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Digital In Arbeit

Ein aufsehenerregender Ringkampf

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Da ich selbst leidlich ringe, was mir bei Meinungsverschiedenheiten mit meinen Verlegern ausgezeichnet zustatten kommt, ging ich Donnerstag abend zu dem Ringturnier in der Apollohalle in Amsterdam in Gesellschaft Arie Bombaries, Meisters von Edam (N.-H.) und Wilhelm Borstkas, ehemaligen Meisters von Lisse (Z.-H.), beide verdiente Ringer, mit denen ich immer gut auskommen konnte.

Das Programm begann mit einem Kampf dreier Runden zwischen den Herren Jackson (80 kg) und Parnera (83 kg). Es war sehr nett, doch nicht das, was Arie, Wilhelm und ich ringen nennen. Es war zuwenig alles oder nichts, wenn ich es für den Laien so ausdrücken darf. Beim echten Ringen, sagt Arie, gibt es zwei Möglichkeiten: entweder man siegt oder man geht auf ein Jahr in die Federn. Um eins dieser zwei Extreme zu erreichen, ist ein Gewicht von mindestens 110 kg nötig. Erst dann ist man so weit, daß man von „plätten“ reden kann. Bei einem Gewicht von 80 kg verfällt man bald in die sogenannte „Knotenarbeit“. So auch hier. Es gab Augenblicke, wo die Herren Jackson und Parnera so unentwirrbar in sich verstrickt saßen, daß die Lage auch für sie selbst völlig unübersichtlich war. In einem bestimmten Moment ragte der Kopf Jacksons über eine verwirrte Masse Arme und Beine hervor, aufgeregt umherspähend nach einem Körperteil, dessen er gewiß war, daß er seinem Gegner gehöre. Schließlich begann er, durch die Schreie des Publikums ermutigt, auf gut Glück ein greifbares Bein umzudrehen, zu spät merkend, daß es einen Teil seiner eigenen Persönlichkeit bildete.

Solche Irrtümer sind unvermeidlich, wenn man es nicht im Räumlichen sucht. Echte Ringer suchen es immer im Räumlichen. Ich habe einmal in New York den großen Billy Thompson (117 kg) an der Arbeit gesehen. Es war ein herzerhebender Anblick. Er faßte seinen Gegner an einem Bein und schwippte ihn einfach ins Publikum. Das ist eine deutliche Sprache. Das ist, was wir Ringkämpfer Facharbeit nennen. Aber hiervon war in der Apollohalle nicht die Rede. Es war und blieb Knotenarbeit in kurzer Entfernung.

Darum sahen wir sehnsuchtsvoll nach der Begegnung zwischen Teddy Rollboy, Weltmeister (13 5 kg), und dem Rumänen Plancka (127 kg), aus, die nach der Pause stattfinden sollte. Selten habe ich zwei solche Menschen gesehen. Wie zwei träge sich bewegende Plumpuddinge wackelten sie die kleine Bühnentreppe hinauf und jeder setzte sich auf einen kleinen Stuhl im Ring. Planckas Stuhl hielt es aus, doch der Stahlschemel Rollboys sackte wie Pappe ein. Der Riese stand lächelnd auf und lehnte sich an einen Pfeiler. Der Pfeiler fiel um. Das sind Teufelskerle. Daran hat man einen Halt. Schau, jetzt gibt er einem der Kampfrichter (Herrn Determeyer) eine Hand und schüttelt diese herzlich. Einen Augenblick später hält er den Arm des Herrn Determeyer lose in der rechten Hand und schaut erstaunt darauf. Der Schiedsrichter erteilt ihm eine Rüge. Um zu beweisen, daß er es nicht absichtlich tat, klopft Rollboy dem Official freundlich auf die Schulter: im nächsten Augenblick trägt man den Mann mit völlig verrenktem Oberkörper aus dem Saal. Zum Glück gibt es einen Stellvertreter, der nicht ohne* Besorgnis dessen Aufgabe übernimmt. Er bläst sofort auf einer kleinen Pfeife und da erhebt sich Herr Plancka aus seinem Stuhl. Mit solch einem Manne möchte man auch nicht gerne Krach bekommen. Er kann, so lesen wir auf dem Programmzettel, einen abfahrenden Zug mit einer Hand aufhalten. Und wiewohl wir den Nutzen oder den Vorteil hiervon nicht deutlich einsehen, so soll man doch zugeben, daß nicht jeder so was leisten kann.

Herr Plancka reckt sich und blinzelt dem Publikum zu. Es scheint also ein netter Mann zu sein, geneigt zu Scherz und Spaß. Es steckt etwas besonders Liebenswürdiges in der Tatsache, daß ein Mann von 127 kg blinzelt. Denn er braucht das gar nicht zu tun. Ein Mann von seinem Gewicht findet auch ohne solche Gefälligkeiten seinen Weg durch das Leben. Aber er tut es doch und man belohnt ihn sofort mit dem Ruf: „Los, Heinz, krach ihn!“, was eine sonderbare Ermutigung ist für einen, der Arturo heißt. Und jetzt geht es darauf. Ohne irgend welche weitere Einleitung greift Rollboy seinem Gegner an die Hüfte, hebt ihn wie einen Ballen Mehl in die Höhe und wirft ihn dann in die Kampfrichter. Hierauf betritt Plancka das Podium, faßt das Bein seines Partners und schleudert ihn mit einer Bequemlichkeit herum, als sei er ein Fahnenschwenker. Diese und derartige Proben werden noch einige Zeit fortgesetzt. Hiermit wird nichts Ernstes gemeint, erklärt Arie mir, es sind ein paar Handgriffe und Fingerübungen zur Einleitung. Die eigentliche Berufsarbeit kommt noch.

Aber jetzt runzelt Rollboy die Stirn und macht sich auf, das sogenannte „Plätten“ in die Hand zu nehmen. Hierzu legt er seinen Gegner bedächtig vor sich auf den Boden und fängt an, auf dessen Rücken zum einführenden „Hämmern“ überzugehen. Hier sehen wir deutlich, was ein Gewicht von 135 kg vermag. Aber Plancka ist auch nicht von gestern. Mit einer meisterlichen Schraubenbewegung windet er sich unter dem Weltmeister aus, klemmt dessen' Kopf wie in eine Zange zwischen die beiden Beine und fängt an, zu „mangeln“. Es sieht mit Herrn Rollboy nicht schön aus. Doch mit einem reizenden und unfehlbar ausgeführten Schweizer Schwippen schmeißt er seinen Gegner in die Luft, fängt ihn wie einen Ball wieder auf, nimmt ihn sofort in den ganzen Nelson und drückt ihn schließlich mit beiden Schultern gegen den Boden. Die Partie ist aus.

Aus dem Niederländischen übersetzt von A. F. C. Brosens.

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