Ein Leben zu viert

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Seit 30 Jahren füllen die vier Solisten des "Guarneri-Quartetts" in aller Welt die Konzertsäle.

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Seit 30 Jahren füllen die vier Solisten des "Guarneri-Quartetts" in aller Welt die Konzertsäle.

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Wenigstens zwanzig Minuten lang streiten wir über einen Punkt. Dieser besondere Punkt steht über der zweiten von zwei gebundenen Noten in Alban Bergs Quartett, Opus 3." Im März 1997, 33 Jahre nach der Gründung des Guarneri-Quartetts werden Diskussionen um den richtigen Ton und die richtige Interpretation bei Proben noch immer unerbittlich geführt. Der Ruhm hat am Ringen um die künstlerische Weiterentwicklung nichts geändert.

Arnold Steinhardt, Michael Tree, John Dalley und Davis Soyer waren Individualisten am Sprung zur internationalen Solistenkarriere, als sie die Begeisterung für Streichquatette zusammenführte und sie beschlossen, das Unmögliche zu wagen, zu viert neue Wege zu gehen und auch finanziell zu überleben. 1964, lange bevor Streichquartette in den Konzertsälen boomten, war das ein großes Risiko. Sie kannten den Musikerwitz vom Mann, in dessen Auto ein Streichquartett mitfährt: "Ich kann mir kein Radio leisten."

Neben dem finanziellen Risiko hatten sie im Gegensatz zu anderen Streichquartetten auch den Anspruch, gleichberechtigt zusammenzuarbeiten, statt drei Gefolgsleute um eine starke Persönlichkeit zu scharen. Die Summe ihrer Ausdruckskraft sollte einen neuen, unverwechselbaren Klang, eben den "Guarneri-Klang" bilden. Keiner spielte auf Dauer die "erste Geige". Das Projekt stellte neben der Herausforderung, "den eigenen Weg zu finden", auch große Ansprüche an die Teamfähigkeit der Musiker, deren Individualität auch in den Medien unterzugehen drohte.

Arnold Steinhardt, Geiger und Initiator des Projekts, gibt in einem Buch über die gemeinsamen Jahre auf allen Konzertpodien der Welt interessante Einblicke in die Gruppendynamik, aber auch in das künstlerische Ringen und die Schrullen der vier von der Musik Beseelten. "Unser Arbeitsstil ist sehr jüdisch", schreibt er, wobei einer von ihnen Christ ist, "jeder redet zur gleichen Zeit". Tatsächlich gewinnt man den Eindruck, dass das Miteinander-Reden im Mittelpunkt der Probenarbeit steht, die sie inzwischen in Sommerkursen öffentlich machen, um Studenten einen Einblick in ihre Arbeitsweise zu geben. Durch das lange Diskutieren, dem sie kein Ende setzen können, kommen sie bei den Einstudierungen nur millimeterweise voran, was den Vorteil hat, dass selbst dann, wenn keine Einigung erzielt wird, nachgedacht werden muss. Um sich vor Patt-Situationen - zwei gegen zwei - zu schützen, wird auch dem Komponisten eine "Stimme" verliehen, die dann oft den Ausschlag gibt. Alle Diskussionen enden, wenn sie die Bühne betreten. Dann gibt jeder sein Bestes, aber der Abend regt schon bei der nächsten Probe wieder neue Diskussionen an.

Bartok, Beethoven, Brahms, Dvorak, Debussy, aber auch Hans Werner Henze oder Hugo Wolf gehören zum fixen Repertoire des Quartetts, das ständig auf der Suche nach wenig gespielten Stücken und jungen Komponisten ist. Auch die Zusammenarbeit mit großen Solisten wie Arthur Rubinstein, Pinchas Zukermann oder Peter Serkin ist bekannt und auf CD festgehalten.

Gibt es ein Patentrezept für den Zusammenhalt von vier Individualisten über so viele Jahre hinweg? Sicher handelt es sich um vier außergewöhnliche Persönlichkeiten, die aber jenseits des Konzertsaals auch nur gewöhnliche Menschen mit Familie, Hobbies, Alltagssorgen und Gesundheitsproblemen sind. Was sie eint, ist die Annährung an eine Idealvorstellung von Musik, die sie in kleinen Schritten realisieren. Und die Überzeugung, dass jeder für sich niemals jene beglückenden Klangerlebnisse vermitteln könnte, für die das Guarneri-Quartett berühmt ist.

Respekt vor dem Können und den Vorschlägen der Mitspieler, Distanz, was Privatleben und Intimsphäre betrifft sowie der professionelle Umgang mit Terminen und Finanzen bilden das Fundament des Erfolgs. Auch die Hochachtung vor den Komponisten und ihrem Werk und die Freude am Experimentieren und Neu-Interpretieren, um die Musik zum Leben zu erwecken, eint sie, sowie die Gewissheit, dass kein Konzert perfekt sein kann, jeder Höhepunkt nur einen Etappensieg darstellt.

Der weltberühmte Pianist Arthur Rubinstein, der schon ein alter Herr war, als das Quartett zum ersten Mal mit ihm auftrat, lehrte sie, geduldiger mit den eigenen Ansprüchen umzugehen. Als sie merkten, dass selbst der große Meister mit einem falschen Einsatz beginnen konnte, weil ihn das Lampenfieber packte, wurden sie ruhiger. Und als er sich bei Proben für sein falsches Spielen entschuldigte, weil er eigentlich ein Nickerchen und zwei Aspirin brauche, nachdem er am Vorabend zu viel getrunken habe, lernten seine jungen Bewunderer, dass jeder noch so bejubelte Künstler seine schlechten Tage hat, weit entfernt von virtuoser Perfektion.

Es gibt in diesem Buch auch viele nette Anekdoten von den jährlichen neunmonatigen Konzerttourneen, bei denen es den Künstlern nicht anders geht "als jedem Kabelverkäufer", der durch die Welt reist und seine Familie vermisst. Sie lesen Bücher, jeder andere, pflegen verschiedene Hobbies und wissen oft nicht, was die anderen drei so treiben. Doch immer wieder fordert sie die Konzentration auf das Stück harter Arbeit, das virtuose Musiker täglich erledigen müssen: Üben, Proben, Üben, Proben, Üben, Proben, unter vollem körperlichen und geistigen Einsatz. Denn das Zusammenspiel eines Quartetts, so Steinhardt, erfordert neben "tiefen Gefühlen auch einen ausgeprägten Intellekt", aber auch "einen Sinn für Humor, Gleichgewicht und Leichtigkeit im täglichen Umgang miteinander".

Steinhardts Buch ist ein Zeugnis der Liebe zur Musik und jener harten Arbeit, der es bedarf, um das Niveau zu halten. Es macht unaufdringlich und humorvoll Mut, in Zeiten der totalen Idividualisierung und Isolierung das Abenteuer des Zusammenspiels zu wagen.

Mein Leben zu viert. Von der Kunst aufeinander zu hören - das Guarneri Quartett. Von Arnold Steinhardt. Albrecht Knaus, München 2000. 380 Seiten, geb., öS 277.-/e 20.13

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