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Weltgeschichte(n)

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Ein schreckliches Geheimnis, auf dessen Ausplaudern die schwersten Strafen bis hin zur Strafversetzung in den Außendienst als Preispolizist stehen, verschließt seit Wochen in den ehrwürdigen Räumen des Handelsministeriums Amts- und Regierungsräten, Wirklichen und scheinbaren Hof räten den Mund. Nur durch Zufall geriet ich dem Mysterium auf die Spur: In den letzten Wochen wurde mehr Benzin verkauft als je zuvor. Wenn der Grund dafür durchsickert, könnte der Benzinverbrauch bis zum Ende der Olympiade noch stärker steigen, fürchtet der Handelsminister, noch früher fallen, ängstigen sich die Benzinmanager.

Der Mann, der mir immerhin soviel verraten hatte, beging unmittelbar darauf aus Reue über seinen Verrat das beliebte österreichische Beamten-Harakiri: Er wurde krank und reiste nach Innsbruck. Und ließ mich mit meinen bangen Fragen allein. Immerhin hatte eine Fangfrage, mit der ich einem Benzinfachmann Auskunft entlocken wollte, ob denn die geheimnisvollen Ereignisse, von denen alle Eingeweihten als „erstem“ und „zweitem“ olympischen „Benzinknick“ sprechen, mit dem Benzinverbrauch der mit dem eigenen Auto nach Tirol reisenden Ausländer zu tun habe, überraschenden Erfolg. Der Mann starrte mich entgeistert an, sagte „Sie scheinen ja völlig ahnungslos zu sein, hier geht es wohl um ganz andere Größenordnungen!“ und schlug sich, weil er schon zuviel gesagt hatte, sofort auf den Mund. Ich verdanke den letzten Stein im Mosaik der Rätsellösung meinem Hausmeister.

Schon lang hatte ich bemerkt, aber weiter nicht zur Kenntnis genommen, wie viele Bekannte in letzter Zeit sinnlos rundendrehend immer wieder in ihren Autos an mir vorbeifahren, verbissenen Gesichtes hinter dem Lenkrad hockend und den Ärger des Stadtverkehrs schluckend. Aber mein Hausmeister gehört zu den Gescheiten. Er steigt nur einmal in der Woche in sein schönes Auto, das fünf Jahre alt ist und dessen Tachometer 13.921 gefahrene Kilometer ausweist. Oder besser: So hielt er es. In letzter Zeit aber preschte er immer wieder um unseren Häuserblock. Nicht nur am Samstag zwei Runden und am Sonntagnachmittag ein Rutscher ins Grüne, nein. Tag für Tag, Stunde um Stunde, Runde auf Runde.

Ich wartete also am Rande des Trottoirs, bis er ausstieg, und fragte ihn: „Warum tun Sie das?“

„Blöde Frage“, antwortete er, „ich trainiere für die Olympiade!“

„Ja, aber Sie sind doch kein Sportler und außerdem ist doch Rennfahren keine olympische Disziplin!“

Er sah mich an wie einen Vollidioten und sagte: „Mir scheint, Se sehn kane populärwissenschaftlichen Sendungen und interessieren se überhaupt net für Medizin! Noch nie von Streß g'hört?“

„Von dem red i net“, sagte er, „aber jeder bessere Professa kann Ihna bestätigen, daß nix g'fährlicha is, als sich den als Stressoren wirkenden Umweltreizen auszusetzen, ohne den von erhöhter Ausschüttung von Adrenalin und Noradrenalin ins Blut, beschleunigtem Herzschlag, schlagartig erhöhtem Blutdruck und blitzschnell ins Blut übergehenden Zucker- und Fettreserven gekennzeichneten und als Streß bezeichneten Zustand durch erhöhte körperliche Tätigkeit abbauen zu kenna. Wissen S' des net?“

„Na“, sagte ich.

„Mir scheint, Se san a Ignorant“, sagte er, „na ja, de Schurnalisten.“

Ich wollte meinen Imageverlust ausbügeln und sagte: „Aha, das ist ja genau die Situation des Autofahrens.“

Wieder ein mitleidiger Blick. „Bledsinn“, sagte er, „de Wissen-schaftla behaupten, Autofahren is schädlich. I fahr so vü jeden Sonntag, und bin fuffzig Jahr und leb no imma, Aber etwas anderes bereitet mir Sorge. Der Streß der olympischen Übertragungen. Schaun S', da sitzen S' in an Sessel, fressen, nippen am Glasel und regen sich doch so furchtbar auf! Aber wenn S' auf und ab rennen, dann versäumen S' womöglich den packendsten Moment. Und da hat da Huber g'sagt, für diesen Streß muß ma trainieren. Wo gewöhnt ma sich an verstärkten Streß? Im Auto. De Tschesen is mei Olympia-Übertragungs-Simulator!“

„Wer ist denn da draufgekom-men?“ sagte ich.

„Der Huber hat's vom Meier, und den hat a Freund aus Salzburg angerufen und ihm g'sagt, daß man sich beim Training recht aufregen und dafür am besten die ärgsten Stoßzeiten auswählen soll, überall wird jetzt das Streßertragen am Fernseher im Auto geübt.“

„Und so wie Sie machen es vielleicht Hunderte?“ sagte ich, „dann wundert mich der Verkehr nicht mehr!“

„Hunderte?“ sagte er mitleidig, „Zehntausende.' Was sage ich! Hunderttausende! Wir alle, denn wir sind die eigentlichen Olympioniken. De Spurtler kennen abreagieren. Wir aber haben die härtesten Belastungen zu tragen.“

„Zum Glück habe ich keine Zeit zum Fernsehen, wenn die Übertragungen laufen“, sagte ich.

„Ausreden“, sagte er, „Se san a Faulpelz. Aber i, i bin a Patriot!“

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