Klement Gottwald, Schöpfer der kommunistischen CSSR im Jahre 1948. Seine Formel trägt das Datum 8. April 1945, aber sie reflektiert auf Ziele, die weit hinter der Zertrümmerung des Hitlerismus liegen: „Das allgemein anerkannte Gericht für die Verfolgung der Verräter und Kollaborateure ist eine sehr scharfe Waffe, mit der wir der Bourgeoisie so viele Äste abschlagen können, bis von ihr nur ein Stumpf übrigbleibt. Das nennt man Klassenkampf gegen die Bourgeoisie.“

Kampfziel der Linken ist nicht die Liquidierung des Hitlerismus, sondern die Auslöschiumg der Bourgeoisie. In dieser Formel steht das Wort Bourgeoisie für alle und alles jenseits der Demarkationslinie der Linken. Bei dieser Zielansprache denkt die Linke immer und in erster Linie an die verschiedenen Religionen.

Am 20. Februar 1963 tritt ein solches Gericht der Linken zusammen. Gerichtsort ist das Theater am Kur-fürstendamm, das Haus der „Freien Volksbühne e. V. Berlin“. Ankläger ist der 32jährige Schriftsteller Rolf Hochhuth. Gerdch/tsherr ist der Intendant des Hauses: Erwin Piscator, 70 Jahre alt; 1920 Kämpfer für das „proletarische Theater“; unlösbar verbunden mit der Berliner Theater-weit der zwanziger Jahre; nach 1933 Emigrant in Moskau, Paris, USA; engagierter Tatzeuge der politischen Linken. Angeklagter ist Papst Pius XII.; in der „christMcheh Tragödie“ Hochhuths wird der Papst wegen seines „verbrecherischen Versagens angesichts der Judenverfolgung in der Zeit des Hitlerismus“ stellvertretend für die Kirche abgeurteilt.

Weder Hochhuth noch Piscator sind Historiker. Trotzdem ist für sie in diesem Fall die Geschichte nicht ein „Magazin der Phantasie“, sondern Fundgrube dessen, was sie „geschichtliche Wahrheit“ nennen; in Wirklichkeit die Klischeevorstellung der Linken, deren sich die Linke regelmäßig wiederkehrend bedient, um ihre Art von Humanität alleingültig zu machen und die „anderen“ auf den Kehrichthaufen der Weltgeschichte zu fegen. Da Hochhuth kein Historiker ist und sich niemals im wissenschaftlichen Sinn mit Geschichte befaßt hat, übernimmt es der Theaterintendant, im Vorwort der Buchausgabe des Stückes die historisch-wissenschaftliche Qualität des literarischen Produkts zu bescheinigen. Das Publikum wird aufgefordert, davon überzeugt zu sein, daß es sich bei dem Ganzen nicht um die Kunst des Theaters handelt, sondern um die Interpretation geschichtlicher Tatsachen. Mit einem Schlag etabliert sich mitten in den ent-ideologisierten Wohlstandsgesellschaft das engagierte Theater der Linken. In dem ganzen Stück hallt der Satz nach, den Danton, erster Justizmdnister der siegreichen Französischen Revolution, in den Prozeß gegen Ludwig XVI. hin-einschrie: Wir wollen den König (d. h. das Symbol) nicht aburteilen, wir wollen ihn (d. h. das System) töten. Ein gerader, unzerreißbarer Strang führt von Danton zu Gott-walid und zur neuen Linken.

Was der Bühnenautor und der In-szenator an geschichtlichen Voraussetzungen im Prozeß geigenden Papst schuldig bleiben mußten, das hat Friedrich Heer nachgeliefert. Auf fast 1500 Seiten beschreibt er in „Gottes erste Liebe“ die „Genesis des österreichischen Katholiken Adolf Hitler“ und dann den „Glauben des Adolf Hitler“ als Beispiel einer politischen Religiosität. Heer sieht Adolf Hitler, Benito Mussolini und Pius XII. in einer Linie: Sie haben „Reich, Nation und Kirche“ als typisch „kontinentale, europäische, in sich geschlossene Gebilde“ konzipiert und mit „Mauern und Wällen verteidigt“.

Wie ein Zyklop schleudert Heer den ungeheuren Wust der 1500 Seiten mitten in den geistigen Wurzelboden, aus dem er vor einer Generation im Dollfuß-Österreich herausgewachsen ist. Die Historiker und die Politologen, die Soziologen und die Psychologen und wöbl auch die Psychiater werden, wie in allen bisherigen Kompendien Heers, Serien von Flüchtigkeiten, Fehlern und Irrtümern aufdecken. Indessen sollte man diesen immensen Block nicht mit dem Zollstock nachmessen; noch weniger wie eine Tierleiche sezieren, um zu erfahren, wie das Leben wirklich gewesen ist, von dem hier eine Dokumentation schwarz auf weiß vorzuliegen scheint. Nicht: schwarz auf weiß, sondern: schwarzweiß. Denn Heer beschreibt aus der Sicht des Einäugigen den geschichtlichen Hintergrund, von dem sich die Gestalt des Adolf Hitler löst,

• als wäre Lueger sein Vater, Sei-pel sein Bruder, die heutigen Gegner der Linken seine Söhne und

• als hätte bei dem Ganzen wieder einmal einer der Exzesse jener knechtischen Religion des Aberglaubens stattgefunden; jene Resistance der Dummheit und der Dumpfheit, Roheit und Grausamkeit, Despotismus und Anarchie, die zu den Klischees der von der Linken entwor-genen Geschichtsbilder der Kirche gehören.

Hat man die 1500 Seiten gelesen, dann weiß man nichts oder nur sehr wenig von der damaligen Existenz der Kirche unter den Bedrohungen

• eines höchst unduldsamen und kulturkämpferischen Liberalismus, der die junge Soziallehre der Kirche mit der ganzen Wucht eines herrschenden Systems angegriffen hat, das nach 1860 im österreichischen Ministerratspräsidiuim, im Wiener Gemeinderat und an der Universität an der Macht gewesen ist, und

• einer militant atheistischen und materialistischen marxistischen Philosophie, deren Aggfessivitätsich zuerst gegen dien Montheismus gerichtet hat, bevor ihre Partei auf den Mammonismus losging.

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