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Im väterlichen Heim

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••Auch Mutter sparte mit dem Lob, ich

erinnere mich an keines aus ihrem Munde. Sie erzog mich mit Blicken. Davon gab es eine ganze Stufenleiter, vom unbeschreiblich innigen Blick der Liebe bis zum funkelnden Zornschauer. Wenn dieser nichts nutzte, besonders im jähen Impuls, zog sie handgreifliche Strafregister. Die Rute stak bei uns noch ehrenvoll und abgebraucht hinter dem Spiegel. Mit Worten umzufuchteln gelang der Mutter schlecht. Sie hielt sich gerne an erprobte Sprichwörter. Zu meinen frühesten Versuchungen, wenn ich ihr etwa Risse und Kakaoflecke in der Schürze verbergen wollte, hörte ich sie sagen: „Kein Fädchen ist so fein gesponnen, es kommt doch endlich an die Sonnen.“ Und während ihrer Näharbeit, abends im Schein der Petroleumlampe, sprach sie oftmals feierlich: „Messer, Gabel, Schere, Licht paßt für kleine Kinder nicht!“ Wollten wir uns einmal zu nahe in den Zuckerlkasten verschauen, ging sie plötzlich trittfest durch das Kaufgewölbe und redete wie zu sich selber: „Ehrlich währt am längsten!“

Mutter wußte unzählige Sprichwörter, für jede Gelegenheit ein passendes. Manchmal, so denk ich mir, schienen sie ihr aber doch auszugehen; dann seufzte sie höchstens vor Entrüstung, daß es mir wehmütig durch die Seele schnitt: „Mit der Paula is' nimmer a Leichts!“

Oft genug, bei einem geringfügigen Anlaß, namentlich bei Fragen, die ich mir in meiner paradiesischen Einfalt leistete, strafte sie midi, düster ihre Stimme dämpfend, mit dem immer gleichen Ausspruch: „Ich schäm mich soviel mit dir!“ Trotzdem hing mein Herz in fühlbarer inniger Liebe an den Eltern. Ich verlangte insgeheim, sie mit den Armen zu umfangen und ihnen schön zu tun. Aber es wurden uns Zärtlichkeiten nicht angewöhnt. Die einzige Annäherung, die wir uns schicklich erlauben durften, war das „Handbussen“. Vater duldete eher noch, daß wir uns nach der steifen Namenstagsgratulation irgendwie zutraulich an sein Gesicht schmiegten. Wenn wir dabei nicht selber vor den stechenden Haarstoppeln erschraken, ängstigten uns che Dienstboten mit der

Prophezeiung, daß uns Dirndeln auch ein Bart wüdise.

Infolgedessen wurden wir Kinder ebenso geschämig. Hildegard verbarg jede Herzensbewegung unter spitzbübischem Gesichterschneiden, und ich suchte unbewußt meine abweisende Mutter noch zu übertreffen. Niemals vergesse ich jenes grausige Entsetzen, den eine Herrschaftsköchin in mir wachrief, als sie echt wienerisch „Du Schat-zerl“ zu mir sagte und mich gefühlsselig küßte. Eine Abwehr habe ich freilich nicht gewagt. Ich ging auch, um sie nicht zu beleidigen, ruhig fort. Dann aber versteckte ich midi hinter einer Magazintür und wischte mir die Lippen sauber mit der Schürze.

Den Bauernkindern blieb ein Kuß sogar den Worten nach fremd. Als unser Herr Pfarrer einmal in der Religionsstunde fragte, womit Judas den Herrn Jesus verraten habe, zeigte ein einziger Knabe auf und sagte strahlend: „Mit einem Zirkus!“

Die Erwachsenen hatten leidit lachen. Wer in jener Zeit aufwuchs, dem wurde eine harte Zucht, aber wenig Belehrung zuteil. Bildlich gesagt, wir waren fast in unsern Paradeisgarten eingesperrt. Aber die ersten Menschen unter ihrem gottgeweihten, wunderbar grünen Wipfeldach sind gewiß seltener ermahnt worden als wir. Denn in unserer Kindheit gab es schon viele Bäume und Äpfelein, die wir nicht begreifen sollten. Jeder, der sie verkostet hatte, wollte uns davor behüten und sagte zum Beispiel: „Frag nicht so dumm!“ Oder er sagte: „Das erfahrt ihr noch früh genug“.

Mit großer Vorsicht mißtrauten die Erwachsenen allem Merkwürdigen, das sich in einer jungen Seele regte. Eigenart ga't als Unart und Forschen als Fürwitz. So blieb einem nichts übrig. Man erdachte sich selber die Antwort auf Geheimnisse, die jenseits der Erkenntnis lagen.

Dabei wurrleten die heiligen und unheiligen Dinge freilich in wilder Unordnung durcheinander. Ich behandelte sie alle gleich andächtig. Die Taufe ist vielleicht das einzige

Ereignis, über welches ich-mir keine Gedanken machte. Sie meldeten sich indessen bald, ein wenig zu früh sogar und genau so überraschend wie meine andern Erfindungen. Es kam vor, daß ich kleine Weisheiten und große Wahrheiten mir nichts dir nichts erraten habe. Wenn mich dann ein unschuldiges Schuldbewußtsein oder gar die stolze

prahlerische Freude über einen plötzlichen Einfall zu meiner Mutter trieb und mitteilsam machte, wies mich ein vernichtender Blickstrahl zum Schweigen.

Ich muß ihr verzeihn. Das war erst der Anfang! Wie oft noch im Leben ist mir das Herz auf die Zunge gerutscht, und die Welt hat mich nicht besser dafür behandelt.

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