Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Die Sprache der Jurisdiktion
Die Frage nach nach der Anzahl der „in Natur ganz vorhandenen Personen unsere Hausstandes" sticht mir ins Auge
Die Frage nach nach der Anzahl der „in Natur ganz vorhandenen Personen unsere Hausstandes" sticht mir ins Auge
Ich bin eine kleine Schieberin. Nein, keine Sorge, weder Schwarzgeld noch Kokain. Nur Steuerbescheide und dergleichen Amtsinquisitorisches üben auf mich einen lähmenden Einfluß aus, hemmen die ansonsten schreibfreudige Pfote. Zwischen Jänner und März scheinen diese Wische ihre Blütezeit zu haben. Die drohenden Schwierigkeiten rieche ich bereits, wenn der Briefträger mit dienstwürdiger Miene im Tausch gegen ein düstergraues Kuvert ein Autogramm von mir wünscht.
Schon außen dräuen unerklärliche Buchstaben- und Zahlenkombinationen. Beim Versuch, den Inhalt zu verstehen, schlägt dann meine staatsbürgerliche Mangelbildung voll zu. Es wimmelt nur so von Kürzeln, Paragraphen, unbekannten Ausdrücken. Es gibt Feststellungsbescheide, Hinweise, Begründungen und eine eigene Spalte, die Abkürzungen zu erklären.
Die meisten beginnen mit Be: Bescheid, Bewertung, Belang, Besch...
Auf Seite sechs hält mich Papa Staat soweit geläutert, um in einer einseitigen Erläuterung die fünf vorhergegangenen zusammenzufassen. Sie werden aufgefordert, folgende Unterlagen beizubringen ...
Ich komme mir vor wie ein Dackel, der in diesem Kasten um ein jaar Dokumente scharrt, in jener Schublade nach den behördlicherseits geforderten Informationen schnüffelt, ohne recht zu kapieren, was denn genau gefordert wird.
Das liegt an meinem Unvermögen, zu lesen. Bis zur Großjährigkeit glaubte ich bieder, unsere Muttersprache in Wort unchSchrift einigermaßen zu beherrschen. Bis diese Formulare kamen: Wenn Ja, warum? fVenn Nein, warum nicht? Und nicht mehr väterlicherseits, sondern von mir allein beantwortet werden sollten.
Nach dreimalig vergeblichem Lesen, vergeblich, was das Verständnis betrifft, wird mir neblig vor den Augen und ich beschließe, die Beantwortung zu Überschläfen.
Morgens stolpere ich wieder über die Formuherung, ich sei „in der Rechtswohltat des Inventars" und gebe mich eine Zeitlang dem wohltuenden Gefühl des Besitzes einer bislang unbekannten Wohltat hin.
Nicht lang. Im Verlauf des vierten Durchlesens sticht mir die Frage nach der Anzahl der „in Natur ganz vorhandenen Personen unseres Hausstandes" ins staunende Auge. Aha, es ist also mittlerweilen amtsbekannt, daß es in unserer Gesellschaft auch Haiberte gibt. Jn Natur, versteht sich.
Die nächste Beratung bei Gericht ist erst in einer Woche. Ich konsultiere einen etwas kafkaesk wirkenden Richter, um zu erkunden, ob ich noch den Ganzen oder bereits den Haiberten zuzuzählen sei. Und mit welcherlei weiteren Wohltaten ich amtlicherseits noch rechnen dürfe.
Der Gerechte überfliegt meine Papierchen mit Kennermiene und meint dann etwas herablassend, seine Zunft sei stolz, daß sich die Sprache der Jurisdiktion seit dem Mittelalter kaum verändert erhalten habe. Wenn er mir raten dürfe, solle ich mein Augenmerk eher der Fälligkeit besagten Bescheides mit heutigem Datum widmen, anstatt einer von mir nicht beherrschten Sprachsparte. Bei Nichteinhalten dieses Termins beträfe mich nämlich ohnehin nur mehr die Rechtsmittelbelehrung auf Seite acht, Paragraph Winkelfuchs, Absatz Milchstraße, Gruppe diabolo brut.
Schlimm! Aber wenigstens für Unterhaltung ist amtlicherseits wohltuend gesorgt.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!