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Heiße Luft im „Jonas-Reindl”

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In den Tiefen des Wiener „Jonas-Reindls”, neben der Universität, wo sich vier Straßenbahn- und eine U-Bahn-Linie kreuzen, haben die EU-Gegner ihre Info-Stände aufgebaut. Die Volksseele brodelt.

„Nein zur EU-Diktatur!” Ein schwarzer Fisch, der ein kleines, hilfloses Fischlein schluckt, symbolisierte bereits bei KPO-Kampagnen, worum es nun der „Initiative Heimat & Umwelt” geht. Von früh bis spät werden Passanten mit mehr Emotion denn Argumenten gegen einen EU-Anschluß versorgt. Bita Klicpe-ra, eine silberhaarige Pensionistin, Jahrgang 1926, kämpft mit einigen Mitstreiterinnen engagiert wider den Kapitalismus im EU-Gewand.

Auch die „Osterreichische Bewegung gegen den Krieg” macht gegen Brüssel mobil. Zettelausteilerin Helga findet das klar: hätte die EU doch in Jugoslawien versagt. Hauptaufgabe Österreichs sieht sie ohnehin nur in der Wahrung der Bodenressourcen, den Rest kann man nachlesen. Informationsmaterial am Stand, das über ein Flugblatt hinausgeht, ist allerdings nicht gratis. - „Wir sind nicht von der Regierung, wir können nichts verschenken. Dafür kriegen S' drüben beim EU-Zelt der SPÖ Freibier und ein Billigmenü um 40 Schilling”, erklärt Frau Klicpera.

Wer daraufhin in der Hoffnung auf ein Gratiswürstl als Lohn der Angst des EU-Befürworters zum Burgtheater hetzt, wird bitter enttäuscht: blanke Heurigenbänke, eine einsame Dame mit EU-Herz an der Brust vor einem Videofilm und ein kleines Ottakringer um stolze 22 Schilling.

Da haben die EU-Gegner am Schottentor schon mehr Unterhaltungswert. Eine wahre Fan-Gemeinde bildet sich um Helga, Brigitte und Rita. Ein „Mann mit Herz” bringt vom immer verlockend duftenden „Wiener Gebäck” drei warme Topfengolatschen zur Stärkung der unermüdlichen Kämpferinnen gegen die EU und nimmt gleich einen Stoß Zettel zum Verteilen mit.

Ein extrem rothäutiger Hüne freut sich bereits über die Zahl von Gesinnungsgenossen. „Wissen S', i geh immer in die Sauna, da samma zwölf, und acht san dagegen.” Warum? „I hab scho den Anschluß erlebt, i mecht des nimmer ham.” Und warum wurde damals nichts dagegen unternommen? Da wird der Mann zornig. „Nix hat ma tun können, reden S' net, Sie waren ja net dabei!”

Eine Bundesdeutsche mischt sich ein, bemüht sich um eine seriöse Gesprächsform: „Die EU hat noch keinem Land Nachteile gebracht, und Solidarität in Europa ist doch gegen Asien und Amerika wichtig.” Allerdings kann sich der Dialog nicht durchsetzen, Emotion und Euphorie mähen ruhig vorgebrachte Sachargumente erbarmungslos nieder. Ein Mann möchte wirtschaftliche Zusammenhänge erhellen, wird aber vom Pensionisten Harald sogleich disqualifiziert: „Na der mit seine

Marlboro, der schädigt die Entwicklungsländer, der is natürlich dafür, der Egoist. Der kennt ja net amoi Amnesty, weil dem san ja die anderen Wurscht.” Helga müßte man sein, die wird freundlicher begrüßt: „Wann i die seh, geht die Sonne auf!” Gleichgesinnte verstehen sich eben. „I bin bei Amnesty und bei VIRTUS - Verein Internationaler Revolutionärer Studenten!” trumpft Harald auf. Weil der betagte Rücken schmerzt, muß sich der Studiosus setzen. „Die EU ist sch...!”

Damit wäre das Thema auf den Punkt gebracht. Obwohl sich Helga von Schlagworten wie der „Blutschokolade” empört distanziert, bleiben Fäkalausdrücke beliebte Zutaten bei den Debatten im „Jonas-Reindl”. Sogar Universitätsprofessoren wahren nicht immer die akademischen Umgangsformen. Klicpera beschwert sich über mangelndes Niveau: Hätten ihr doch tatsächlich drei Lehrer der Alma Mater den Vogel gezeigt.

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