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Erinnerung an Mirjam

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„Ich soll also die Eröffnungspredigt zur Maiandacht halten?” fragte der französische Gastpriester lächelnd und etwas verlegen. „Gewiß — Ihre Sprache beherrsche ich, aber nicht über mein Heimatland würde ich dann sprechen, sondern über Algier, wo ich studierte und den ersten Anstoß erhielt, den schwarzen Rock zu wählen, statt die politische Laufbahn meines Vaters einzuschlagen. Ich werde über Mirjam sprechen — und ich meine jetzt nicht die Mutter Gottes, deren hebräischer Mädchenname so lautete, sondern ihre unbekannte Schwester aus dem Islam, die ich damals kennenlernte. Es ist wohl besser, Herr Pfarrer, wenn ich Ihnen die Sache zuvor kurz erkläre!

Algier mit seinem bunten Universitätsleben aus aller Herren Ländern hatte mich immer stark angezogen, und mein Vater als Diplomat fand, daß es mir nicht schaden könnte, gerade hier meine Studien abzuschließen, in den französischen Schutzgebieten, die zu immer stärkerer politischer Bedeutsamkeit heranwuchsen. Wir jungen Leute hielten denn auch die Augen offen. Aber dann kam Mirjam, die Tochter des reichen Teppichhändlers und strenggläubigen Mohammedaners, zu uns in den Hörsaal — vorbei war’s einstweilen mit der Politik. Mirjam war das Thema Nummer eins unter den Studenten. Lln- gewöhnlich schien es, daß sie zu jener Zeit sich unverschleiert zeigen durfte, sich europäisch kleidete und unbefangen mit uns verkehren konnte. Es hieß, ihr Vater sei einer der aufgeschlossensten Araber seiner Zeit, er ließ der schönen exotischen Tochter alle Freiheit und mochte seine bestimmten Gründe dafür haben.

Nur in einem Punkt gab es kein Abweichen von islamitischen Auffassungen. Mirjam hatte anscheinend strengste Anweisung bekommen, jedes Religionsgespräch zu meiden. Kam die Rede auf Christus, so drehte sie sich still um und ging. Damals verabredeten wir, das ,heiße Eisen’ unberührt zu lassen — Mirjam war eine wundervolle Frau und kluge Kameradin, wir wollten sie nicht in unserem Kreis entbehren. Von ihr erfuhren wir mehr über islamitische Lebensweise als von den berühmtesten Professoren. Und dann neckten mich die Studenten meiner Fakultät damit, daß Mirjam nicht so gesprächig sein würde, wenn sie nicht vorhätte, einen .Rechtgläubigen’ aus mir zu machen — merkte ich denn nicht, daß ihre großen Gazellenaugen immer wieder beharrlich zu mir herüberwanderten, daß sie nur für mich sprach?

Ich wurde verlegen und verwirrt, um so mehr, als ich feststellen mußte, daß die Kameraden nicht unrecht hatten. Wie leuchteten diese geheimnisvollen schwarzen Augen auf, als ich mich intensiver mit ihr beschäftigte! Als sie auch während der Vorlesungen ihren Platz neben mir wählte, ließen uns die anderen taktvoll von Zeit zu Zeit allein.

Menschenskind, sie liebt dich — das ist klar!’ sagte mir mein bester Freund eines Tages auf den Kopf zu. .Bist du denn blind? Na, ich würde einen kleinen Flirt mit ihr wagen — ist doch toll interessant. Was hast du?’ Ich sah ihn nur an. ,Mit Mirjam flirtet man nicht, sie hat verdient, geliebt zu werden — aber ich liebe sie nicht.’ .Schade um die Schöne! Dann zieh dich doch von ihr zurück und überlasse sie uns.’ Ich zögerte, dann sagte ich fest, einer Ahnung folgend: ,Ich glaube, daß ihr euch irrt — Mirjam sucht nicht den Geliebten in mir. Darauf warte ich.’ Viel Geduld mußte ich aufbringen, ehe mein Vertrauen belohnt und meine Vermutung bestätigt wurde. Ich meine den großen grauen Korridor der Uni noch vor mir zu sehen, wie Mirjam eines Tages aus einer Nische hervortrat — mir in den Weg. .Marcel — könnten Sie mir Ihr Collegeheft leihen? Ich habe nicht alles mitbekommen von der letzten Lesung.’ Ich war gerne bereit, zückte das Heft — ein Bildchen fiel heraus, ein Lesezeichen. Es war Maria. Mirjam hatte sich flinker als ich gebückt und hielt es, atemlos, in der Hand.

,Ist das sie?’ fragte sie fast unhörbar, mit gesenkten Augen, als habe sie das Bild meiner Braut entdeckt. Ich wußte, was sie meinte. ,Ja’, sagte ich fest. ,Die Mutter des Propheten, der groß ist, aber geringer als Mohammed?’ ,Die Mutter Gottes, Jesu Christi!’ sagte ich laut Sie zuckte zusammen, machte eine Bewegung — würde sie das Bild zerreißen im Fanatismus ihrer Religion? Nein — eine blitzschnelle Geste —, es verschwand in den Falten ihres Seidengewandes. Dann verneigte sie sich anmutig und lief wie auf der Flucht. Das Collegeheft — da stand ich — sie hatte nur das eine gewollt!

Eine Woche lang sahen und hörten wir nichts von Mirjam, mir wurde bang, war der seltsame Raub im Haus des Moslem entdeckt worden? Das konnte für die Tochter schwere Folgen haben. Aber beim nächsten Vortrag unseres außerordentlichen Professors war sie da, lächelnd, unbefangen, als sei nichts geschehen. Während der Gelehrte uns in Bann schlug, wanderte ein kleiner Zettel zu mir, mit arabischen Schriftzeichen. Ich zuckte die Achseln. Dann kritzelte sie auf Französisch darunter: ,Wo kann man s i e kennenlernen?’ Ich wußte keine Antwort, aber am gleichen Abend begegnete ich dem Studentenseelsorger, dem trug ich ihr Anliegen vor. Er kannte Algier, er kannte die Söhne Mohammeds, es war nicht leicht.

Kleidet sie sich europäisch?’ Ich bejahte. ,Gut, dann würde sie in der Kathedrale nicht auf- fajlen?’ .Nein, kaum anzunehmen.’ ,Nun, so bringen Sie Mirjam zur Maiandacht mit, ich selbst halte die Eröffnungspredigt und werde — es trifft sich wunderbar — über die wunderbare besondere Erlösung der Frau in allen Völkern durch die Auserwählung Mariens predigen. Da will ich die Frauen dieses Landstrichs nicht vergessen.’ Er stockte, errötete leicht und sagte rasch: .Noch eines — kommt sie Ihretwegen?’ Ich schüttelte den Kopf. .Nein!’ sagte ich, sicher wie nie zuvor, .Mirjam sucht die Wahrheit!’ Sie alle, die uns bespöttelten, hatten unrecht, uns band Tieferes als nur Liebe!

Der Pater sprach wundervoll — es war, als lege er nur für Mirjam die Schrift dar, als breite er einzig vor ihr den Glanz der erhabenen Jungfräulichkeit Mariens aus, deren Gcttergrif- fenheit eine einzige Wiedergutmachung an allen erniedrigten und geknechteten Töchtern Evas ist. Die ganze Schonung, Ehrfurcht, Liebe und Keuschheit, mit der der Heilige Geist sich diese Braut erwarb, den Gottmenschen aus ihr zu zeugen, flammte in seinen Worten. Und Mirjam lauschte mit weitoffenen Augen dem Lob der anderen Mirjam, die sie aus schwachen Koranstellen nur verschleiert erkannt hatte. Die un- verschleierte Tochter Mohammeds begegnete dim tmverl’.üHten Slrahlenmeer, das die Tochter des Ewigen Vaters ausströmte. Als sei sie eine Träumende, mußte ich sie aus dem Gotteshaus führen, damit sie in ihrer Versunkenheit kein Aufsehen erregte.

Liebst du sie sehr, Marcel?1 fragte sie mich, nachdem wir lange schweigend durch die Straßen schritten. Und ohne zu fragen, wen sie meine, sagte ich: Ja, Mirjam.1 Sie blieb stehen. .Mehr als — als —1 Jai1 sagte ich. Sie senkte demütig den Kopf. Dann ging sie wieder mit einer kleinen anmutigen Verneigung. Ich sah sie zum letzten Male. Aber das wußte ich erst später. Ich suchte nach ihr und fand sie nicht. Wir schraken auf, als es hieß, ihr Vater habe sie von der Universität abgemeldet. Was war geschehen? Ich schwieg, niemand hätte mir das Geheimnis entrissen — wußte ich doch nicht einmal, ob es der Anlaß gewesen war. Monate später erzählte mir ein Berber, ein Wasserhändler in einer kleinen Gasse Algiers, was der ganze arabische Stadtteil wußte: Mirjam, die Tochter des reichsten Teppichhändlers, heiratete und wurde die siebente Frau eines berühmten Scheichs. Ihr Vater hatte nach Landesbrauch seine Tochter an ihn zur Ehe verhandelt.

Mirjam, Tochter Mohammeds — sie hatte mich nicht mehr losgelassen, immer wieder sah ich sie vor mir, hörte ihre bange Frage: .Mehr als —1 und wie im Traum mich antworten: Ja —Jetzt fügte ich hinzu: .Mehr als diese, mehr als alle Frauen der Erde — aber die Frauen der Erde umschloß mein Herz fortan mit der seelenhungrigen Sehnsucht des Erlösers, daß keine von ihnen verlorengehen möchte und sie alle in Maria benedeite.

An jenem Tag entschloß ich mich, die Fakultät zu wechseln. Mein Seelsorger bereitete alles vor und unternahm es auch, meinen Vater umzustimmen und seine hochpolitischen Pläne aufzugeben. Ja, ich kam wieder nach Algier, aber nicht als Diplomat, sondern im schwarzen Rock. Mein Leben gehört Mirjam — Sie können es halten, wie Sie wollen, Mirjam, der Mutter der Erlösten und der namenlosen Mirjam der un- erlösten Heidenvölker, die auf uns warten!”

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