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Freuden der Anonymität

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Die Freude ist flüchtig und selten, zumal heutzutage. Auch wenn große Unternehmen und Medien zur ständigen Freudenbeschaffung existieren und der freudlosen Gesellschaft ihre wirkungslosen Freuden-Injektionen verabreichen.

Was bereitet denn überhaupt noch Freude? Was die Meinungsforscher da so herausfinden sind die sogenannten kleinen Freuden, von denen wir insgeheim zehren: das Aufblühen der Schneeglöckchen, das Lächeln eines Kindes, das Wiederfinden eines verlorenen Gegenstandes, ein anerkennendes Wort, ein blinkender Sonnenstrahl.

Irgendwann und irgendwo freilich muß es auch die ganz großen Freuden gegeben haben, Freuden voller Tanz und schallendem Freudengelächter, Freuden als Abglanz himmlischer Freuden. Jene Freuden, die so von innen kamen wie der Fan-Taumel beim Open Air von außen kommt. Sind Österreicher heutzutage dazu noch in der Lage? Besitzen sie, falls der große Freuden-Anlaß kommt, überhaupt noch die Fähigkeit zur großen Freude?

Von der Frage zur Vermutung: Die Gebrüder Grimm schildern den Freudentanz eines Märchenzwergs. Er hüpft vor lauter Vergnügen an seiner Freude ums einsame Lagerfeuer. War er vielleicht ein Österreicher? Und er singt in der Gewißheit unbelauscht zu sein, sein inniges Freudenlied: „0 wie gut, daß niemand weiß, daß ich Rumpelstilzchen heiß!"

Ein höchst unfairer Lauschangriff entriß ihm bekanntlich das Losungswort. Damit war die große Freude zu Ende.

Wenn es nun wahr ist, daß Märchengestalten die Archetypen unserer unbewußten Wünsche und Vorstellungen sind, so haben wir hier eindeutig die Psycho-Geschichte des anonymen Sparbuchs. Etwas zu besitzen, wovon keiner was weiß, ist ein Quell unbändiger Freude.

Man muß ja nur einmal das glückselige Lächeln einer achtzigjährigen Rentnerin gesehen haben, die am Postamt einen ersparten Tausender auf ihr anonymes Sparbuch einlegt. Daheim tanzt sie, nachdem sie alle Vorhänge zugezogen hat, gewiß um den Küchenherd und singt dazu die Rumpelstilzchen-Melodie.

Natürlich war, was diese Frau getan hat, ein verwerflicher Akt der Geldwäsche. Sie hat den Tausender dem Konsum entzogen, wo er Arbeitsplätze gesichert und Produktionskapazitäten in Schwung gehalten hätte. Sie hat schmutziges Geld in reine Freude verwandelt. Anlaß genug für den Fiskus, solcher Subversion mit erfolgreicher Rasterfahndung zu begegnen.

Diese große Freude an der Anonymität gehört abgeschafft. Zurück also zum Sparstrumpf. Zurück zum Golddepot unter der Matratze. Die besagte Rentnerin ist kreativer als jede Innovationsagentur. Sie wird sich weder vom österreichischen noch vom europäischen Fiskus ihre Rumpelstilzchen-Freude nehmen lassen.

Ganz anders die großen Geldwäscher. Denen gerinnt der Humor auf den Lippen, wenn sie nun völlig ratlos am Bankschalter stehen und offen erzählen müssen, daß die läppischen

Milliarden, die sie einzulegen gedenken, nur der Erlös von ein paar Blumenzwiebeln sind, die sie am Naschmarkt verkauft haben. Nein, so versichern sie treuherzig, von der Konkurrenzbank ist das Geld ganz sicher nicht.

Das mit dem Kennwort „Pate" bisher benutzte Sparbuch muß jetzt auf den Überbringer umgeschrieben werden. Oder noch besser: Da läuft doch gerade die vorhin beschriebene Bent-nerin über den Weg, die ihre anonymen Ersparnisse abgehoben hat, um sie zu verstecken. „Hände hoch!" Keine Angst, die Frau wird nicht beraubt. Im Gegenteil, sie kann sich sogar ein paar Tausender verdienen. Sie muß nur ihr nun auf den Namen Amalia Müller lautendes Sparbuch zur Verfügung stelle¥i. Und die, die es jetzt benutzen, bleiben selbstverständlich anonym.

So ist die Freude gerettet. Die Maskierung als Anonymus ist des Österreichers liebstes Spiel. Unfl Spiel gilt hierzulande als Kultur. Daher Sparkultur. Oder Anonymkultur. Die Briefbomben werden schließlich nicht anonym verschickt. Auch wenn der Absender nicht stimmt.

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