6547362-1947_22_14.jpg
Digital In Arbeit

Die Trauerweide

Werbung
Werbung
Werbung

Matthias Berger wurde versetzt. In diesem Augenblick brach der Frühling aus. Die Unwiderruflichkeit beider Tatsachen prägte sich mir deutlich ein, als sie vollzogen waren. Über Nacht war die winterliche Farblosigkeit gewichen. Um den Wienerwald lag ein rötlichgrauer Schleier, aus den' Anlagen winkte saftiger Rasen, Phorsytien sendeten leuchtende Grüße von überall her. Die ersten Baumblüten erfreuten mit schneeigem Schimmer.

Und da war die Trauerweide. Ihre Zweige neigten sich in zartem Gelbgrün. Wie eine Aureole umgab sie der Farbenhauch, der nach der ersten Frühlingswoche schon schwindet. Leise schwankten ihre Zweige im warmen Wind. Meine Augen suchten immer wieder den hingewehten Glanz ihres lichten Hauptes. Der süße Zauber dieser anmutigen Schönheit rührte midi zu Tränen. Oder wurde ich nur deshalb so leicht ergriffen, weil mich ein anderer Zauber umstrickte? Seit Monaten lebte ich durch einen zweiten Menschen. Weder dachte ich an ihn, noch sehnte ich mich nach ihm, er war einfach da, ohne daß ich ihn rief. Ich arbeitete, lachte oder weinte durch ihn hindurch. Wir haben feste Grundsätze und richten uns auch nach ihnen. Sie sind das Knochengerüst im Gefüge unseres Schicksals. Über dieses Skelett zieht sich das blutwarme Fleisch der Ereignisse und die Einprägsamkeit der Gestalt 'wird erst durch die Bewährung in der Begegnung vollendet.

Hier war sie mir in dem nüchternen Rahmen einer ungeheizten Amtskanzlei geschenkt worden. Ich brauchte eine geschäftliche Auskunft und der Amtsrat Matthias Berger erteilte sie mir. Er sprach über die Erhaltung von Grundbesitz im Auslande und weihte mich iß das umständliche Verfahren ein, derartige Ansprüche klarzulegen. Er saß mit aufgestelltem Rockkragen hinter einem häßlidien Schreibtisch. Bei jedem Wort, das er sprach, kräuselte sich der Hauch vor seinen Lippen. Er hatte eine erfrorene, rote Nase, etwas plumpe Hände und gelegentlich einen unschönen Zug um den Mund. Aber es war mir bestimmt, ihm zu begegnen, weiter nichts, als ihm zu begegnen und eine Weile durch sein Bild zu leben. Er stellte im Zusammenhang mit meiner Angelegenheit Fragen, ließ sich Akten kommen und notierte verschiedenes über den Fall.

Er erhob die Amtshandlung zum Gespräch zwischen zwei Menschen. Es war erstaunlich, wie eine so trockene Sache, wie die vorliegende, durch die Zuvorkommenheit des Matthias Berger zu einem kurzweiligen Geschäft werden konnte. Jedenfalls war er ein Mensch, der meiner eigenen Art nicht wenig entsprach. Im allgemeinen vermittelt ein Besuch bei einer Behörde nicht den Eindruck der Geborgenheit und die Uberzeugung wird nicht lebendig, daß das Amt zum Schutze oder Wohle oder Vorteile des Publikums geschaffen sei. Hier war das aber durchaus der Fall. Matthias Berger entschuldigte die Behörde wegen der Genauigkeit ihrer Erhebungen und begründete dieses Verfahren sogar. Während des ganzen Gespräches sah er mir ins Gesicht. Er sdinippte mit keinem Lineal, ließ keinen Bleistift Kopf stehen und sagte einem unsichtbaren Störenfried durch das Telephon: „Ich bin jetzt leider beschäftigt, Herr Kollege.“ Er betrachtete mich mit braunen Augen und widmete sich meiner Sache. Die Angelegenheit erwies sich als verwickelter, als man zunächst vorausgesehen hatte, ich war genötigt, Matthias Berger viele Male aufzusuchen und immer begegnete ich der gleichen liebenswürdigen Zuvorkommenheit. Also ergab es sich, daß dieser Amtsrat Berger unsichtbar neben mir einherging, auch wenn ich in seiner Kanzlei nichts zu tun hatte.

Und während eines dieser ruhigen Gespräche, die im Grunde nur einen Gegenstand des äußeren Lebens berührten, meldete sich die innere wachsende Verbundenheit so deutlich, daß ich eines Tages recht unvermittelt eine geradezu peinliche Frage stellte. Sie lautete: „Glauben Sie an Gott?“ Matthias Berger veränderte keine Miene, nur war es mir, als würden die braunen Augen noch dunkler und er antwortete ruhig und etwas betont: „Ja, das tue ich.“ Damit war das sachliche Gespräch unterbrochen und in diese Pause warf Amtsrat Berger die Gegenfrage: „Bedeutet Ihnen die Musik etwas?“ Nun, wenn ich auch zum erstenmal - eben jetzt von ihr gehört hätte, so unterlag es keinem Zweifel, daß mir die Musik etwas bedeutete und ich gab dieses eifrig zu.

Der Leser meint jetzt vielleicht, endlich wäre das Eis gebrochen, obwohl es dem Thermometer nach noch bitterkalt war, es wäre die Gelegenheit gefunden, daß ich mich mit Matthias Berger auch außerhalb seines Amtsbereiches unterhalten könnte. Alles deutete auf einen gemeinsamen Konzertbesuch, sogar den Besuch eines Kirchenkonzertes hin. Aber nichts dergleichen geschah. Das Gespräch wandte sich wieder dem in unerreichbarar Ferne liegenden Grundbesitz zu und ich verließ den Raum als Partei, an der seit Monaten eine Amtshandlung vollzogen wurde.

Die Nachfrage nach dem Fortschritt meiner Sache wurde ein fester Bestandteil-im Ablauf meiner Woche und ich führte in der Zwischenzeit viele Gespräche mit einem geistig anwesenden Matthias Berger, die ich mit dem wirklich mir begegnenden Bundesangestellten zu führen niemals Gelegenheit hatte. Eines Tages wandte sich Berger zu einem Regal. Diesem entnahm er ein Buch, das zu der „Causa“ keine Beziehung .hatte. Es war eine in literarischer wie bibliophiler Hinsicht seltene Kostbarkeit. Er reichte mir dieses Buch, damit ich es zu Hause in Rühe durchsehen könne. Diese Leihgäbe besagte mehr als Worte. Sie bewies, daß auch Matthias Berger sich jenseits seiner Kanzlei mit mir beschäftigte.

Zwei Menschen des gleichen geistigen Breitengrades hatten einander getroffen. Sie freuten sich dessen und machten kein Hehl daraus. Die kargen Besuche, eine reizlose Angelegenheit betreffend, wurden zwar nicht häufiger durchgeführt, als notwendig erschien, um die Sache nicht einschlafen zu lassen. Im Laufe der Wochen erweiterte sich aber der inhaltlich so dürftige Dialog gelegentlich zu einem knappen, erfüllten Gespräch. Dennoch blieben die Beziehungen einen Winter lang amtlich.

Da aber wurde Matthias Berger aus der Stadt versetzt. Ich erfuhr es, als ich nach wochenlanger Verhinderung die Amtskänzlei wieder aufsuchte. Sein Nachfolger war eingehend über meinen Fall unterrichtet, wie ich sogleich feststellen konnte, und er nahm sich meiner mit höflicher Ehrerbie-' tung an.

Just in dem Augenblick, als ich nach dieser Eröffnung das Amtsgebäude verließ, wurde ich des unwiderruflich erschienenen Frühlings gewahr. Die Leuchtkraft der frischen Farben versengte mir das Herz wie die Berührung mit einem heißen Eisen. Ich stand inmitten des Blühens und der reifenden Schönheit des Jahres und war doch abgelöst, weit abgelöst von teilnehmend empfundener Freude. Verlassenheit umhüllte mich wie ein zu leichtes Gewand, unter dem man friert, während das Herz fiebert.

So kam ich an die Trauerweide, die im ersten frischen Grün prangte. Und dort überließ ich mich meinen Tränen, die verrieten, daß ich heimlich erwartet hatte die Freude an diesem Frühling mit Matthias Berger zu teilen: Und immer wieder schaute ich auf den hingewehten Glanz des lichten Hauptes der Trauerweide und wirklich erfuhr ich dort Trost. Die zitternden, frisch belaubten Zweige erinnerten mich an das Haar der Maria Magdalena, die ich nach der Läuterung unwürdiger Liebe in selbstloser Hingabe verschwenden konnte und dafür einen rührenden Beweis erbrachte, als sie die Füße des Heilandes salbte und diese mit ihren wallenden Haaren trocknete.

Es kommt darauf an, daß wir niemals aufhören, das Herz zu verschwenden und es nicht dem Leben verschließen. Einmal wird das so abenteuerreiche Leben schenken, einmal wird es versagen. Immer aber wird durch die eigene Erfahrung der Blick für die. Not-des Nächsta*„geiahärft und wenn die VrlfUene Enriiuscn'jnj1 nicht verhärtet, sondern zum Leid des Bruders führt, ist ihr Sinn begriffen und tapfer erfüllt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung