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Lekr ion in der Demut

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Die Uhr Gottes zeigte das Fest der heiligen Perpetua und Felicitas, Mär-tyrinnen, an, 1914, als Lady Ippeca-cuanha in die neue Blechkirche Father Smiths hereingeschneit kam, um sich den Fortschritt am Bau des Gotteshauses anzusehen. Im Donegal-Tweedanzug, den beschlagenen Golfschuhen und dem Monokel, das aussah wie ein Halbkronen-stück, in Ihrem Auge klapperte sie durchs Seitenschiff und trat in eine der vordem Bänke, wo sie mit ihrer wohlerzogenen Anmaßung niederkniete. Denn sie war, obwohl eine kämpferische Frauenrechtlerin, doch eine religiöse Frau und lebte der Meinung, daß Gott an den meisten Orten gegenwärtig sei, sogar in den römisch-katholischen Kirchen. Wie sie da kniete, kam ihr der Gedanke, daß sie den Weihrauchduft ganz gern mochte und daß dieser eigentlich ein angenehmeres Desinfektionsmittel wäre als die Karbolsäure.

Der Küster hatte eben Blumen auf den Muttergottesaltar gestellt und erblickte sie beim Hinausgehen. Wegen des Monokels, das sie trug, hielt er sie für einen Mann, trat zu ihr zurück, tupfte ihr auf die Schulter und befahl: .Nehmen Sie, bitte, den Hut ab im Gotteshause.“

Mit einem Ruck kehrte ihm Lady Ippe-cacuanha ihr volles, kaltes Gesicht und ihr rotes Haar zu und schrie empört: „Sehen Sie nicht, daß ich eine Frau bin?“

.Wer Sie sind, ist mir Wurst; aber im Gotteshause nimmt man den Hut ab“, befahl der Küster zum zweitenmal, ohne auch nur ein Wort von ihrer Frage verstanden zu haben.

Im Pfarrhaus saß Father Smith und las den „Catholic Trumpet“. Er konnte sich aber nicht länger damit aufhalten, weil die Hausglocke erscholl und Lady Ippecacuanha hereinschritt, als schickte sie sich eben an, mit dem Schläger einen Golfball zu treffen.

„Father Smith, ich muß Sie darum bitten, diesen groben Kerl von einem Küster sofort zu entlassen!“ schrie sie, flammend gleich ihrem zündroten Haar.

Father Smith war bisher in seinem Leben zweimal mit Lady Ippecacuanha zusammengetroffen, einmal, als er in Glenclachah vorsprach, um ihr und Sir Dugald für den freigebigen Betrag an die neue Kirche zu danken; sodann bei einem nichtkonfessionellen Wohltätigkeitskonzert, wo sie „Have You Ever Seen an Oyster Walk Upstairs?“ („Saht ihr je eine Auster treppauf gehen?“) sang und einen Blumentopf in den Orchesterraum stürzte.

„Vielleicht sagen Sie mir, warum eigentlich?“ bemerkte er.

Plump und keuchend berichtete ihm Lady Ippecacuanha kurz. Noch nie in ihrem Leben sei sie so tief beleidigt worden. Beim Sprechen gewahrte sie ein Blinzeln im Auge des Priesters, so daß sie mit erneuter Heftigkeit schloß: „Ich sehe, Sie lächeln nur, Father Smith, ich finde nichts Lächerliches daran und glaube auch nicht, daß mein Gatte es lächerlich finden wird, wenn ich ihm das Vorgefallene erzähle. Ich muß allerdings gestehen, daß Ihr Benehmen mich nicht wenig überrascht, da Sie mir, trotzdem Sie römisch-katholischer Geistlicher sind, stets den Eindruck eines Gentleman machten, im Gegensatz zu gewissen Ihrer Mitbürger, zum Beispiel dem fürchterlichen Monsignore O'Duffy.“

„Meine verehrte Lady Ippecacuanha“, begann Father Smith, und flehte rasch zu Gott, er möge ihm beistehen, da es ihn in der Tat belustigt hatte, und da Lady Ippecacuanha und Sir Dugald ein jedes hundert Pfund für den Bau der neuen Kirche geschenkt hatten. „Meine verehrte Lady Ippecacuanha, es tut mir aufrichtig leid, daß mir mein Gefühl fürs Groteske durchgegangen ist. Denn es Ist ebenso grotesk, daß Sie auf diese Weise überhört wurden, wie wenn ich um meines Rockes willen für eine Hebamme gehalten würde, und Ich glaube, ich würde Ihnen ein Lächeln verzeihen, Lady Ippecacuanha, wenn mir eine derartige Geschichte wirklich passierte. Ich kann aber meinen Küster deswegen nicht entlassen, denn er tat ja schließlich seine Pflicht, wenn er auch von denjenigen Ehrfurcht vor dem Herrn im Altarsakramente verlangte, von welchen er dachte, sie seien sich seiner Gegenwart nicht bewußt. Ich kann das nicht,

Lady Ippecacuanha, so freigiebig Sie und Ihr Herr Gemahl meiner Kirche gegenüber waren, ich kann Ihnen aber auch das Geld nicht zurückgeben, weil es längst verbraucht ist. Und die römischkatholischen Geistlichen sind alle Gottes Gentlemen, Lady Ippecacuanha, indem sie den Sinn, den Kardinal Newman diesem Worte gab, erfüllen und keinen Menschen vorsätzlich verletzen wollen. Es mag sein, daß Monsignore O'Duffy in gesellschaftlicher Hinsicht nicht dieselben Rücksichten kennt wie Sie und ich; aber er raucht nie die Pfeife im Empfangszimmer Gottes, und das ist viel wichtiger. Er hat ein offenes, freies Herz und liebt unseren Herrgott mit kindlicher Einfalt. Würde er ebenso mißverstanden wie Sie oder hielte man ihn für einen Seiltänzer, so würde er sich nicht nur darüber freuen, sondern er wollte auch, daß andere ihre Freude daran hätten, denn der Beruf eines Priesters des Herrn erweist sich ganz offensichtlich an ihm.“ Wie er aufblickte, sah er voll Überraschung, daß sich ihre Augen mit Tränen füllten und daß ihre langen gelben Fangzähne herausstanden wie Klavierschlüssel. „Es tut mir leid, Lady Ippecacuanha“, sagte er. „Ich versichere Ihnen, daß ich nicht im geringsten dachte.. .

„Es braucht Ihnen gar nicht leid zu tun, Father Smith“, sprach sie lächelnd aus den Tränen hervor, die sie mit einem mächtigen Taschentuch abwischte. „Ich bin ein böses, stolzes, eitles, überhebliches Weib, und ich danke Ihnen für die höchst wirkungsvolle Lektion in der Demut.“ Während des Sprechens streckte sie ihre schwere Pfote nach ihm aus, und

Father Smith schüttelte sie mit einem eher komischen Empfinden, denn er sah nicht ein, was er sonst hätte tun können.

Während er sie zur Tür hinausbegleitete, begann Lady Ippecacuanha von Father Bernard Vaughan zu sprechen, sie habe ihn zweimal in der Farm Street gehört und halte ihn für einen ganz hervorragenden Prediger. Father Smith erwiderte, der Sonntag, an dem der Jesuit die erste seiner bekannten Predigten über die Sünden der Gesellschaft gehalten habe, trage heute den Namen Erster Sonntag nach Ascot, und Lady Ippecacuanha, die nicht sehr scharfsinnig war, sagte, sie wünschte, der Priester würde auch einmal den Golfspielern die Wahrheit sagen, weil ein paar Kerle unter ihnen jeweils mit den Schlägern Sand in die Bunker würfen, wenn sie dachten, ihre Gegner sähen sie nicht.

Sie standen noch oben auf der Treppe am Eingang zum Pfarrhaus, als eine Schar zerlumpter, armseliger Kinder schreiend und tollend aus der Pfarrschule die Straße heraufkam. Manche waren barfuß, einige schmutzig und andere hatten Marmeladestreifen um den Mund. Aber die Knaben, welche eine Mütze auf dem Kopf trugen, nahmen sie beim Vorbeigehen an der Kirche ab, weil sie wußten, daß Jesus hier im Tabernakel gegenwärtig war. Und sie nahmen sie auch vor Father Smith ab, und die meisten kleinen Mädchen winkten mit den Händchen herauf. Da er den unwillkürlichen Ausdruck des Abscheus über Lady Ippe-cacuanhas Gesicht huschen sah und wußte, daß in einem Augenblick wieder ein Gefühl der Demut über sie käme, stand er ihr bei und sagte: „Hierzulande ist die Kirche wahrhaft die Kirche der Armen, Lady Ippecacuanha, und im großen und ganzen bedaure ich es nicht,

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